Déjà-vu im Nábár und Tervetuloa Suomi 🇫🇮


Als ich in Alta ankam, änderte sich das Wetter schlagartig und die ersten Tropfen fielen. Heute ist Sonntag und es gießt den ganzen Tag in Strömen! Es hätte nicht passender sein können, denn ich schlafe lange aus, frühstücke lange mit Flo und Sophie und lasse den Tag gemütlich an mir vorbeiziehen.

Tag 10 / Alta (Ruhetag)

Die Wetterprognosen zeigen eindeutig eine Besserung ab morgen und auch die nächsten Tage sehen gut aus. Innerlich kann ich darüber den ganzen Tag Freudenschreie ausstoßen, denn somit deutet alles auf perfektes Wetter im Nábár hin, dem Hochfjell in der Finnmark, das die größten Wetterextreme des ganzen Landes aufweist. Nach einem gemütlichen Abendessen verabschiede ich mich von den beiden Schweizern, da sie den ersten und sehr frühen Bus am Morgen nehmen werden, um nach Olderfjord zurückzukehren. Nichtsahnend, dass ich den beiden ziemlich genau drei Monate später wieder über den Weg laufen werde!

Am Morgen sitze ich noch früh beim Frühstück im Hotel Thon in Alta, als Beat und Lisi aus dem schweizerischen Langnau im Emmental neben mir Platz nehmen. Schnell sind wir im Gespräch und sie erzählen, dass sie den Bauernbetrieb drei Wochen übergeben konnten und sich den Traum vom Nordkap erfüllen durften. Es ist ihre verspätete Hochzeitsreise.
„Nüüt gseh, nume Suppe“ sagt Beat.
Tja, das kommt am Kap oft vor, Nebel ist dort keine Seltenheit. Aber sie sind bei bester Laune und fragen nach meinen Plänen.
„Was?? Durch das ganze Land laufen??“
Mehr als ungläubig schauen mich beide an.
„Aber es gibt doch Busse, Bahn und Schiffe, da musst du doch nicht laufen?“
Ich lache. Natürlich gibt es das, aber das will ich ja gerade nicht. Naja, Verständnis sieht anders aus, aber beide schmunzeln.
„Können wir dir etwas Gutes tun auf deiner Wanderung?“ fragt Lisi.
Ich frage sie ob sie mir den Rucksack die ersten 10 Kilometer der Strasse nach mitnehmen und dann deponieren könnten. Sie fahren in die gleiche Richtung. So würde das Strassenlaufen angenehmer und einfacher sein
„Hää??“ schaut mich Beat an und sorgt sich um meinen Verstand. Also mitnehmen tue er den Rucksack gerne, aber nur wenn der Wanderer mit dran hängt! Wir alle lachen laut auf und ich muss selber über mich lachen…eigentlich hat Beat mehr als recht, der Wanderer bleibt am Rucksack, basta!
Beat hat etwas Angst dass der Rucksack verloren geht und ich weiss ja von 2015, dass es dort keine Gebäude oder Unterstände hat und zudem regnet es immer noch leicht.

Immerhin gibt es noch drei Strassenkilometer

Als die beiden mich absetzen, wünsche ich ihnen eine gute Heimreise und danke ihnen von Herzen für den „Transportdienst“.

Tag 11 / Alta-Sandåsvanet

Nach drei Kilometer auf der Strasse, geht es über einen ATV Track Richtung Nábár. (Noch nichtsahnend, dass ich die 10 gefahrenen Kilometer schon in 24 Std. mit einer Extraschlaufe wieder kompensiert habe).

Der lange Weg hoch ins Nábárfjell
Fischer unterwegs zu ihren Angelplätzen
Der erste Blick auf Alta. Erinnerungen kommen auf an 2015

Es geht gleich mächtig rauf auf fast 800 MüM, als ich Alta am Horizont erblicke. 2015 stand ich am selben Ort und wusste, jetzt werde ich die Tour ans Kap schaffen und das nach all der Vorgeschichte. Es war wahrlich ein sehr emotionaler Moment damals und auch heute bleibe ich lange stehen und meine Gedanken und Erinnerungen kreisen wild um mich herum.

Durch den fahrerischen Vorschub am Morgen, werde ich es heute weiter ins Fjell schaffen. Mein Ziel ist der See Sandåsvatnet. Den erreiche ich über den ATV Track der dort endet.

Vorbei an meinen Campspot von 2015

Kurz nach dem Campspot von 2015, an welchem ich damals eine extrem schmerzhafte Muskelverhärtung auskurieren musste, erreiche ich auch schon den „Magic Bus“ (benannt nach dem Magic Bus aus dem Buch „Into the wild“ von Jon Krakauer). Der VW Bully Aufbau steht noch immer da und ist heute mehr Abfallkorb als Notunterkunft.

Magic Bus / Version Nábár

Über fast 15 Kilometer zieht sich der Track durch eine eindrückliche Weite.

Einsam und allein auf weiter Flur

Als der Track endet, bin ich am Sandåsvatnet angekommen und richte mein Zelt ein. Am See haben noch ein paar Fischer ein Lager errichtet. Von dort hört man sogar ein Notstromaggregat brummen…naja!

„Nacht“-lager am Sandåsvanet

Mittlerweile bekomme ich nun auch schon eine gehörige Portion Mückenschwärme zu spüren. Ein kleiner Vorgeschmack, was mich die nächsten Tage begleiten wird, wenn nicht endlich etwas Wind aufkommt.

Tag 12 / Sandåsvanet-Bađajávri

Das Nábár habe ich nur sehr rudimentär geplant. Die Route wird etwa in der von 2015 sein. Am Morgen habe ich aber die glanzvolle Idee weiter ostwärts zu gehen und etwas zu improvisieren. Schon länger interessiert mich ein Gebiet etwas abseits der Route. Wenn ich etwas genug habe im Moment, dann ist es Zeit und vor allem gutes Wetter. Dass ich dabei aber die Rechnung ohne die Samis und ihre brandneuen in der Karte noch nicht eingezeichneten Zäune mache und einige Sumpfgebiete erst vor Ort erkennen kann…hätte ich nicht erwartet.

Bravo Martin!

Nach etwa drei Stunden und fast 10 Kilometer, stehe ich gerade mal knapp zwei Kilometer neben meinem gestrigen Zeltplatz und ärgere mich grün und blau!
Die Samis haben hier verschiedene Korridore mit ihren Zäunen gebaut, die zwar nicht unüberwindbar wären, aber da ich Werkzeug rumliegen sehe und ab und zu ATV-Motorengeräusche vernehme, will ich keine Kletteraktionen an den Zäunen vollführen. Da reagieren die Samis zu Recht ziemlich säuerlich darauf. Hinzu kommt, dass ich einfach völlig planlos in der Gegend herumlatsche, was mir zusätzliche Zeit und Kilometer beschert.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Sandåsvanet noch mal sehen würde!
Nicht alleine unterwegs 🦟🦟🦟

Ab jetzt läuft es nun wieder gut und ich komme besser voran. Leider legt sich etwas der gefürchtete Nábár-Nebel über das Gelände. Zum Glück nicht so dicht und dank dem Smartphone und den darauf gespeicherten Karten, geht es gut mit dem navigieren. Immer wieder staune ich, wie schnell man ohne Hilfsmittel in der weissen Suppe vom Kurs weg kommt. Obwohl man sich sicher ist noch richtig zu laufen, läuft man plötzlich komplett in eine andere Richtung. Irgendwann wird der Nebel aber kurzzeitig so dicht, dass ich eine Nuddelsuppepause einlege. Kummer bereitet mir das Wetter absolut keinen, den es ist etwas Wind drin und der sorgt dafür dass der Nebel nicht liegenbleibt.

Nun kommt mir meine Erinnerung von 2015 zu Gute was das navigieren angeht. Der nächste Punkt ist der kleine Durchgang zwischen den beiden Guhkes Seen. Mittlerweile ist der Unterschied auch deutlich zwischen 2015 und 2024. Es hat jetzt deutlich mehr Wasser und so muss ich hier über den Durchgang waten.
Es macht tierisch Spass mit all den Erinnerungen hier durchzuwandern. All die Navigationspunkte wieder zu sehen und zu finden.

Die Verbindung zwischen den Guhkes Seen

Der erwartete Sumpf zwischen den Guhkes Seen und dem See Bađajávri, kann ich etwas nördlich perfekt umgehen. Hier war schon 2015 die Frage, ob es überhaupt möglich ist durchzulaufen, da die Karte klar ein Moor- und Sumpfgebiet andeutet. Damals war es eine grosse Trockenheit und auch dieses Jahr scheint es nicht weit davon entfernt zu sein. Die Traverse ist absolut problemlos.
Mittlerweile ändert sich auch die Landschaft immer mehr. Die Hügel und Anhöhen verschwinden langsam und die Weite der Landschaft wird immer grösser und eindrücklicher.

Nichts als Weite…
So sieht absolute Zufriedenheit aus!
Campspot am Bađajávri

Am See Bađajávri campiere ich wie 2015 am südlichen Seenende. Endlich kommt genügend starker Wind auf, dass ich beim Zelt auch mal die Türen offen lassen kann. Mein Zelt schlage ich etwas im Windschatten eines grossen Steins auf und geniesse die unglaubliche Ruhe des Fjells.
Neben dem Zelt führt eine ATV Spur durch, auf welcher noch spät am Abend ein Quad vorbeirattert. Sein Ziel ist das etwas weiter entfernte Fischercamp, von welchem ich drei grosse Zelte sehen kann. Jetzt in der Sommersaison, sind doch ein paar Fischer hier im Nábár und völlig menschenleer ist es nicht.

Die Nacht ist sehr ruhig und ich schlafe schon früh ein. Mein Tagesrhythmus ist jetzt nicht mehr von der Uhrzeit abhängig, sondern nur noch von meinem Befinden und worauf ich gerade Lust habe.

Tag 13 / Bađajávri-Mollejusgobejávri

Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Mollejusgobejávri. Auch hier erwartet mich ein Durchgang zwischen zwei Seen. Doch zuerst passiere ich noch meinen nächsten Navigationspunkt, den See Heisojávri.

Heisojávri

Vorbei am Heisojávri, geht es hoch und schon bald sehe ich die beiden Seen, mit dem Durchgang.

Stausee Šuoikkátijávri

Der grösste See im Nábár ist ein Stausee und erstreckt sich auf fast 30 Kilometer. Hier hatte ich 2015 überraschend etwas Mobilfunkempfang. Später erfuhr ich, dass viele abgelegenen Kraftwerkstauseen über das normale Mobilfunknetz kontrolliert werden. Dies war ein guter Hinweis, den ich mir auch auf späteren Touren immer wieder zu Nutze machte.

Nach der Passage der beiden Seen wird das Gelände nun sehr ruppig und steinig. Blocksteingelände über mehrere Kilometer verlangen hier etwas mehr Konzentration als an anderen Orten. Jedoch ist das ganze bei Trockenheit ein Kinderspiel. Ich „tanze“ über die grossen Blöcke, ein Terrain dass ich schon in den Alpen immer wieder sehr gerne habe.

Steiniges Terrain

Immer öfter liest man in Blogbeiträgen, dass die Leute immer mehr Probleme haben mit diesem Gelände. Allerdings wundert mich das wenig, wenn ich dann sehe, was die Läufer/innen an den Füßen tragen. Wer durch solches Gelände problemlos durchkommen will, braucht stabile und qualitativ hochwertige Schuhe. Es ist nur sehr geübten Läufer/innen vorbehalten, hier mit Turnschuhen oder allzu leichten Trailrunnern weitestgehend problemlos durchzulaufen. Ich habe mit meinem Schuh alle Möglichkeiten und kann mich zu hundert Prozent auf den Halt und die Stabilität verlassen. Einmal mehr überzeugt mich mein La Sportiva total, und es freut mich sehr dass ich mich für diesen Schuh entschieden habe!

Blick zurück

Es ist wohl der anstrengendste Tag im Nábár. Das Terrain ist herausfordernd und wer nicht gerne über Steine und Blockfelder „tanzt“, wird keine grosse Freude haben. Aber selbstverständlich gehen die fast vier Stunden Blockgelände auch auf meine Gelenke und die Konzentration nimmt laufend ab. So bin ich nicht unglücklich, am Horizont den Mollesjusgobejávri zu entdecken.

Auf dem selben Campspot wie 2015 am Mollejusgobejávri

Das Zelt stelle ich auf dem selbigen Flecken Erde auf wie 2015. Einziger Unterschied zu damals, es ist nicht ein azurblauer Himmel und es hat Mücken….viele Mücken… sehr viele Mücken. Die Viecher fressen mich fast auf und es ist absolut windstill. Somit beende ich den Tag sehr früh und krieche früh in meinen Schlafsack. Müde bin ich nach diesem Tag definitiv genug.

Tag 14 / Mollejusgobejávri-Nedrefosshytta DNT

Die Nacht war wieder überaus ruhig und ich habe geschlafen wie ein Murmeltier. Das Frühstück wird allerdings zu einem Spiessrutenlauf und auch das abbauen des Zelts wird bei diesen Mistviechern eine Qual. Daher kürze ich das Ganze ab und bin schon kurz vor 5.00 Uhr wieder unterwegs.

Mollejusgobejávri

Erst als ich nahe am höchsten Punkt des Hügels Mollejus bin, kommt etwas Wind auf und die Moskitos lassen von mir ab.
Das Terrain ist hier sehr angenehm zu laufen. Gras mit vielen kleinen Steinen durchsetzt und nur leicht hügelig. Erst nach der grossen Sami Siedlung beim Baijt Vuolit See wird es dann wieder ziemlich steinig.

Baijt Vuolit
Sami Siedlung Baijt

Schon von weitem sehe ich das Gewusel in der Sami Siedlung. 2015 waren die Samis mit ihren Rentieren schon weg als ich hier durchkam. Nun ist hier Hochbetrieb und es sieht schon fast aus wie ein kleines Dorf.
Vor mir liegt wieder einer dieser Rentier Korridore der mit hohen Zäunen abgegrenzt ist. Dieser „Schlauch“ von etwa 200 Meter Breite und an seinen Seiten umzäunt, zieht sich weit westwärts über einen Hügelrücken. Bei der Siedlung sehe ich etwa c.a. 100- 150 Rentiere innerhalb dieses Korridors. Ich entscheide mich etwas mehr Distanz zur Siedlung aufzubauen und wandere den Hügel hoch. Zum einen will ich die Rentiere nicht erschrecken, zum anderen eine gewisse Distanz zu den Hunden bekommen und so suche ich mir eine Passage über die Zäune, bei denen ich nicht im Blickfeld der Samis bin. Denn kaum bemerken mich die Hunde, rennen sie auf mich zu, wenden dann aber nach ein paar hundert Metern wieder und lassen mich meinen Weg weiterziehen. Oft rufen die Samis die Hunde nicht zurück und dann kann das ziemlich unangenehm werden. Hier bin ich aber wohl schon zu weit entfernt und ich bin mir nicht sicher, ob mich die Samis überhaupt gesehen haben.

Nach c.a. 500 Metern komme ich auf eine Zwischenhöhe von der ich die Siedlung nicht mehr sehen kann. Hier kann ich nun ungesehen gut über den etwas älteren Zaun klettern und auch den zweiten problemlos übersteigen. Der Umweg hat mich zwar etwa zwei Kilometer gekostet, aber so habe ich niemanden gestört.

Rastplatz mit Blick auf den Hügel Duorsi, mein Austiegspunkt aus dem Nábár

Nach dem Baijt komme ich in ein kleines Tal welches mir noch gut in Erinnerung ist. Es war damals saumässig heiss und Christoph und ich hatten kaum Wasser mit. Heute ist das weitaus angenehmer und ich suche mir einen gemütlichen Platz um eine längere Pause zu machen.

Ich setze mich hin für die Pause, ziehe meine Schuhe aus, da sehe ich im Augenwinkel etwas daherhoppeln. Ich schaue auf und da wuselt doch keine 10 Meter von mir entfernt ein ausgewachsener Järv (Vielfrass) an mir vorbei. Ein kurzer Blick zu mir „ach nur ein Tourist“ und weiter flizt er elegant über die Steine weg. Ich, wie zur Salzsäule erstarrt, ergreife mein Smartphone, als das Pelztier schon in meiner Handyzoompixelwüste zur Unkenntlichkeit verschwindet.

Naja…immerhin noch erwischt😂

Ich bin völlig baff und fasziniert. Bisher habe ich die Tiere nur aus ganz grosser Distanz sehen können und jetzt so nah. Die Szene erscheint mir gerade ziemlich surreal, denn ich weiss dass Vielfrasse nur sehr selten gesichtet werden. Die Tiere können ziemlich unangenehm werden wenn sie sich bedroht fühlen. Ihr Gebiss erinnert an jenes eines jungen Bären und das fast schäferhundgrosse Pelztier hat auch ordentlich Kraft. Dieses Tier hat sich allerdings nicht für mich interessiert und es hat mehr den Eindruck gemacht, wie wenn es zu spät zu einem Termin kommt. Eine wunderschöne Sichtung!

Nach der Pause, geht es weiter zum Duorsi und meinem Abstieg ins Reisadalen.

Das Tal Niárgaluoppal

Nach dem Tal geht es an die Nordflanke des Duorsi und dort steige ich bis fast zum höchsten Punkt. Ich spüre tief in mir, wie mich der Moment aufwühlt, mich wehmütig macht. Ich kann es kaum glauben… schon wieder laufen mir Tränen über das Gesicht! Wenn ich so weitermache, werde ich in Lindesnes wohl kaum mehr irgendwelche Freudentränen zusammenkriegen, wenn ich die Tour hoffentlich beenden kann.

Mir wurde schon im Vorfeld der Tour sehr bewusst, dass ich wohl einige Ecken dieses Landes zum letzten Mal betreten werde. Orte und Gebiete die man meist nur besucht, wenn man das Land durchqueren will. Es sind Landschaften und deren Namen die über all die Jahre sehr viel an Bedeutung gewonnen, die mich oft monatelang während der Planung „verfolgt“ haben. Es sind Gebiete in die ich mich schlussendlich verliebt habe, die mir sehr viel bedeuten, in denen ich sehr viel von meiner Seele zurücklasse.
Das Nábár war und ist immer ein sehr spezieller Ort für mich gewesen, obwohl es eigentlich ein Fjell wie jedes andere ist. Es weist sicher die speziellsten Verhältnisse auf was das Wetter angeht. Doch das Fjell ist eines von vielen und doch wieder nicht, denn in all den Jahren hatte ich sehr viel mit anderen NPL-Läufer/innen Kontakt und fast alle hatten die gleiche Erfahrung gemacht. Das Nábár verfügt über eine spezielle Atmosphäre, eine andere Stimmung macht sich breit und vereinnahmt den Menschen. Wer sich auf dieses Fjell einlässt und zulässt dass all die Stimmungen auch einen persönlichen Einfluss haben können, wird hier ein eindrückliches Erlebnis haben.
Nach 2015 hatte ich vier Versuche nochmals ins Nábár zu gehen und eine Tour zu machen. Jedes Mal musste ich es absagen, da das Wetter oder die Verhältnisse es nicht zuliessen. Es braucht erst ein zweites Norge på langs, damit ich es noch einmal schaffe. Dafür bin ich unendlich dankbar!

Wehmütiger Abschied vom Nábár

Ich drehe mich nochmals um und blicke lange über dieses grossartige Panorama. Ich bin von Natur aus ein etwas sentimentaler und melancholischer Typ, aber das hier braucht gerade sehr viel Kraft, mehr als ich gedacht habe. Ich hebe meine Hand und verabschiede mich von diesem Fjell, ein Ort den ich sehr wahrscheinlich zum letzten Mal betreten habe.

Doch alle Sentimentalität hat mal ein Ende, aber mein Weg für heute noch nicht. Ich drehe mich um und mache mich auf den restlichen Weg ins Reisadalen runter. Schon kurz nach der Pause passiere ich eine kleine Tafel, welche den National Park Reisadalen markiert. Mein Blick geht zum mächtigen Hügel Jerrtágahpir rüber und dahinter schon nach Finnland rein.

Jerrtagáhpir
Der höchste Finne: Halti in Sicht

Jetzt kommt allerdings noch das Sahnehäubchen…der Abstieg. Jetzt erst merke ich dass ich den Abstieg nicht wirklich gut geplant habe, denn es ist sehr wichtig nicht zu früh abzusteigen. Da ist nämlich eine enge Schlucht die nicht ganz ohne ist! Ich habe mich gar nicht richtig darauf vorbereitet und mich schon zu sehr darauf verlassen, dass ich das nach neun Jahren noch irgendwie aus dem Kopf zusammenbringen werde. Ich schaue nochmal auf die Karte und schätze in etwa ab, wann ich zum Bach Imojohka runtersteigen will.
Während ich auf die Karte schaue, bemerke ich zum ersten Mal so richtig, dass es knapp einen halben Kilometer daneben noch einen kleinen Bach gibt und dieser ohne Schlucht runter ins Tal geht. Dabei ist es viel weniger steil und der Nordkalottleden (der Wanderweg der im Tal verläuft und zur Nedrefosshütte geht) kommt mir hier auch noch entgegen, da er an der Talseite ansteigt. Sofort denke ich, dass ist doch die viel bessere Lösung! In der Karte sehe ich sogar eine Sami Kota mit einem roten Dreieck eingezeichnet, also eine kleine Behausung der Samis, von der sicher sogar noch ein Weg runter führt. Doch irgendwie scheint mein Hirn von vorhin noch benebelt zu sein und mein logisches Denken ausgesetzt. Ich wähle das altbekannte und erhalte damit eine tolle Lernstunde in Sachen: Mühsal!

Vorne die Kerbe des Imojohkabachs

Es scheint auf den ersten Blick ganz gut zu funktionieren und ich staune über mein Erinnerungsvermögen nach so langer Zeit. Und irgendwann bin ich sogar sehr sicher, dass ich zum Bach runtersteigen muss und das ich den richtigen Zeitpunkt gefunden habe. So dachte ich zumindest und leider ist es dann doch nicht so. Ein kurzer Blick auf die Karte hätte genügt und ich hätte gesehen, dass ich mindestens 200-300 Meter zu früh abgestiegen bin.

Jetzt beginnt schlicht und einfach die Hölle. Das kleine Rinnsal von 2015 ist jetzt ein ordentlicher und spritziger Bergbach, die Botanik reicht mir bis zu den Schultern und ich sehe keinen Moment mehr wo ich hinstehe.

Zu Beginn sieht es recht idyllisch aus…
…doch dann wird es richtig happig!

Es wird immer wilder und die Variante im Bach zu laufen rückt immer näher. Doch auch hier heisst es bis zu den Knien im rauschenden Bach zu waten. Doch ich gebe nicht auf und hangle mich an kleinen Birken und Sträuchern irgendwie dem Bach entlang. Oftmals muss ich über Felsköpfe klettern oder in fast senkrechten Schuttfeldern ohne Halt rüber traversieren. Das Ganze wird mit schwarzen Wolken aus Mücken garniert und es ist richtiggehend tüppig und heiss.
Das hier ist nun wirklich nur noch für Fortgeschrittene und auch nicht ganz ungefährlich, denn oftmals könnte ich locker über 3, 4 Meter in den Bach stürzen. Doch ich muss mir selber auf die Schulter klopfen. Ich behalte die Ruhe, schaue mir jeden Schritt und jeden Halt genau an und taste mich langsam vorwärts. Irgendwann muss doch diese Schlucht endlich ein Ende haben und dann wird alles besser!

Endlich erkenne ich den Schluchtausgang und die Felsen, ich habe es geschafft!

Denkste…

Der Ausgang

Wo 2015 ein Rinnsal durch die Schlucht floss, ist jetzt ein rauschender Wasserfall. Das Bachbett ist nicht begehbar. Ich muss in die sehr brüchige Seite ausweichen und dort hält nichts. Hier sind in der letzten Zeit grosse Steinschläge gewesen und alles ist zusammengefallen. Es ist definitiv nur mit aller grösster Vorsicht zu begehen und ich bin heilfroh wenn ich hier unfallfrei durchkomme. Schritt für Schritt taste ich mich in dem Geröllhaufen ins Tal runter und weiche irgendwann fast senkrecht in die Seite hinauf aus.

Das ganze Schauspiel dauert vom Einstieg bis zum Weg runter knapp über eine Stunde und fühlt sich mehr wie ein ganzer Tag an. Ich bin fix und fertig!
Wie oft habe ich in den letzten Jahren zu hören bekommen, „wow du kennst ja alles, du bist ja ein richtiger NPL Profi und für dich ist das ja alles kein Problem…“ Ich muss laut lachen als mir diese Gedanken durch den Kopf gehen. Jaja, was für ein absoluter Profi bin ich denn. Hätte jemand diese Stunde gerade beobachtet, hätte ich wohl nur Kopfschütteln und lautes Gelächter vernommen. Ein riesengrosser Trottel bin ich und ich kann froh sein, dass das alles gut herausgekommen ist. Manchmal macht es einfach Sinn über den Tellerrand zu schauen und sich gegen Pläne zu stemmen. Da habe ich jetzt etwas gelernt!

Die Kerbe ist definitiv: NICHT MEHR ZU EMPFEHLEN!!
Die rote Route die ich gegangen bin. Die grüne welche deutlich einfacher ist!

Die drei Kilometer zur Nedrefosshytta des DNT sind schnell zurückgelegt. Spätestens jetzt ist klar: die Reisamücken zeigen wo ich bin…der Wahnsinn!!

Hängebrücke vor der Hütte
Nedrefosshytta DNT

Auf dem Weg zur Hütte treffe ich eine ältere Frau mit ihrem kleinen Hund. Das bedeutet wohl für heute, dass ich in meiner ersten DNT Hüttennacht nicht alleine bin. Die Mücken hier sind allerdings wirklich massiv, so etwas habe ich noch nie gesehen und ich bin froh dass ich alsbald ins Haus komme. Doch auch in der Hütte hat es Mücken. Da sich die Einheimischen hier gewohnt sind mit den Mücken zu leben, wird halt ab und zu auch die Hütte durchgelüftet. Zum Glück gibt es hier Mückenspiralen, welche nach dem anzünden einen zwar beissenden aber die Mücken vertreibenden Charakterduft ausströmen.

Zuerst gönne ich mir aber mal ein kühles Bad in der Reisa. Die königliche Sauna lasse ich definitiv links liegen, geschwitzt habe ich heute zur Genüge und wie!
Nach einer Zeit trifft auch die Frau mit ihrem Hund ein und stellt sich als Tuve vor, welche in der nächstgelegenen Ortschaft Storslet wohnt. Sie ist für vier Tage hier in der Hütte um noch etwas die Ruhe zu geniessen bevor die Touristen kommen. Die Reisa gilt als lachsreichster Fluss in Norwegen und selbst die Königin Sonja und auch ihr Nachwuchs sind ab und zu hier zu Gast. Da der Fluss bis unmittelbar vor die Hütte mit den hier typischen Langbooten befahrbar ist, wimmelt es hier im Sommer nicht nur vor Mücken sondern auch von Menschen.

Tuve erzählt mir viel aus dieser Gegend und wären nicht die Mücken, wäre es hier paradiesisch schön. Doch die Viecher zerren definitiv an den Nerven. Während wir den ganzen Abend im Gespräch sind, merke ich gar nicht wie die Zeit vergeht. Irgendwann kitzelt mich wieder die Sonne an der Nase, welche sich nun in die breite Schlucht hineinkämpft. Als ich kurz auf die Uhr schaue, ist es schon 23.55. Unglaublich, ich sehe meine erste richtige Mitternachtssonne inmitten dieses mit hohen Wänden gesäumte Tal und nicht irgendwo in einer dieser unendlichen Weiten oder am Meer!
Trotz der Mücken gehen wir vor die Hütte und geniessen diesen kurzen aber so unglaublich schönen Moment. Selbst ihr kleiner Jagdhund streckt seine Nase in Luft und scheint dem Schauspiel etwas abzubekommen.

Mitternacht im Reisadalen
Was für eine grossartige und seltene Stimmung um Mitternacht

Als ich heute Nachmittag vis a vis von der Hütte an den steilen Südhang schaue, kommt wieder die Idee auf; ist es möglich da direkt hinaufzugehen? Nach dem heutigen Tag hätte ich allerdings mein Soll mit Abenteuer schon erfüllt, oder sogar überschritten! Doch ich frage Tuve was sie davon hält, sie kennt das Gebiet ja in- und auswendig.
„Ohja, das geht! Bis vor etwa 20 Jahren war da noch ein Weg hoch, der ist jetzt wahrscheinlich zugewachsen. Vor fünf Jahren bin ich aber noch mal hoch und die eine oder andere Kehre war noch gut erkennbar“.

Öha….schau an, mein Abenteuergeist erwacht gerade von neuem. Tuve beschreibt mir wie ich da hochkomme.
„Bleib einfach links vom Bach, der 300 Meter nach der Hütte hier in die Reisa fliesst, dann findest du vielleicht noch Spuren. Aber es ist steil, sehr steil!“

Diese Nachricht freut mich gerade ungemein und schon ist der heutige Tag fast vergessen. Das werde ich nun mal probieren, denn es ist sehr trocken an dieser Seite des Tals und so wie ich das aus der Ferne gesehen habe, sollte das eigentlich gut machbar sein. Diese direkte Abkürzung würde bedeuten, dass ich die fast sechs Kilometer durch das Tal westwärts bis zum Aufstieg nicht gehen müsste und auch das wieder in die andere Richtung zurücklaufen, bis knapp über die Höhe der Hütte, würde auch entfallen. Insgesamt würde das wohl eine Ersparnis von rund acht bis neun Kilometer bedeuten. Rauf muss ich so oder so, ob ich das in der Direttissima mache oder nicht, spielt da keine Rolle.

Tag 15 / Nedrefosshytta DNT-Kopmajoki Suomi

Am Morgen bin ich sehr früh auf den Beinen. Ich will den Aufstieg noch hinter mich bringen, bevor die Sonne an den Hang scheint. Denn eines ist hier Pflicht: Mückenschutz ist ein Muss! Das wird wohl heftig. Knapp 400 Höhenmeter auf nicht mal einen Kilometer und das bei all den Mücken und der schon jetzt so früh am Morgen herrschenden feuchten Wärme!
Ich bin komplett eingepackt mit allen Gore Tex Kleidern, dem Mückennetz, Mütze und c.a. einem Deziliter eingesprühten Mückensprays.

Also los geht`s. Bach finde ich mal zuerst keinen, nur dessen Einschnitt am höchsten Punkt ist gut zu sehen. Nach 300 Metern biege ich ab ins Gebüsch, wird schon passen denke ich. Dann kämpfe ich mich zuerst 100 Meter durch brusthohes Grünzeugs. Jetzt stehe ich vor dem Beginn der Steigung die bei etwa 30%-35% beginnt. Im Vergleich zu unseren Wäldern, sind die Birkenwälder meist sehr „sauber“. Kaum Fallholz und Hindernisse. Der Boden besteht aus Heide, Heidelbeere und Moos und ist etwa 10-15 cm tief und griffig. Schnell gewinne ich an Höhe, aber es geht an die Puste. Schon bald sind es locker 40%- 45% Steigung.

Die 45% sind kaum erkennbar, aber spürbar!
Grandiose Sicht ins Reisadalen

Minute für Minute kämpfe ich mich höher. Der Boden ist übersät mit Elchboller. Da muss es ordentlich was an Elchen haben in diesem Wald. Auf halber Höhe zieht die Steilheit nochmals an und erreicht mindestens 50%. Der Schweiss fliesst in Strömen und die Atmung zischt. Aber es geht super gut und ist griffig, ich bin positiv überrascht. Mittlerweile sehe ich auch die Schlucht des Baches…auf meiner linken Seite. Was soll’s, der Weg ist wohl eh nichts mehr und hier geht es gut vorwärts. Dann wird es nochmals steiler und ich brauche meine Hände um mich abzustützen. Eines ist klar, bei Nässe wäre das ziemlich verwegen und gute Schuhe definitiv ein Muss! Endlich legt sich das Gelände langsam zurück und nach knapp einer Stunde Schwerstarbeit, stehe ich bei der angepeilten Hochspannungsleitung.

Die Leitung die viel bedeutet im Reisadalen.
Geschafft!!

Mit diesem direkten Weg habe ich mir nicht nur Kilometer eingespart, sondern auch einiges an Zeit. Die Abkürzung von 2015 ist absolut top und auch bei nassen Verhältnissen gut machbar. Hier direkt rauf (oder runter) empfehle ich sicher nur trittsicheren Leuten und vor allem auch nur mit guten Schuhen. Wer hier mit abgelatschtem Profil gerade bei Nässe, reingeht, wird sich nicht lange darüber freuen.

Der Frust von gestern ist gegessen und jetzt freue ich mich mal raus aus dem Mückental und ich hoffe doch inständig auf etwas aufkommenden Wind.

Die Etappe ist komplett weglos aber bei diesen Verhältnissen auch sehr einfach. Mit dem direkten Ausstieg aus dem Reisadalen kann ich jetzt locker auf den nächsten Hügel rauf und dann direkt zum kleinen Bacheinschnitt des Háarrvesjohka ziehen.

Geradeaus zum Bacheinschnitt des Hárrvesjohka und weiter geht es

Tatsächlich kommt jetzt etwas Wind auf und kaum bin ich vom Reisadalen weg, wird es mit den Mücken deutlich besser. (Ich habe ja zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung davon, dass ich für die nächsten drei Monate kaum mehr Mücken sehen werde!)
Ich mag diesen Abschnitt und ich erinnere mich noch sehr gut an 2015. Das Terrain ist sehr einfach zu begehen und auch das navigieren wird durch die Bäche und kleinen Seen ein Kinderspiel. Doch es kann hier auch sehr viel anders aussehen!

Als ich bei einer Pause in der ab und zu hervorkommenden Sonne sitze und die Landschaft geniesse, erinnere ich mich an letztes Jahr. Als Anja und Mel auf ihrer Norge på langs-Tour durch Finnland kamen, bekamen sie die ersten Winterausläufer zu spüren. Bei Schneefall sassen sie zwei Tag in der Hütte in Meekonjärvi fest, bevor sie hier bei eisigem, schneebedecktem Boden Richtung Nedrefosshütte unterwegs waren. Ich schaue ehrfürchtig in die jetzt grüne Landschaft und es friert mich bei dem Gedanken an Anjas Tour. Ihre Satelliten-Nachrichten damals über das InReach System, haben mir grosse Sorgen gemacht und ich konnte mir nur ungefähr vorstellen, was sie hier durchmachte. Jetzt sieht das alles harmlos aus und fühlt sich so einfach an. Ich fühle einen grossen Respekt vor dieser Leistung der beiden Frauen, die damals noch in Begleitung der Norwegerin Sandra waren.

Hárrvesjohka
Trollblumen wohin man schaut
Das „Haltimassiv“ rückt näher

Da ich jetzt deutlich einen Kilometer- und Zeitüberschuss habe, werde ich gleich über die finnische Grenze gehen und erst in der kleinen Schutzhütte Kopmajoki übernachten.

Somashütte Statskog

Die offene Statskoghütte von Somas lasse ich links liegen, sie ist mittlerweile alles andere als gemütlich.

2015 war es der letzte Grenzübertritt. 2024 ist es der erste. Finnland🇫🇮
Offene Hütte Kopmajoki

Die offenen Hütten Finnlands sind sehr spartanisch. Aber Kopmajoki ist klein und gemütlich. Mittlerweile tut sich was in Finnland mit den Hütten und Wegen. Die Hütten werden erneuert und es hat jetzt sogar Abfalltrennstellen. Alles ist viersprachig angeschrieben und die Wege und Wegweiser werden erneuert. Kiitos Suomi👍💯

2015 sah ich nur kurz in die Hütte hinein und hatte nicht den besten Eindruck. Doch jetzt ist es überaus gemütlich und da ich alleine bin, kann ich mich ausbreiten und die Hütte in vollen Zügen geniessen. Der Wind draussen hat ordentlich zugelegt und ist sehr kühl geworden. Aber hier in der Hütte bollert der Ofen und der dampfende Kaffee macht es nochmals gemütlicher. Im Hüttenbuch lese ich einen Eintrag eines Deutschen, der gerade erst hier war.

(Sorry, ich habe leider deinen Namen vergessen und würde mich sehr freuen, mal von dir zu hören. Ich weiss du kennst meinen Blog und hast auch mein Buch gelesen. Es wäre toll von dir zu hören, um auch zu erfahren wie es dir ergangen ist!)

Aus seinem Eintrag geht hervor, dass er ebenfalls am Slettnes Fyr gestartet ist und auf dem Weg nach Lindesnes ist. Er ist zwei Wochen vor mir gestartet.

Die Nacht vergeht wie im Fluge und ich habe sehr gut geschlafen. So langsam fühle ich wie meine Kondition steigt und wie sehr es sich auszahlt, die Regenerationszeit hoch zu halten, also nicht zu lange Etappen zu laufen. Die Etappen sind zwar deutlich über 20 Kilometer jeden Tag und nagen schon an der 30 Kilometer Marke. Durch das hohe Tempo bin ich aber oft sehr früh schon am Etappenziel angelangt und kann mich dann länger erholen. Mit Sicherheit könnte ich jeden Tag noch etwas mehr herausholen und wenn ich nicht auf Hütten achten würde, könnte ich sicher schneller unterwegs sein. Doch ich versuche nun diesen Rhythmus aufzubauen und zu verinnerlichen.

Tag 16 / Kopmajoki Suomi-Kuonjarjoki Suomi

Am nächsten Tag geht es am Halti, dem höchsten Berg Finnlands, vorbei nach Pitsusjärvi, Meekonjärvi zur offenen Hütte in Kuonjarjoki.

Somassee
Offene Hütten in Pitsusjärvi
Der „rote“ Halti, rechts im Hintergrund

Der sogenannte „Halti-Highway“, 56 Km von Kilpisjärvi bis zum Halti, wird sehr oft begangen. Heute aber ist es relativ ruhig und ich geniesse den breiten und sehr gut begehbaren „Highway“.

Meekonjärvi kommt in Sicht

Wer durch den äussersten finnischen Teil wandert, der wird sich sehr oft in einer steinigen und grauen Landschaft wiederfinden. Ausser ein paar Grasbüschel und Heidekraut gibt es keine Botanik in dieser rauen Landschaft. Die Gegend ist abgesehen vom Halti Massiv relativ flach und unaufgeregt.
Doch es gibt eine Ausnahme: Meekonjärvi. Auch beim zweiten Mal habe ich fast das Gefühl in eine Oase in der Wüste einzutauchen. Hier ist alles grün, es hat Birken und sogar ein paar Laubbäume, Blumen blühen am Wegrand und das ganze wird umrahmt vom stahlblauen Bach Meekonjärvi. Es hat einige private Hütten die man mieten kann und auch eine offene Wanderhüte. Doch hier hat es so viele wunderschöne Zeltplätze, dass sich kaum Leute in der Hütte ausbreiten. Ich mache hier nur eine Mittagspause bevor es weiter nach Kuonjarjoki geht. Der Platz ist ein einziger Wohlfühlort…wenn das Wetter stimmt! Letztes Jahr mussten Anja und Mel hier einen Tag bei Schneesturm aussitzen bevor es weiterging. Im Moment für mich fast unvorstellbar, obwohl mir eine kühle Brise um die Ohren weht.

Offene Hütten in Meekonjärvi
Einzigartige Farbenspiele in Finnland

Es ist einfach nur atemberaubend schön hier in Finnland. Ich erinnere mich nur zu gut an 2015 als ich hier identisches Wetter hatte und vor allem, als mir hier Christoph über den Weg lief, mit dem ich schlussendlich zusammen am Nordkap ankam.

Nach knapp 32 Kilometer erreiche ich bei ziemlich stürmischem Wind die offene Hütte Kuonjarjoki. Für mein Leichtgewichtszelt ist es wohl etwas zu windig und so werfe ich einen Blick in die Hütte, ob es vielleicht noch Platz für mich hat.
Als ich die Türe aufmache, erschlägt mich fast die schwülheisse Luft aus dem innern. Ich blicke auf zwei verschwitzte, nackte Rücken von zwei älteren Herren und in die erstaunten Augenpaare der restlichen Hüttenbewohner. Die Hütte ist voll bis obenhin und die Luft zum zerschneiden! Auf meine Frage ob es noch einen Platz hätte, wird dies bejaht. Doch ich antworte wie aus der Pistole geschossen, dass ich wohl doch noch mal draussen nachschaue, ob es mit meinem Zelt nicht doch möglich ist zu campieren. Ich schliesse die Türe und hole zuerst mal tief Luft… puhh!! Nein, da bringen mich keine zehn Pferde wieder hinein, da wäre an Schlaf nicht zu denken. Ach was soll`s, es wird schon gehen mit dem Zelt.
Nachdem ich nach einigem suchen zwischen den anderen Zelten, einen etwas windgeschützteren, ebenen Platz gefunden habe, beginne ich mit dem Aufbau. Doch bei diesen Windböen wird das ein ziemliches Spiel mit den Elementen. Ich muss höllisch aufpassen, dass mir das Zelt nicht wegfliegt oder eine Böe einen Riss in die Zeltwand macht. Erst jetzt bemerke ich aus meinem Augenwinkel, dass es sich die ganze Hütte am Fenster bequem gemacht hat und mir beim Aufbau mit einem mitleidigen Lächeln zusieht.
„Jaja, lacht ihr nur in eurer Schwitzhütte…ich werde bestimmt besser schlafen als ihr alle zusammen!“
Sind meine Gedanken und nach zehn Minuten steht mein Zelt endlich stabil im Wind und alle Heringe sind mit schweren Steinen beschwert.

Offene Hütte von Kuonjarjoki
Ätsch…geht doch!

Im Zelt ist es kuschelig und gemütlich und einmal mehr staune ich über die hervorragende Qualität dieses Leichtgewichtszelt. Es steht wie eine Burg im Wind und ich muss keine Angst haben dass mir das ganze Teil um die Ohren fliegt. Einziger Nachteil wie immer bei Wind ist das Pertex Material des Zelts. Es ist schlicht und einfach sehr laut und ohne Ohrstöpsel wäre kaum an Schlaf zu denken. Doch auch da habe ich mich mittlerweile gut eingerichtet und so schlafe ich verhältnismässig gut. Aber obwohl ich die frische Luft im Zelt und den genügenden Platz im Bonfus mag, ist mein Schlaf definitiv nie so gut wie auf einer Hütte. Regelmässig erwache ich kurz, drehe mich und schlafe wieder ein. Ein richtiger Tiefschlaf ist für mich nicht möglich und war es in einem Zelt auch noch nie. Dies schlägt sich definitiv etwas negativ auf meine Erholungsphase nieder und so wird mir auch immer klarer, dass ich auf dieser Tour wohl mehrheitlich die Hütten oder andere feste Übernachtungsmöglichkeiten nutzen werde.

Tag 17 / Kuonjarjoki Suomi-Kilpisjärvi Suomi

Doch auch diese Nacht geht gut vorbei und am Morgen ist es fast windstill. Es gibt kaum die Möglichkeit hier sein Zelt in einen Schatten zu stellen ausser… in den Schatten der Hütte! Und das habe ich perfekt geschafft heute! Naja, zumindest hat mich dieses Mal nicht die Sonne an der Nase wachgekitzelt.
Die verschlafenen Gesichter und die schwarzen Ringe unter den Augen der Hüttenbewohner zeigen mir abermals, dass ich eine gute Entscheidung getroffen habe. Ich packe meine sieben Sachen zusammen und nach einem gemütlichen Frühstück, mache ich mich auf den Weg Richtung Kilpisjärvi.

Abermals ein wahrer Traumtag zum wandern!

Manchmal reicht es nicht mit der runden Höhenmeterzahl….dann muss man improvisieren!

1 Meter fehlt zur 1000
Geht doch👍💯

Nach diesem Pass, geht es noch knappe 15 Kilometer runter nach Kilpisjärvi. Vorbei an den neuen Hütten von Saarijärvi und viiieeel Landschaft!

Heilo/ Goldregenpfeifer
Der Berg Barras bei Gappo, an dem ich schon bald vorbeilaufen werde.
Moskángási Tafelgebirge bei Rosta. In etwa vier Tagen ein Thema
Offene neue Hütten von Saarijärvi
Másetjávri
Für eine kurze halbe Stunde geht es nach Norwegen rüber

Und dann ist es soweit. Als der heilige Berg der Sami, Saana, in Sichtweite kommt, habe ich schon fast Kilpisjärvi erreicht.

Saana

Das lustige an Finnland ist…überall in Norwegen staunen die Menschen über deinen grossen Rucksack auf dem Rücken. In Finnland kommst du dir vor, als hättest du nur einen Tagesrucksack angehängt!

Woran erkennst du einen finnischen Rucksack? An den zwei Beinen😉

Wie schon in Alta, konnte ich wieder auf die grosse Hilfe von Anja zählen. Sobald ich wusste wann ich in Kilpisjärvi sein werde, konnte ich ihr via Satellit Bescheid geben und sie reservierte mir meine Unterkunft. Dieses Mal hat mir Anja was ganz besonderes herausgesucht, das brandneue Hotel Cahkal.
Kilpisjärvi ist ja nun nicht gerade der Mittelpunkt der Welt und mehr als Durchgangsort zwischen Norwegen und Rovaniemi in Finnland bekannt. Ein täglicher Bus von Tromsø und Rovaniemi ist alles was hier an öffentlichem Verkehr vorbeikommt. Doch in den letzten Jahren hat sich dieser finnische Aussenposten immer mehr zu einem fixen Touristenort gewandelt. Neue moderne Hotels entstanden, Infrastruktur wurde gebaut und ein grosses Angebot an Betätigungen, vor allem im Winter, sind nun möglich hier. Das Hotel Cahkal ist nun der neuste Wurf und ich bin schon mächtig gespannt auf das Haus.

Meine Hütte in Kilpis, das Cahkal Hotel

Das Hotel und auch die Angestellten sind nun mal einfach der absolute Hammer. Ein grosses modernes Zimmer, ein mittlerweile schon ausgezeichnetes Restaurant mit einheimischem Essen und Angestellte die an Freundlichkeit und Fröhlichkeit kaum zu überbieten sind. Das auch das Kleider waschen ganz einfach vor der Hand geht, ist kein Thema. Abliefern und drei Stunden später frisch duftend und zusammengelegt wieder auf dem Zimmer. Schnell kommt der Verdacht auf, dass dies wohl auch übermässig teuer ist. Doch ich staune sehr ab den Preisen hier. Weder das Hotel noch das Restaurant ist teuer, im Gegenteil. Für diese Klasse ist das einfach total klasse hier! Hier werde ich meinen Ruhetag morgen geniessen können.

Verdient!

Tag 18 / Kilpisjärvi Ruhetag

Mittlerweile liegen etwas über 320 Km hinter mir und alles läuft sehr gut. In den letzten Tagen hatte ich leichten Anflug einer Fersenspornentzündung. Die Anstrengung des weglosen Laufens, das immer noch zu hohe Tempo, scheinen etwas Tribut zu zollen. Die Probleme sind allerdings noch klein, da nach einer Pause, beim anlaufen, die Fersen etwa fünf Minuten etwas schmerzen und es dann wieder verschwindet. Aber ich muss es im Auge behalten! Ansonsten läuft es physisch sehr gut und meine Kondition steigt tagtäglich. Aufgrund der Fersensituation, habe ich mich nun auch entschieden, es die nächsten acht Tage etwas gemütlicher anzugehen und den Dividalen National Park von Hütte zu Hütte zu erwandern. Dies bedeutet deutlich tiefere Kilometerzahlen und weniger Laufzeit. Die Langfristprognosen sehen sehr gut aus und ich kann mit gutem Wetter bis nach Narvik rechnen.

Leider hat das Nábár mit seinem Geröll und vor allem die Imojohkaschlucht mit ihrem rasierklingenscharfen Schiefergestein, meinen Schuhen geschadet. Gerade in der Schlucht konnte ich zusehen, wie es an beiden Schuhnasen die Umwicklung zerschneidet. Erst jetzt wird mir diese „Fehlkonstruktion“ richtig bewusst. Ich habe damit gerechnet, dass unter dem Garn eine schützende Schicht liegt. Doch leider erweist sich das gerade als grosser Irrtum und ich staune nicht schlecht, dass ich darunter schon auf die Naht von Oberschuh und Sohle schaue!
Das Oberleder, die Sohle und auch auch das Profil sind noch absolut top und ich laufe in den Dingern wie auf einer Wolke. Doch die Schuhnase macht mir Sorgen. Was wenn die Naht darunter auch noch reisst? Wieviel verliere ich an Stabilität des gesamten Schuhs? Einen Ersatz zu kriegen ist hier in Kilpisjärvi unmöglich und Tromsø liegt mehrere Busstunden entfernt. Was soll ich also nun tun?
Mein Ersatzschuh ist noch in der Schweiz und ich habe eigentlich nicht vor Umbukta damit gerechnet, dass ich diesen brauchen werde. Doch nun sieht das alles anders aus. Anja kann mir den Schuh sofort nach Narvik senden, doch schafft das die norwegische Post innerhalb von maximal 10 Tagen? Ich traue dies nach meinen Erfahrungen der Post leider nicht mehr richtig zu, doch was bleibt mir übrig?

Doch ich habe gerade ziemlich viel Glück, denn Liz und Ben, die am Nordkap gestartet sind und etwas vor mir unterwegs sind, befinden sich gerade in Narvik. Ich maile Liz an und frage sie, ob sie mir in Narvik in den Sportgeschäften nicht nach einem Ersatzschuh schauen könnten. Liz und Ben sind ebenfalls gerade am Schuhkauf und dann passt das ja gerade perfekt. Doch leider bleiben die beiden in meiner Angelegenheit erfolglos und Liz muss mir leider absagen. Es hätte mich auch etwas erstaunt, wenn ausgerechnet hier oben ein baugleicher Schuh auf Lager gewesen wäre, doch ab und zu kann man ja auch Glück haben.
Nun ist klar, ich setze auf die norwegische Post und Narvik ist ja auch nicht gerade ein kleines Provinzkaff; das muss doch klappen! Ich rufe Anja an und schwupp, ist der Schuh unterwegs. Dann mache ich mich auf in den Supermarkt, der auch einen kleinen Baumarkt hat, und kaufe mir das ultrastarke Gorilla Tape ein und zugleich auch noch den Gorilla Kleber.
Im Hotel verklebe ich die ganze Schuhfront mit dem Kleber und dann bastle ich das Tape in vier Lagen um die Nase herum an. Zusätzlich verklebe ich auch noch das Tape und voila… der Schuh ist wieder einsatzbereit!

So ein Jammer!

Aber der Schuh ist jetzt notdürftig geflickt und verklebt und sollte bis Narvik halten. Die Wetterprognosen sind relativ gut und trocken und somit sollte der Schuh keinen weiteren Schaden erleiden.

Mal schauen wie weit das hält…es lebe Gorilla Tape und Kleber👍😉

An meinem Ruhetag kann ich nun auch gemütlich meinen Blogbeitrag schreiben, viel essen und schlafen und mich auf die nächste Etappe nach Narvik freuen.
Die Strecke Kilpisjärvi-Narvik ist eine altbekannte für mich. Mittlerweile laufe ich diesen Teil zum 5! Mal. Es ist eine absolute Traumstrecke, mit sensationell schönen Hütten und die Etappen liegen zwischen den Hütten im mittleren Bereich von 15-24 Kilometern. Ich freue mich riesig darauf, gerade weil es jetzt auch mal die Sommervariante sein wird. Bisher habe ich diese Strecke immer im Herbst entweder von Süd nach Nord oder Nord nach Süd gelaufen. Allerdings könnten jetzt in der Hochsaison auch die Hütten relativ voll sein und so reserviere ich mal die ersten drei Hütten hintereinander vor. Gerade die erste Hütte in Gappo und die zweite In Rosta sind sehr beliebt und einfach erreichbare Hütten, da kann schon was los sein.

Mittlerweile sind jetzt rund drei Wochen hinter mir und Kilpisjärvi ist der Zeitpunkt und der Ort, eine erste Bilanz zu ziehen.
– Zeitlich bin ich perfekt unterwegs und durch den Gap gleich zu Beginn nach der Nordkinn Halbinsel, habe ich eine gute Reserve im Rücken. Hier muss ich mir keine Sorgen machen und auch der „Umweg“ über Alta wirkt sich somit nicht gross aus.
– Die Ausrüstung erfüllt zu 100% die Erwartungen. Ich habe bisher noch kein einziges Teil im Rucksack gefunden dass ich noch nicht gebraucht habe oder habe irgendetwas vermisst.
– Die Schuhwahl war absolut richtig und abgesehen von dem Defekt an den Schuhnasen, macht das laufen in ihnen einfach nur Spass. Meine Erwartungen sind dabei sogar noch übertroffen worden.
– Über die Verhältnisse und das Wetter brauche ich bei all den Bildern wohl kaum ein Wort zu verlieren, besser geht definitiv nicht. So unglaublich viel Glück zu haben ist ein grosses Privileg und ich hoffe auf die nächsten Wochen und Monate.
– Das wohl wichtigste an der ganzen Tour ist und bleibt aber meine Gesundheit und die stimmt mich mehr als zuversichtlich. Ausser den Anzeichen einer erneuten Schienbeinentzündung wegen dem Strassenlauf, dass ich schnell in den Griff bekommen habe und dem aufkommenden, noch schwachen Fersensporn, fühle ich mich topfit und gesund. Auch hier heisst es für die Zukunft: Daumen drücken!
– Ich spüre deutlich dass ich eigentlich mehr und länger am Tag laufen könnte. Etappen zwischen 30 und 40 Kilometer wären wohl gut möglich, doch es ist und bleibt meine Absicht, diese Etappen auf dem bisherigen Niveau zu behalten. Zum einen weiss ich, dass es mit den Hütten nicht machbar sein wird längere Etappen zu laufen da die Distanz zu klein ist und beim überspringen einer Hütte zu gross, zum anderen ist mir bewusst, dass meine Regeneration im Zelt schlechter ist. Mit dem Zelt wäre ich natürlich flexibler was die Länge der Etappen angeht, doch ich freue mich jetzt sehr auf das zukünftige Hüttenleben und es warten ein paar Dutzend neue Hütten auf meine persönliche Entdeckung, das motiviert mich noch mehr.

Doch jetzt heisst es erholen und dann geht es zurück nach Norwegen und den Weg nach Narvik, wo eine riesengrosse Überraschung auf mich warten wird!

Es folgt das nächste Kapitel: Faszination Dividalen und Rhokunborri