Duett in Trollheimen und Reinheimen


Anja hat mir/uns ein kleines aber feines Hotel in Oppdal reserviert. Eine im wahrsten Sinne „coole“ Überraschung ist die Küchenzeile inklusive Eisschrank im Zimmer. Diese kann ich perfekt für meine Eisbeutel brauchen. In der Apotheke besorge ich mir noch genug entzündungshemmende Salbe und auf Anraten einer befreundeten Physiotherapeutin mehr als genug Entzündungshemmer in Tablettenform. Sie hat mir als einzige Möglichkeit geraten, drei Tage voll durchzukühlen, die Creme in grosser Portion aufzutragen, möglichst wenig bewegen und zudem für fünf Tage die maximale Dosis an Tabletten zu nehmen. So könnte ich die Entzündung allenfalls eindämmen.
Nun liege ich auf dem Bett und ich fühle mich gerade ziemlich gerädert, voller Zweifel, verärgert über meine Dummheit und schlecht gegenüber Anja. Was, wenn es nicht besser wird? Ich habe mich seit Monaten so auf diese Zeit gefreut, es sollte ein absolutes Highlight werden meiner NPL Tour. Nun steht vielleicht meine Tour schon wieder auf der Kippe. Anja ist schon nach Oslo unterwegs und wäre wohl auch sehr enttäuscht, wenn es nicht klappen würde. MIST!

Tag 73+74 / Oppdal Ruhetage

Der zusätzliche Ruhetag in Oppdal ist dringend nötig! Die Entzündung hat nochmals deutlich an Fahrt aufgenommen. Eisbeutel, Kühlsalbe, Entzündungshemmer in allen Formen und Farben. Und natürlich Stillhalten trotz schönstem Wetter… mit einer kleinen Ausnahme: der Hausberg Hovden. Es ist Sonntag und am Wochenende fährt die kleine Gondelbahn hoch, das kann ich mir kaum entgehen lassen.

Im Winter Sessellift, im Sommer Gondelbahn
Snøhetta in der Ferne
Oppdal
Trollheimen im Blickfenster

Was für ein wunderschöner Tag, mit einer solchen Aussicht, Kaffee und Zimtschnecke!

Doch eigentlich kann der Tag nicht schnell genug vorbei gehen, denn mein Besuch ist schon in Oslo und wird morgen hier eintreffen. Somit werden auch meine NPL Ferien eingeläutet und die hab ich mir glaub ich schon mal verdient.

Kühlen was das Zeug hält!

Am Morgen spüre ich schon eine leichte Besserung, aber die Knochenhaut ist definitiv ziemlich entzündet. Schon erstaunlich… ein daumennagelgrosser Punkt mitten auf meinem Schienbein schmerzt wie eine ganze Sehnenscheidenentzündung. Ich kann den Punkt kaum berühren und wenn ich laufe, fühlt es sich an, wie wenn mir jemand dort mit einer grossen, dicken Nadel reinsticht! Einfach doof!
Aber meine Vorfreude auf Anja ist gerade so gross, dass ich mich pudelwohl fühle, positiv in die nächsten Tage sehe und eigentlich nichts Schlimmes passieren kann.
Ausser die Friseurin nimmt den Rasierer in die Hand und stutzt mir meine Federn!

So kurz war es schon lange nicht mehr

Während ich in einem Café auf den Zug von Anja warte, konsultiere ich nochmals eingehend das Wetter der nächsten Tage. Bis gestern hat es für das Innerdal und Trollheimen ziemlich mies ausgesehen. Regen, Wolken und kalter Wind waren in den Prognosen vorherrschend. Doch heute eine 180° Drehung. Es soll die nächsten Tage deutlich besser sein und sogar eine Spätsommerphase beginnen. Wer schon mal Bilder aus dieser Region gesehen hat weiss, hier braucht es unbedingt tolles Wetter, sonst verpasst man definitiv das Beste!

Momentane Wetterlage Norwegen
Schon seit einigen Wochen beobachte ich den Kampf diverser Tief- und Hochdrucksysteme über der Mitte und dem Süden Norwegens. Ein riesiges Skandinavienhoch liegt vor der Küste und ein grosses Tief im Osten. Ich bewege mich seit einiger Zeit immer im Grenzbereich dieser beiden Systeme und glücklicherweise immer auf der positiven Seite. Daher auch mein grosses Wetterglück im Namsdal und Trondheim.
Nun scheint sich das Hoch noch etwas weiter Richtung Osten zu bewegen und somit komme ich unter den Einfluss von schönem und stabilem Wetter. 200 Kilometer weiter östlich hingegen, sieht die Prognose ziemlich haarsträubend aus mit Dauerregen und viel Wind. Für die nächsten Tage sieht das nun absolut perfekt aus und ich hoffe sehr… es bleibt so. Würde sich das Hoch wieder westlich bewegen, würde ich unter den Einfluss dieses Sturmtiefs kommen und das Wetter in den Bergen könnte erbarmungslos umschlagen mit Sturmwinden und wahrscheinlich auch Schnee! Gerade für die National Parks in Breheimen und Jostedalsbreen wäre das natürlich sehr schlecht.

Endlich kommt der Zug aus Oslo mit Anja an. Mittlerweile ist es auch schon über einen Monat her seit Narvik und wieder bringt mir Anja neue Schuhe mit. Dieses Mal aber mit Anmeldung.
(Die soeben erworbenen Schuhe aus Steinkjer sind schon als eiserne Reserve unterwegs nach Haukeliseter.)

Mit Anjas Ankommen beginnen nun auch meine langersehnten Ferien…Wanderferien auf NPL… wie tönt das denn? Ich freue mich unendlich auf die nächsten zwei Wochen Zweisamkeit und auf ein mir unbekanntes Norwegen.

Tag 75 / Gjevillvasshytta DNT-Bårdsgarden DNT

Es scheint, dass meine Rosskur gut anschlägt und Anjas Anwesenheit nochmals einen Heilungsturbo verursacht. Meine Entzündung ist am Starttag tatsächlich deutlich zurückgegangen und ich bin mittlerweile sehr zuversichtlich, dass es weitergehen kann!

Geplant wäre ja, die Strasse zur Bårdsgarden DNT Hütte zu nehmen, doch Michael „Dschengis“ hat mir einen super Tipp, wie wir die Strasse umgehen können und erst noch landschaftlich eine Aufwertung erhalten. Er war selber vor ein paar Tagen hier und kennt das Gebiet schon bestens. (Herzlichen Dank Michael!)

Dafür müssen wir aber ein Taxi nehmen, das uns wieder ein Stück nordwärts bringt. So geht es nach einem reichhaltigen Frühstück Richtung Gjevilvasshütte des DNT. Sie ist die älteste Hütte im Trollheimen.

Sandy Beach bei Gjevilvass

Der Weg führt im Föhren- und Fichtenwald 11 Kilometer entlang des Sees bis zur kleinen DNT Hütte Vassendsetra am Seeende. Von dort hüpfen wir über einen Sattel zur Bårdsgarden Hütte. Der Herbst ist nun in vollen Zügen da und die Landschaft erstrahlt in knalligem Gelb und Rot.

Die Bårdsgarden ist ein grosses Haus, in dem auch eine Bauernfamilie wohnt. Wir werden den Luxus haben, den ganzen DNT Teil für uns geniessen zu können, da die Saison schon vorbei ist. Die Hütte war bis zum Wochenende noch ziemlich voll.

Bårdsgarden DNT

Der erste Tag verlief sehr gut mit meinem Bein. Die Schmerzen waren auszuhalten und mit den Medikamenten wird sich die Entzündung nicht mehr gross ausbreiten. Vor allem eines habe ich sehr genossen: Endlich mal gemütlich wandern, Tempo runter und sich mehr Zeit lassen. Anja sei Dank werde ich nun endlich mehr Muse haben und das macht auch super viel Spass!

Tag 76 / Bårdsgarden DNT-Innderdalshytta DNT

Von Bårdsgarden geht es nun weiter ins Innerdalen. Weltbekannt für die spektakulären Bilder der Gebirgszacken, der tiefen, grünen Täler. Genau solche Bilder schweben seit meinem Start im Kopf herum. Innerdalen bei schlechtem Wetter? Dieses Programm ist irgendwie nicht auf meiner Festplatte. Die Wetterprognosen zeigen nun deutlich aufwärts und es wird wohl tatsächlich eine Punktelandung des schönen Wetters geben.

Das Wetter ist perfekt und die Temperaturen sehr hoch, was uns schon beim ersten Anstieg richtig ins Schwitzen bringt. Der Weg durch das Medskaret hoch ist schlicht ein Traum. Die Farben, die Ausblicke und die Ruhe lassen uns immer wieder stehenbleiben.

Blick ins Innerdalen

Anja und ich entscheiden uns für den etwas sumpfigeren Weg durch das Tal. Der Alternativweg geht nördlich über ein Hochplateau zur Hütte. Steine werden wir in den nächsten Tagen aber noch genug haben.

Der Blick vom Portenpass ins Tal ist atemberaubend. Links und rechts gewaltige Felswände, in der Mitte des Tales der Bach Småfalla, der es an seinen Ufern grünen lässt.

Lusmira

Nach dem Abstieg der rund 600 Höhenmetern erreichen wir das Lusmira. Eine veritable Moor- und Sumpflandschaft und trockene Füsse gehören wieder der Vergangenheit an.

Ab und zu liegen verstreut Holzplanken und Stege im Moor rum, die allerdings mehr so aussehen, wie wenn man sie aus dem Flugzeug abgeworfen hätte. Sinn ergeben sie keinen.

Innerdalshytta DNT

Dann nach sechs Kilometer Schlamm und Sumpf erreichen wir die Innerdalshütte. Die bediente Hütte hat aber nur noch an den Wochenenden offen und so beziehen wir den wunderschönen selbstbedienten Teil. Wider erwarten sogar mit Dusche und Bad!

Tag 77 / Innerdalshytta DNT-Eiriksvollen DNT

Das Innerdalen gibt es also definitiv auch für uns mit Kaiserwetter, was für eine wunderschöne Überraschung am nächsten Morgen!

Skarfjellet
Innerdalstårnet

Mit 1a Bedingungen und Top motiviert geniessen wir unsere ersten Kilometer zum Flatvaddalen hoch. Im Schatten des mächtigen Innerdalstårnet erreichen wir nach knapp 1.5 Std. das Hochtal.

Das Panorama auf das Innerdalen ist umwerfend und könnte nicht schöner sein. Das Wetter prächtig aber ganz schön hitzig. Es ist unglaublich warm und lässt die Schweissperlen in Sturzbäche verwandeln.

Blaubeeren in Hülle und Fülle

Das Flatvaddalen zieht sich über knapp zehn Kilometer zwischen den riesigen Türmen entlang und lässt uns nur staunen. Die herbstlichen Farben geben das ihrige dazu.

Als das Tal zu Ende ist, steht uns noch die Meisterprüfung bevor. Eine fünf Kilometer lange Traverse auf 1100 MüM und dann ein satter Abstieg von 1000 Höhenmetern in 1.5 Km!

Die Knie freut’s!
Die Rype hat es einfacher
Das Talende
Garantierte Tiefblicke ins Sunndalen

Doch zuerst gibt es einmal eine gehörige Abkühlung im Gletscherbach.

Sunndalen in Richtung Sunndalsøra
Zumindest ein paar wenige Serpentienen hat es!

Die Sonne knallt aber nun mächtig auf die Köpfe. Es ist brutal heiss und die Abkühlung im Bach ist schnell egalisiert. Zum Glück ist der Weg gut machbar und auch trocken. Bei Nässe wäre das kein Vergnügen.

Wir vermeiden es vis a vis an die andere Talseite zu schauen, denn dort führt unser Weg morgen wieder 1200 Meter hoch!

Endlich kommen wir bei der DNT Hütte in Eiriksvollen an. Beide komplett nassgeschwitzt und die Knie hinter den Ohren. Das war wirklich steil! An der Hütte funktioniert der Wasserhahn nicht und es ist nicht ersichtlich, wo in der Nähe Wasser ist. Schade, die Hütte wäre sehr gemütlich aber wir entscheiden uns schnell für die Alternative. Sunndalsøra ist 12 Kilometer entfernt und so rufen wir ein Taxi, buchen das örtliche Hotel und eine Stunde später sitzen wir frisch geduscht beim Bier im Hotel: verdient!

Tag 78 Eiriksvollen DNT-Vangshaugen DNT

Nach einem guten Frühstück fährt uns das Taxi wieder zur Eiriksvollen Hütte zurück und wir beginnen den Aufstieg bei Kaiserwetter.

Langsam steigen wir an

Zum Glück befinden sich die ersten zwei Drittel noch im morgendlichen Schatten. Anders als auf der nördlichen Talseite gestern ist der Weg hier mehrheitlich eine Direttissima. Steil, steiler am steilsten. Wenn man sich statt zu bücken nach oben strecken muss, um Blaubeeren am Boden abzulesen, heisst das schon viel! Zum Teil hat es schon den Charakter eines Klettersteigs und ist nicht ohne. Das Ganze mit schweren Rucksäcken ist noch etwas herausfordernder.

Pellebua
1000 Höhenmeter sind schon geschaft.

Bei der Pellebua, einer privaten Hütte, kommen wir in die Sonne und nun wird das Schwitzen noch intensiver. Kein Lüftchen und nahezu 25°C wirken auf unsere Körper ein. Eine längere Pause im Schatten der Hütte mit kühlem Wasser gibt uns Power für die nächsten knapp 300 Höhenmeter, die jetzt weniger steil sind.

Vis a vis das Flatvaddalen von gestern

Die Entscheidung, über diesen hohen Sattel nach Vangshaugen zu gehen, statt die eher langweilige Variante durch das Grøjadalen, bereuen wir trotz den Anstrengungen keine Minute. Die Aussicht ist gewaltig schön.

Laut meiner Tourenplanung im Gaia GPS wäre eigentlich vorgesehen gewesen, dass wir direkt zur Raubergshütte des DNT wandern würden. Diese Etappe wäre aber sehr lange geworden und per Zufall habe ich gesehen, dass Vangshaugen noch bedient ist die nächsten drei Tage. Es ist die letzte Hütte in der Region, die noch bedient ist und da Anja und ich es alles etwas gemütlicher angehen wollen, haben wir die Strecke auf zwei Tage aufgeteilt.

Am höchsten Punkt auf rund 1300 MüM treffen wir ein norwegisches Paar, das uns darauf aufmerksam macht, dass es bis Vangshaugen kein Wasser mehr gibt. So reduzieren Anja und ich den Verbrauch etwas und denken gerade daran, was die beiden für einen steilen Abstieg vor sich haben. Bei Nässe möchte ich diesen Abstieg definitiv nicht machen!
(Ich bin mir ziemlich sicher, der Tipp von uns mit dem Taxi und dem Feierabendbier, wird beiden unten im Tal noch in Erinnerung sein.)

Am obersten See liegt Vangshaugen
Traumhafte Stimmung

Vorbei am Mellseterkollen sehen wir endlich die drei Seen bei Vangshaugen. Am hintersten der drei, am Storvatnet, sehen wir schon die DNT Unterkunft Vangshaugen. Rund neun Kilometer warten noch auf uns, wobei wir die letzten rund sechs Kilometer auf der Kiesstrasse statt dem Wanderweg machen wollen. Für heute ist genug und die Hitze treibt uns zum Feierabendbier. Doch die sechs Kilometer haben es noch in sich. Die Sonne brennt, es geht kaum Wind und die letzten Schlucke aus unseren Flaschen sind getrunken.

Endlich steht sie vor uns, die Vangshaugen DNT-„Hütte“. Was für ein unglaublich schönes altes Haus, in einer phantastisch schönen Landschaft. Ein englischer Lord hat es für sich als Jagdhaus erbauen lassen und für gerade mal 500 Pfund wechselte es nach der Jahrhundertwende um 1910 in den Besitz des DNTs.

Vangshaugen DNT

Wir werden herzlich empfangen und sogleich wird uns unser Doppelzimmer im Nebenhaus übergeben. Nach einer kühlen Dusche schauen wir uns zuerst das Lordhaus an. Uns bleibt die Puste weg vor lauter Staunen! Was wir sehen, ist einfach unglaublich schön und sowas von gemütlich, einfach kaum zu beschreiben. Das wunderschöne Herbstlicht und die verfärbten Bäume helfen sicherlich mit, die Atmosphäre noch romantischer zu gestalten.

Der Essraum ist wunderschön dekoriert und es ist für 16 Gäste aufgedeckt. Wir sind etwas erstaunt, dass nicht mehr Leute hier sind, denn es ist ein wunderschönes Wochenende angesagt. Doch uns soll es recht sein, so wird es gemütlicher. Wir haben noch eine Stunde Zeit bevor das Nachtessen serviert wird und so setzen wir uns mit einem kühlen Bier vor das Haus, mit Blick auf den See.

Irgendwie krieg ich mich gerade nicht mehr ein und in meinen Augen sammelt sich das Wasser. Es fliesst eine wohlige Wärme durch mich an diesem Ort und in meinem Kopf stürmt es. Mit Anja hier zu sein und diesen Moment zu geniessen, ist schon unbeschreiblich. Die Tour ist momentan so weit weg von mir.

In meinem Kopf rattert es und irgendwie wünschte ich mir gerade nichts sehnlicher, als einfach ein paar Tage hier zu bleiben um den Moment zu geniessen. Ist es Tour Müdigkeit, ist es eine Sinnfrage, oder schlicht das Bedürfnis, einfach das zu machen, worauf ich jetzt gerade am meisten Lust habe?
Ich frage Anja: „Kannst du mir erklären, warum ich das wahrscheinlich nicht machen werde? Warum werde ich diese Situation nicht nützen?“
Anja weiss die Frage nur zu gut zu deuten, aber auch sie wird keine Antwort darauf haben. Sie hat letztes Jahr die Tour selber gemacht und kennt die Fragen nur zu gut. Es sind die Fragen, auf die es keine selbsterklärenden Antworten gibt. Ich fühle gerade sehr intensiv, dass ich mit Vangshaugen ein Schlüsselerlebnis habe, eines das den Rest meiner Tour mit Sicherheit prägen wird… wie auch immer!

Zum Glück ist Zeit für das Abendessen, ich merke gerade, dass dieser Moment wahnsinnig viel mit mir macht.
Wir treffen auf sehr nette Leute, geniessen ein sehr leckeres Essen mit einem guten Glas Wein und legen uns müde und zufrieden ins Bett.

Tag 79 / Vangshaugen DNT-Raubergshytta DNT

Der Morgen erwacht, wie der Abend gegangen ist… traumhaft! Die unglaubliche Ruhe am See, das ehrwürdige Haus, das langsam in den Tag erwacht. Meine Gedanken, die immer noch von einer Ecke zur anderen fliegen. Vielleicht ist es einfach auch gerade etwas zu viel. Die unglaublich schönen Erlebnisse, das unwahrscheinliche Glück bisher mit allem, der Gedanke, dass Anja schon bald wieder weg ist und seit Tagen auch nicht so gute Nachrichten von zu Hause.

Das mit Herz zubereitete Frühstück, die lieben Menschen am Tisch, bringen mich wieder etwas auf die Linie. Ich weiss, dass Anja meine Gedanken versteht und ich bin gerade richtig glücklich, dass sie hier ist. So werden wir den neuen Tag auch positiv zusammen Richtung Raubergshytta des DNT starten.

Tusen takk für die Gastfreundschaft 

Die Verabschiedung von der Hüttenwartin ist sehr herzlich und wir sind ihr sehr dankbar für diesen wunderbaren Aufenthalt.

Die ersten Meter am Ufer des Storvatnet sind traumhaft schön und man kann nachvollziehen, warum jemand diesen Ort für ein Domizil gewählt hat. Kurz darauf steigt der Weg steil zum Svøubotnin an, einer Hochebene die über mehrere Kilometer bis zu unserem höchsten Tagespunkt führt, dem Styggøypetpass. Viele kristallklare Seen und immer höher werdende Berge säumen unseren Weg.

Morgen in Vangshaugen

Ein steiler Aufstieg führt uns dann über den Pass in eine veritable Mondlandschaft, dem Blekbuafjellet. Steine über Steine, Geröll über Geröll führt uns schliesslich zur Steinhütte Raubergshytta des DNT.

Passübergang zum Blekbuafjellet
Steine über Steine
Raubergshytta DNT

Schon von weitem sehen wir Betriebsamkeit um und in der Hütte. Sechs Mitglieder, sogenannte Dugnats (Freiwillige), sind gerade damit beschäftigt, die Hütte auf Vordermann zu bringen und auch winterfest zu machen. Sie machen uns ein Zimmer bereit und wir geniessen nach einem weiteren Hitzetag das mitgebrachte Bier vor der Hütte.

Nach dem Abendessen sind Anja und ich aber relativ schnell im Bett. Die Hitze und die Steine haben ihren Tribut gefordert und wir sind ziemlich auf den Felgen.

Tag 80 / Raubergshytta DNT-Auersjøhytta DNT

Mittlerweile bricht schon der 80. Tag meiner Tour an, Wahnsinn! Die Zeit verfliegt so schnell und ich kann kaum glauben, dass es in etwas über drei Wochen schon wieder vorbei sein soll.
Gute Nachrichten gibt es für mich mittlerweile von meiner Gesundheitsfront. Die Entzündung ist praktisch weg und es zeigt sich auch, dass das tiefere Tempo meinen Fersensporn zum verschwinden bringt. Das sollte ich mir tunlichst merken wenn ich wieder alleine unterwegs bin!

Der nächste Tag beginnt mit vielen Wolken und ziemlich heftigem und kaltem Wind. Was für ein Unterschied zu gestern. Wir ziehen einsam unsere Bahn durch diese beeindruckende Mondlandschaft. Erst als wir langsam Höhe verlieren, wird es wieder grüner.

Schon bald verziehen sich die Wolken und die Sonne kommt hervor. Doch der kalte Wind bleibt und er wird auch stärker. Als ich wieder Mobilfunkempfang habe, konsultiere ich die Grosswetterkarte und meine Augen sehen etwas sehr Unerfreuliches. Das fiese Sturmtief im Osten nähert sich wieder und das bedeutet definitiv nichts Gutes.

Laut Prognose wird das Zentrum genau über uns zu liegen kommen

Für morgen und übermorgen sind nicht nur Sturmwinde vorausgesagt, sondern auch heftiger Regen. Die Warnstufe ist auf „Very heavy rain“ und zudem läuft eine Flutwarnung. Unser heutiges Ziel liegt am grossen Stausee Aursjø. Die DNT Hütte ist im Sommer bedient, ist aber seit zwei Wochen geschlossen und nun eine Selbstbedienungshütte. Von dort würde unser Weg 27 Kilometer nach Bjorli über die Berge gehen. Mit knapp 1600 MüM ist der Pass aber sicher nicht begehbar bei dem Wetter. Hier müssen wir sogar mit Schnee und Eis rechnen. Wäre ich alleine, würde ich es vielleicht mit Aussitzen probieren, Zeit hätte ich ja genug. Doch mit Anja will ich nicht zwei oder drei Tage auf einer Hütte blockiert sein und dem Sturm zuschauen.

Kurzum beschliessen wir noch auf dem Weg nach Auersjø, welches an einer Passstrasse liegt und im Sommer viele Motorräder anlockt, ein Taxi zu bestellen, das uns wieder nach Sunndalsøra bringt. Danach fahren wir mit dem Bus nach Oppdal, von dort mit dem Zug nach Dombås. Dort übernachten wir und danach geht es mit dem Zug hoch nach Bjorli. Um die 27 Wanderkilometer zu überbrücken, müssen wir satte 270 Km Umweg und rund 6 Std. Fahrzeit in Kauf nehmen!

Die „Hütte“ ist riesig und wir haben alles für uns alleine. Draussen tobt der Wind und die Wellen klatschen meterhoch an die Staumauer. Ab und zu fahren noch Autos oder Motorräder vorbei, doch anhalten will in diesem Sturm niemand.

Trotz Sturmwarnung… Laune bleibt bestens!
Wilder See Aursjø
Aursjø DNT

Auch hier finden wir wieder einen grossen Vorratsraum, eine heisse Dusche und jede Menge Platz in der grossen Stube. In der Nacht tobt der Sturm ums Haus und auch die Schneefallgrenze sinkt deutlich ab.

Tag 81 / Auersjø-Dombås (Transfer)

Das Taxi ist auf 10.00 bestellt und so  kommen wir mit allen Anschlüssen um 15.30 in Dombås an. Es ist immer negativ und traurig, wenn man Wegstrecke überbrücken muss, aber hier hätten wir volle zwei oder drei Tage aussitzen müssen und das hätte auch terminlich nicht mehr mit Anjas Abreise gepasst. Denn diese ist gesetzt und gute Ausstiegsmöglichkeiten gibt es hier nicht.

Tag 82 / Bjørli-Pyttbua DNT

Am nächsten Tag fahren wir mit dem Zug nach Bjorli und dort mit einem Shuttletaxi bis zum Einstieg zur Pyttbua Hütte des DNT. Mit dem Taxi können wir uns ein paar Kilometer Asphalt ersparen.

Der Weg hoch in die Pyttbua ist sehr schön an Wildbächen gelegen. Die Herbstfarben sind auch hier eine Pracht. Der Fahrer hat uns noch auf die hochgehenden Bäche hingewiesen, es hat einiges runtergelassen in den letzten zwei Tagen. Wieder war die Entscheidung goldrichtig und gerade bei solchen Wetterprognosen sollte man Vorsicht walten lassen!

Reinheimen National Park
In Hülle und Fülle 
Pyttbua DNT
Unser Kabäuschen

Im Vorfeld habe ich die Hütten vorreserviert, weil ich sicher gehen wollte. Doch Pyttbua zeigt gerade wieder, dass das ganze Reservationssystem überhaupt nicht funktioniert und eine ärgerliche Anekdote ist und mehr nicht. Die Reservationsseite von Pyttbua zeigt an, dass alle 31 Plätze reserviert sind die man online auch reservieren kann. 20 Plätze sind Drop In, also nach dem Motto „first come, first serve“. Doch als wir ankommen, ist eine Hütte voller Schüler, ein riesiges Chaos und eine Müllhalde und in der anderen sind die Lehrer einquartiert. Ein Lehrer erklärt uns, dass alle Plätze reserviert seien, er mache das immer so im Herbst. Meine Anmerkung, dass das nicht die DNT Hüttenregeln sind, quittiert er mit einem gleichgültigen Schulterzucken. Zum Glück ist etwas entfernt noch die kleine Hundehütte mit drei Schlafplätzen. Sie ist speziell für Hundehalter vorgesehen. Anja und ich quartieren uns dort ein und haben so wenigstens unsere Ruhe. Es ist gemütlich in der Minihütte und wir sind ganz zufrieden.

Die Wetterprognosen waren etwas durchzogen für den Reinheimen National Park, den wir gestern betraten. Das kleine Sturmtief hat die Temperaturen mächtig in den Keller sinken lassen. Und leider tummelt es sich immer noch in der Gegend rum. Das bedeutet, Augen und Ohren offen halten für die Berge.

In der Nacht zischt es gewaltig um unsere Hütte rum und es regnet heftig. Am Morgen sehe ich die umliegenden Berge unter einer weissen Kappe! Und noch während dem Frühstück stieben Schneewolken über Pyttbua.

Tag 83 / Pyttbua DNT-Reindalseter DNT

Unser Weg führt heute ins Övre Reindalen und die DNT Hütte Reindalseter. Zuerst geht es entlang dem See Nørdre Botnvatnet durch ein Hochtal zum Passübergang Isholfjellet. Schon beim See spüren wir heftige Windböen und der Wind ist sehr zügig. Ab und zu kommt wieder ein Schneegestöber von hinten, aber zum Glück setzt sich auch die Sonne immer mehr durch. Doch es ist eisig kalt.

Eisig 

Als wir vor dem Aufstieg zum Pass stehen, sehen wir auch Seile auf dem Weg. Es wird zum Teil ordentlich steil aber gut machbar, weil es mittlerweile abgetrocknet hat. Durch die Topographie sind wir etwas im Windschatten. Wir steigen bis knapp 1550 MüM hoch, bevor der Pass erreicht ist. Die Hoffnung, dass es im Reindalen windärmer ist, erfüllt sich keineswegs, im Gegenteil. Der stetige Wind wird massiv stärker und die Böen erreichen jetzt grenzwärtige Stärke. 2, 3 Mal wischen uns Böen von den Beinen, was in diesem steilen und felsigen Gelände alles andere als angenehm ist. Anja und ich werfen uns mittlerweile zu Boden, wenn sich Böen ankündigen. Doch diese kommen oft wie ein Gewehrschuss und wir können nicht darauf reagieren.

Windig und wie 

Als wir am See Isholvatnet ankommen, haben wir das Schlimmste überstanden. Doch ab und zu holt uns wieder eine Böe aus dem Gleichgewicht. Doch hier ist es jetzt flach und nicht mehr gefährlich. Das war jetzt definitiv ein Teufelsritt und einmal mehr wird uns bewusst, wie kräftig die Natur sein kann. Da hilft auch Zusatzgewicht am Rücken nichts mehr.

Wir bleiben standhaft!

Das Øvre Reindalen ist wunderschön und das raue Wetter mit seiner besonderen Stimmung macht es noch schöner und wilder.

Vor uns erheben sich die gewaltigen Berge des Tafjordfjells. Schon bald blicken wir in das tiefe Tal des Reindalen. Eine faszinierende Moorlandschaft mit uralten Kiefern und  Birken. Durchzogen von zig Wildbächen mit Wasserfällen und eingebettet von gletscherbehängten Bergen. Wir schauen uns beide an und kommen beide zum gleichen Schluss… das ist Kanada. Die Ähnlichkeit zu Gebieten wie man sie in British Columbia kennt, ist frappant. Inmitten dieser Landschaft schliesst der See Langvatnet den Talkessel ab. An dessen östlicher Seite liegt schön eingebettet die Reindalseter Hütte des DNT. Die Hütte ist kurz im Sommer bedient, so heuer bis Mitte August. Jetzt ist es eine Selbstbedienungshütte.

Tafjordfiellet

Wir können uns im Abstieg zur Hütte kaum an dieser eindrücklichen Landschaft sattsehen. Als wir zu den grossen Gebäuden kommen, sehen wir überall Lichter brennen, Fenster sind offen und es macht den Eindruck, dass jemand hier ist. Doch egal wo wir nachschauen, es ist niemand zu sehen. In der Küche sieht es aus, als ob jemand gestern noch gekocht hätte, auch der Kühlschrank ist voller Lebensmittel. Naja, vielleicht kommt ja noch jemand und so beziehen wir ein Zimmer. Zu unserem Erstaunen ist die Dusche noch in Betrieb und es ist geheizt in den Gebäuden. Normalerweise ist das nach Saisonschluss alles abgestellt. Es scheint, dass die Einwinterungsarbeiten noch nicht abgeschlossen sind, obwohl das Haus seit einem Monat nicht mehr offen hat. Vorteil für uns!

Reindalseter DNT

Trotz anderer Informationen hat es kaum Mobilfunkempfang hier, was uns die Planung für den nächsten Tag erschwert. Die nächste Hütte wäre die Danskehütte in den Bergen, auf unserem Weg nach Grotli. Angekündigt ist seit Tagen noch mehr Niederschlag und sinkende Temperaturen, die auch unter den Gefrierpunkt sinken können. Jetzt haben wir nur spärliche Infos und die sehen nicht gut aus: Schnee! Die Danskehütte ist die höchstgelegene Hütte im Gebiet mit knapp 1500 MüM und vor ihr ist ein Sattel mit 1600 MüM zu überwinden.

Wir vertagen unsere Entscheidung für den Morgen, ob wir einen Tag aussitzen oder via Veltdalshytta DNT nach Billingen runtergehen. Das wäre knapp 13 Kilometer von Grotli entfernt, wo wir für zwei Nächte im Høyfjellshotell eingebucht sind. In Grotli ist mein nächster Ruhetag und tags darauf wird Anja leider schon wieder abreisen.

Bis zum Abend bleiben wir definitiv die einzigen in der Reindalseter. Es tut gerade unheimlich gut, mit Anja über die nächsten Wochen zu sprechen. Oft leidet man auf so einer Reise auch ein bisschen an Tourblindheit und sieht die wirklich wichtigen Zusammenhänge nicht mehr. Da hilft ein Blick von aussen mit den erfahrenen Gedanken einer Anja sehr viel.

Als ich am Morgen zum Fenster rausschaue, bestätigt sich der Verdacht. Bis auf rund 1200 MüM liegt Schnee! So ist sofort klar, die Danskehütte und somit der kürzeste Weg nach Grotli sind gestrichen. Schnee auf Felsen und Geröll und gefrierende Temperaturen sind zu gefährlich. Somit tritt Plan B in Kraft. Rund 10 Kilometer hoch zur 1200 MüM gelegenen grossen Veltdalshütte und dann am nächsten Tag rund 20 Kilometer zur Strasse runter.

Etwas, was sich prägnant verändert hat seit Oppdal, sind klar die Distanzen. Wo vorher 25 oder 30 Kilometer am Tag kein Problem waren, können jetzt schon 10 oder 15 Kilometer einen Tagesmarsch bedeuten. Das Gelände und die vielen Höhenmeter bremsen das Vorwärtskommen deutlich aus. Aber das alles stört mich gerade herzlich wenig, denn schliesslich habe ich ja Ferien.

Tag 84 / Reindalseter DNT-Veltdalshytta DNT

Es ist schon krass… vier Tage vorher kämpfen wir noch mit Hitze und brennender Sonne und jetzt machen wir Umwege wegen Schnee und Eis. Heute morgen sind es in Reindalseter gerade mal vier Grad und 500 Höhenmeter weiter oben müssen wir mit Minusgraden rechnen.

Endlich kommt ein Wetterbericht für heute rein und der sieht leichter Regen- und Schneefall für den ganzen Tag voraus. Die Temperaturen bleiben sehr bescheiden bei rund vier Grad stehen. Heute Morgen drückt aber sogar blauer Himmel durch, hat sich yr.no wohl wieder etwas zu negativ gezeigt? Wir machen uns bereit für die zehn Kilometer zur Veltdalshütte, rechnen aber mit Niederschlag.

Wir verlassen Reindalseter und machen uns auf den Weg zum Glupenfjellet. Ein wunderschönes Hochmoor, das gerade jetzt im Herbst in all seinen Farben erstrahlt. Immer mehr drückt auch die Sonne hervor und von Regen oder Schnee ist nichts zu sehen.

Glupenfjellet
Nedre Veltdalen

Schon bald geht es ins Tal Nedre Veltdalen hinein. Der Pfad presst sich an die Nordhänge des Tales und hat ab und zu den Charakter eines Gebirgswegs mit viel Luft an der rechten Seite. Links sind  hohe Felswände, die den Weg begrenzen. Wir sind beeindruckt von der Schönheit des wilden Tals und freuen uns sehr, dass das Wetter deutlich besser ist als prognostiziert.

Wie eine abschliessende Treppenstufe erreichen wir das Ende der Steigung. Massive Gletscherschliffplatten beherrschen das Bild.

Der See Smettevatnet ist einer von mehreren Stauseen hier im Tafjordfjell. An dessen Ufer ziehen wir entlang zur Veltdalshytta DNT. Die Landschaft ist sehr rau aber wunderschön. Die hohen Berge sind alle frisch verschneit und die Temperaturen zeigen hier oben nur noch eine Null an.

Und es wuselt hier und dort…Lemminge

Die Veltdalshütte ist eine der beliebtesten und meist frequentiertesten Hütten im Tafjord und Reinheimen. Schlafplätze für 51 Leute und eine super Infrastruktur, inkl. fliessendem Wasser. Hier kommen wir schon um 13.30 an und geniessen aus dem proppenvollen Vorratsraum  Pfannkuchen und viel Marmelade!

Veltdalshytta DNT

In der Nacht muss ich mal raus und siehe da, das Glück scheint uns hold zu sein. Der Himmel hat aufgerissen und die ersten Polarlichter wabern über das Firmament. Ich wecke Anja und kurz darauf stehen wir in klirrender Kälte draussen und geniessen die Sondervorstellung am Himmel.
Mich überkommt ein unglaubliches Glücksgefühl. Es ist ein grosses Privileg, wenn man als NPL Southbounder die Mitternachtssonne UND die Polarlichter sehen kann. Und es macht mich vor allem sehr glücklich, dies mit Anja erleben zu dürfen.

Polarlichter über dem Tafjord

Schon bald sind wir durchgefroren und kriechen wieder in unsere warmen Betten.

Tag 85 / Veltdalshytta DNT-Grotli

Der Morgen erwacht und es ist eisig kalt draussen. Wir sind in dieser Nacht alleine geblieben in der riesigen Hütte und geniessen zuerst in aller Ruhe ein ordentliches Frühstück.
Ein schneidender Wind begleitet uns auf den ersten Kilometern Richtung Billingen.

See Fremste Veltdalsvatnet

Über den Kuppenpass zieht der Weg dann rund 10 Kilometer ins Tal runter. Die eisigen Temperaturen begleiten uns auch im Angesicht der vor uns auftauchenden Gletscher des Breheimen National Parks. Zum Glück kommt immer wieder die Sonne etwas hervor und lässt auch das Eis und den Schnee schnell schmelzen.

Kuppenpass
Das lange Torrdalen

Plötzlich führt der markierte DNT Weg vom eigentlichen Weg fort. Anja und ich sind uns gerade nicht sicher, ob das wirklich richtig ist. Ein paar Markierungen und Steinmänner zeigen den Weg und auch in der ut.no App des DNTs führt der Weg nun auf der linken und nicht mehr der rechten Seite des Baches runter. Rechterhand wäre ein gut sichtbarer Weg und wir kämpfen uns durch Gebüsch, Sumpf auf kaum sichtbaren Wegspuren. Plötzlich fehlen die Markierungen auch noch und nur noch ein paar vereinzelte Steinmänner sind sichtbar.
Wir schütteln beide den Kopf und verstehen die neue Wegführung nicht. Der Bach wäre an der Weggabelung gut zu furten gewesen und hätte kein Problem dargestellt. Doch vielleicht liegt es auch am momentan tiefen Wasserstand – bei Regen sieht das vielleicht anders aus.
Noch ahne ich nicht, dass dieser Wegabschnitt viele Kilometer später in Finse zu viel Gelächter führen wird!

Breheimengletscher am Horizont
Die Strasse in Billingen kommt in Sicht

Durch wunderschön gefärbte Birken und knorrige Föhren, erreichen wir schon bald Billingen.

Danke Reinheimen, das war Extraklasse!

Als wir im Høyfjellshotel Grotli ankommen, staunen wir zuerst mal Bauklötze! Was für ein wunderschönes Hotel mit so unglaublich viel Geschichte, einfach der Hammer.

Wir haben uns hier für zwei Nächte ein schönes Zimmer reserviert, da ein Ruhetag angesagt ist und leider auch die Abreisevorbereitung für Anja! Unglaublich wie schnell die Zeit vergangen ist. Es war eine wunderschöne Zeit in trauter Zweisamkeit und ich habe diese zwei Wochen so sehr genossen! Ich spüre, dass ich sehr viel neue Kraft getankt habe und absolut bereit bin weiterzugehen. Doch im Kopf geht es mir gerade nicht gut, denn der Abschied fällt mir brutal schwer.

Als wäre es nicht genug mit dem Abschied, kommt nun ein weiterer, sehr entscheidender Faktor hinzu der mich stark belastet. Das Wetter!
Die nächste Etappe nach Tyinkrysset führt mich über die höchsten Berge auf meiner Tour, vorbei an den Gletschern von Jostedalsbreen und Breheimen. Hier werden Höhen von 1900 MüM erreicht und die Landschaft ist äusserst karg und ausgesetzt. Mittlerweile liegt in den höheren Lagen noch Schnee von vor zwei, drei Tagen und sämtliche Wettervorhersagen zeigen eindeutig einen ziemlich heftigen Kälteeinbruch und Sturm voraus. Das Sturmtief hat sich jetzt definitiv genau über mir gefestigt und es sind in den nächsten zwei Tagen bis zu 30-40 cm Schnee zu erwarten bei durchschnittlichen 80-100 Km/h Wind. Das Ganze wird abgerundet mit Minustemperaturen und höchstwahrscheinlich nur sehr wenig Sicht.

Mein Weg würde über das Sognefjell führen, doch hier sind mittlerweile alle privaten Hütten geschlossen und es wären mindestens zwei Zeltnächte vorgesehen.
Ich muss nicht lange überlegen oder hadern, ich bin definitiv nicht für winterliche Verhältnisse ausgerüstet und trotz meiner alpinen Erfahrung, sehe ich hier zu viele negative Faktoren um meinen Plan weiterzuführen. Ich bin sehr enttäuscht, denn ich habe mich unheimlich auf diesen Part gefreut. Kein Wunder, als Schweizer Bergziege liebe ich genau dieses Terrain, die Gletscher und die Berge.

Die Alternative etwas ostwärts über die leicht tiefer gelegene Leirvassbua und somit den Jotunheimen National Park bietet mir keine sinnvolle Lösung. Auch da ist schon ziemlich alles dicht und der Sturm wird wohl nicht weniger sein dort.
So würde eigentlich nur eine Möglichkeit offen bleiben, nämlich der Weg über Lom bis ins Gudbrandsdalen nach Otta runter. Von dort wieder zurück auf meine Route wäre allerdings eine halbe Weltreise und würde mich viele Tage kosten und vor allem auch viele Strassenkilometer. Hinzu kommt, dass ich dann fast den gleichen Weg südwärts gehen müsste, welchen ich 2013 nordwärts genommen habe. Auf das habe ich allerdings absolut keine Lust und es würde komplett gegen meine Vorstellungen gehen. Ich würde praktisch alles verpassen, worauf ich mich jetzt Monate so gefreut habe.

Viele Gedanken kreisen im Moment im Kopf und die nächste Etappe nach Tyinkrysset hat gerade sehr viel Ungewisses. Ich möchte jetzt einfach nur noch loslaufen und meinem Plan bis Lindesnes mit freiem Kopf folgen. Ich habe ganz grosse Lust auf das Laufen, draussen sein und die permanente Umplanerei soll jetzt ein Ende haben. Anja spürt meinen innerlichen Kampf sehr gut, doch sie kann mir natürlich auch nicht gross helfen.

Tag 86 / Grotli Ruhetag

Während des Ruhetages sitzen wir quasi mitten im Auge des „Hurrikans“. Der Himmel reisst auf und die Sonne scheint, wie wenn nie etwas anderes geplant gewesen wäre.

Ein Tag, an welchem der Frust tief ins Herz bohren könnte, doch ich lasse es nicht zu. Wenn ich auf die letzten zwei Monate zurückblicke, dann kann ich mich nur glücklich schätzen und mehr als zufrieden sein. Auch die letzten zwei Wochen waren wieder pures Glück und schlussendlich kann ich an der Situation nichts ändern. Da ich zuallererst auf meine Gesundheit schaue, keine Risiken eingehen will und weit davon weg bin, aus falschem Ehrgeiz irgendetwas durchzumurksen, fällt jetzt eine Entscheidung.

Kurz und gut, ich werde am Sonntag mit Anja in Grotli abreisen und nach Tyinkrysset fahren, wo ich die Tour bis Lindesnes zum Abschluss bringen will. Ich habe gerade hier in Trollheimen und Reinheimen gesehen, wieviel mir dieses Wandern bedeutet, ohne dass ich permanent auf Kilometer oder zusammenhängende Linien schauen muss. Ich habe definitiv eine andere Ausgangslage als die wenigen NPL-Läufer, die jetzt noch unterwegs sind und bald ihr Ziel zum ersten Mal erreichen werden. Viele haben aufgegeben dieses Jahr, ich habe meine Tour anders gestaltet und andere werden ihre gesteckten Ziele erreichen. So soll es sein und so passt es!

Ich entscheide mich, den Part von Grotli nach Tyinkrysset in einem anderen Jahr nachzuholen. Ich will unbedingt hierher zurückkehren und diese rund acht tägige Tour nachholen. Jetzt wird es nicht gehen und das habe ich akzeptiert.

Es folgt das nächste Kapitel: Sprung nach Skarvheimen