Nach der Tour
… Ich laufe gerade von Steinkjer nach Verdal runter und erinnere mich noch haargenau an meinen „Restart“ 2015 in Verdal am Bahnhof…
Nein, ich bin nicht wieder auf NPL unterwegs, sondern Zuhause und schreibe gerade diese Zeilen.
Kennt ihr das nicht auch? Da sind tausend Erinnerungen an eine wunderschöne Tour im Kopf und kaum ist ein Jahr vorbei, denkt man: heute vor einem Jahr war ich genau dort und habe dies und jenes gemacht. Oder es sind schon drei Jahre her, vielleicht schon zehn Jahre und es ist so präsent, wie wenn es gestern gewesen wäre.
Seit Wochen geht es mir nun schon wieder so. Jeden Tag fallen mir all die Erlebnisse, Stimmungen und Emotionen auf der Tour wieder ein. Am 28. August 2025 wird es dann sogar doppelt so intensiv, denn dann jährt sich meine Ankunft am Nordkap zum zehnten Mal!
Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht, egal ob ein Jahr oder zehn Jahre, es rauscht nur so an einem vorbei.
Meine Tour ist schon länger vorbei, soeben habe ich meinen letzten Teil des Tourberichts veröffentlicht und meine beiden grossen Vorträge in der Heimat, sind auch schon seit dem März Vergangenheit. Was bleibt übrig?
14`000 Kilometer CH-NPL, anlässlich meines Vortrags in Meiringen: Pesche, Anja und Johannes
Mit einem Schmunzeln habe ich nochmals meinen „Vor der Tour“ Beitrag gelesen. All die Ideen, die Gedanken, die Pläne und Absichten, sie sind immer noch so präsent, wie wenn ich den Artikel gestern geschrieben hätte. Wie ich aber schon damals vorausgesagt habe: 1. kommt es anders und 2. als man denkt!
Wie recht ich doch auch dieses Mal hatte.
Dass sich praktisch alles nur zum Positiven entwickelt hat, ist für mich noch immer ein grosses Wunder und erfüllt mich mit riesiger Dankbarkeit. Kaum gesundheitliche Probleme, sensationelles Wetter mit Top Verhältnissen, wenig Mücken oder sonstiges „Gefliege und Gekrabel“, organisatorisch alles bestens aufgegangen und meine Wünsche zu 95% erfüllt. Da kann ich beim besten Willen kaum mehr etwas dazufügen.
Fazit:
Ich hätte mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass meine Tour genau das Ziel erfüllt, dass ich bei Beginn angestrebt habe. Und doch ist es genauso gekommen. Nicht nur, dass ich am 21. Juni meine Hände auf den Leuchtturm in Slettnes gelegt habe, 108 Tage später auf jenen in Lindesnes. Vier Monate hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, Antworten zu finden und mich von meinen Gedanken treiben zu lassen. Jetzt, nach der Tour, kann ich mein persönliches Buch zu Norge på langs schliessen und mich von der Vereinnahmung der letzten Jahre lösen.
Vieles ist mir 2024 auf den 2`400 Kilometer klarer geworden, hat sich gefestigt und mich, so denke ich, freier in meinem Denken, meinen Vorstellungen gemacht. Ich habe mich weit davon entfernt, Norge på langs mit technischen Augen zu sehen, als einen Leistungsausweis oder Beweis dafür, dass ich etwas machen kann was andere so vielleicht nie tun werden. Vielmehr ist es eine Reise zu mir selbst geworden (ohne jegliche spirituelle Avancen). Einmal mehr hat mir Norge på langs gezeigt und bewiesen, dass es keine „normale“ Tour ist, so wie man sie aus anderen Teilen der Welt kennt.
Auch 2024 hat es wieder völlig unterschiedliche Touren gegeben. Eine jede, ein jeder wird für sich das Richtige wählen, das Richtige tun und vielleicht während der Wanderung spüren, dass sich alles in eine ganz andere Richtung bewegt, als dass es ursprünglich geplant war. Auch für mich hat sich die Sichtweise während der Tour verändert, habe ich Sachen mehr gewichtet als ich es während der Planung gedacht habe. Vielleicht war es einfach wieder ein bisschen Lebensschule auf freier Wildbahn.
Fertig, Aus, Schluss?
Naja, hätte ich dies zu meinen Voraussetzungen nach der Tour gewählt, so wäre bei mir ausser einem müden Lächeln wohl kaum was übrig geblieben. Natürlich war es nicht mein Ziel, nach Ankunft am Leuchtturm in Lindesnes das Handtuch zu werfen und mich komplett von der Tour zu verabschieden. Etwas, was mein Leben in vielerlei Hinsicht über eine Dekade so geprägt und seinen Platz in meinem Herz gefunden hat, wird auch weiterhin präsent bleiben. So bin ich natürlich auch 2025 wieder sehr interessiert, was alles auf der Tour geht und ich freue mich auch über die Kontakte während der Reise der anderen. Doch es ist bei weitem nicht mehr so viel wie die Jahre vorher und ich halte mich zurück, versprochen! Auch wenn ab und zu etwas Entzugserscheinungen am Horizont auftauchen, hält sich das ganze in Grenzen und ich bin ganz zufrieden.
Ich habe in all den Jahren ein grosses Wissen über die Tour aufgebaut und es wäre schade, all das einfach aus Prinzip in einer Kiste einzumotten. Ich freue mich, auch weiterhin ein kleiner Teil der Tour zu sein und bin sicher immer gerne mit Rat zur Stelle.
NPL Treffen der 2023er in Deutschland zu dem ich auch eingeladen wurde, was mich sehr gefreut hat!
Als Simon Michalowicz und ich 2012 unabhängig voneinander die Tour planten und noch völlig ohne Informationen oder Support an die Sache ran gehen mussten, fühlte sich das alles noch sehr „expeditionsmässig“ an. Wir waren damals ziemlich froh darüber, dass wir unseren Austausch haben durften.
Heutzutage ist die Tour hinsichtlich der Planung und den technischen Voraussetzungen deutlich komfortabler und einfacher geworden. (Laufen muss man sie aber immer noch selber und das ist bis heute kein Sonntagsspaziergang!) Wo wir noch unterwegs mit Kompass und Karten, in unbekannten Fjells unsere Schuhe mit Sumpfwasser füllten, wandern heute die meisten mit Hilfe von zig Infos aus dem Internet, Tourplanungsapps mit Satellitenunterstützung und Mobilfunkempfang für bestes Netflixkino, durch die selben, mittlerweile bekannteren Fjells und füllen sich die Schuhe immer noch mit demselben Sumpfwasser.
Dass unsere Bücher, die vielen Vorträge und unsere Blogs ein solches Echo auslösen würden, damit haben wir beide wohl kaum je gerechnet. Auch wenn es (zum grossen Glück!) nie einen wirklich grossen Hype auf Norge på langs gab und die Zeichen deuten auch darauf hin, dass dies wohl so bleibt, ist es immer wieder erstaunlich, wie unsere Namen präsent sind in der Szene. Kaum ein Wanderer unterwegs, der nicht eines unserer Bücher gelesen hat, einen Vortrag besucht hat, oder sich sogar selber auf Norge på langs aufgemacht hat. Immer wieder bin ich ziemlich beeindruckt, wenn man sich des Ausmasses bewusst wird, etwas was so nie geplant oder beabsichtigt war.
Umso schöner sind all die Begegnungen unterwegs, die Feedbacks Zuhause, wenn man spürt, dass ein Funke dieser Faszination übergesprungen ist, man vielleicht der Auslöser war, dass sich jemand anders auch seinen Traum erfüllt hat, denn:
„Es ist anstrengender ein Leben lang den gleichen Traum zu träumen, als diesen Traum eines Tages umzusetzen.“
Antoine de Saint-Exupéry
Er hatte recht, der gute Antoine! Bis heute ist und bleibt sein Zitat mein Lebensmotto und ich habe meinen Traum Norge på langs umgesetzt, in vielerlei Hinsicht.
Was kommt?
Hätte mir jemand vor drei Jahren gesagt, wie mein Leben heute aussieht… ich hätte ihn für komplett verrückt erklärt! Dass ich ein zweites Mal Norge på langs laufen werde… Schwachsinn! Ich habe mit 55 Jahren längst damit aufgehört, mir Gedanken zu machen, was in fünf oder zehn Jahren sein wird. Das Leben wird es mir zeigen, ich bin gespannt darauf und ich bin neugierig auf alles, was noch kommt.
Meine beiden grossen Vorträge nach meiner Tour 2024 beendete ich immer mit der selben Bemerkung, auf die von ein paar Schlaumeiern eingebrachte Frage:
„Jetzt bist du alleine in den Jahren 13/15 von Süd nach Nord gelaufen, 2024 nun von Nord nach Süd. Wann laufen Anja und du Norge på langs zu zweit?“
Ich habe mich nach der ersten Tour 2013 darauf festgelegt, dass es keine Wiederholung geben wird, 2015 nochmals und beide Male habe ich scheinbar nicht ganz die Wahrheit gesagt.
Jetzt werde ich auf diese Frage mit Sicherheit keine Antwort mehr geben 😉
Mit Sicherheit kann ich aber die Frage mit Ja beantworten, dass es noch viele wunderschöne Touren geben wird, egal wo auf diesem phantastischen Planeten. Mit Sicherheit auch dort, wo ich über all die Jahre ein kleines Stück meines Herzens und meiner Seele zurückgelassen habe… da draussen im nordischen Fjell!
God tur!






