Stabbursdalen N.P. und Alta
Nach einem guten Nachtessen (Hamburger und Bier, was sonst in Norwegen) und einer schönen Unterhaltung mit den beiden Besitzerinnen, welche die „Oase“ seit kurzem führen und aus einem ziemlichen „Loch“ ein gemütliches Motel mit gutem Essen erschaffen haben, steige ich zufrieden ins Bett und schlafe wie ein Murmeltier.
Tag 5 / Ifjord-Lakselv (Transfer)
Beim Frühstück ist auch der Bus gebucht und es scheint, dass ich in Lakselv gerade noch das letzte Hotelzimmer ergattert habe.
Als ich im Bus Platz nehme und das Strassenschild nach Lakselv sehe, mit seiner 123 Kilometer Angabe, muss ich tief Luft holen. Es sind gemischte Gefühle die mich hier im Bus überfallen. Ich bin ja nicht in Norwegen um in einem Bus zu sitzen, sondern um zu laufen. Hätte es keine Alternative gegeben? Natürlich hätte es diese gegeben, doch auf das gesamte Projekt hin gesehen, hätte ich mich zeitlich in eine schlechte Lage gebracht. Mir war von Anfang an klar, dass meine Routenplanung durch Norwegen gerade mal so aufgeht, wenn nichts dazwischen kommt und ich kaum eine zeitliche Reserve habe. Mir war auch klar, dass die Strassenvariante von grossem Vorteil ist und ich habe diese auch nur mit drei Tagen berechnet. Doch alles in allem, hat sich alles gegen diese Variante ausgesprochen. Das Risiko ist da, dass ich wie 2013 Probleme mit meinem Beinen bekommen könnte und mir war nicht bewusst, dass ich den Unfall 2015 noch nicht wirklich verarbeitet habe.
Ich schaue pausenlos zum Fenster raus und was ich zu sehen bekomme, gibt meiner Entscheidung völlig recht. Die Strasse wäre vor zwei, drei Wochen wahrscheinlich nicht so ein grosses Problem gewesen mit dem Verkehr, doch jetzt ist hier ziemlich was los. Es gibt kaum Kiesstreifen am Strassenrand und die Strasse ist übersät mit Leitplanken. Landschaftlich hat das Gebiet was zu bieten, doch von der Strasse aus wäre wohl auch das kein grosser Genuss geworden. Zudem weht heute ein brachialer Südwind, der den Bus oftmals fast von der Strasse weht. Der Chauffeur hat ziemlich zu tun, um sein Gefährt einigermassen ruhig auf der Strecke zu halten.
Die Fahrt endet nach knapp drei Stunden und ich bin erleichtert, es hinter mich gebracht zu haben. So hatte ich mir das definitiv nicht vorgestellt, aber mir ist jetzt auch klar, dass es auf dieser Tour wohl noch mehr Kompromisse brauchen wird und sehe dies auch als eine Chance, mental an mir zu arbeiten. Ich spüre gerade ziemlich heftig, dass ich immer noch in vielen zum Teil wirren Gedankenmustern gefangen bin was diese Tour angeht. Auf NPL 2024 wird mir wohl noch einiges an Arbeit bevorstehen, nicht nur läuferisch betrachtet!
Beim Frühstück im Hotel in Lakselv, sitze ich vis a vis von einem Mann, der das halbe Buffett in sich „hineinstopft“. Ich kann es nicht lassen und schicke ein fragendes „hungrig?“ rüber. Der Mann lächelt, nimmt seinen Teller und Kaffee und setzt sich zu mir rüber. „Hej, Terri ist mein Name, ich habe Rentiere“. „Hej Terri und ich heisse Martin und wandere durch dein schönes Land“ rutscht mir raus und beide müssen wir lachen.
Terri ist Sami und gehört einer der 27 Samifamilien an, welche im Stabbursdalen rund 7000 Rentiere bewirtschaften. Heute ist sein letzter Tag in der Zivilisation und nach dem Frühstück bricht er auf ins Fjell, um zwei Monate alleine ein bestimmtes Gebiet zu beaufsichtigen. Wir reden eine ganze Zeit miteinander und er erzählt mir viel von seinem Leben, seiner Arbeit, seinen Sorgen um die Zukunft der Rentiere mit dem Klimawandel. Den Tieren wird es zu warm und viele Neuankömmlinge sterben, oder bekommen schwere Krankheiten.
Je länger wir miteinander reden, umso mehr fühle ich, dass dies wohl eine besondere Begegnung sein wird. Seine Worte tönen sehr weise und seine Lebenserfahrung beeindruckt mich sehr. Ich kann kaum von dem Gespräch lassen, doch Terris wie auch meine Zeit läuft und wir beide haben heute noch einen langen Weg vor uns.
Als ich meinen Rucksack vor dem Hotel schultere, bleibt das Gespräch in meinem Kopf haften. Die Lebenssituation der Samis wird immer schwieriger und auf der anderen Seite, sieht man immer mehr Vernachlässigung, Umweltschäden und Verschmutzung durch die Sami Hirten. Die Bevölkerung ist tief gespalten in dieser Diskussion und gerade Rechtspopulisten heizen das Thema bis zur Absurdität an…es macht traurig und wütend zu gleich.
„Hej, Wanderer, steig ein, ich nehme dich mit nach Stabbursnes. Du willst doch nicht wirklich, hässliche 10 Kilometer Strasse im schönsten Land der Welt laufen?“
Terri bringt mich zum lachen. Wo er recht hat, hat er recht! Ich schmeisse meinen Rucksack auf den Anhänger, wo sein ATV (Quad 4×4 Fahrzeug) drauf steht und steige ein. Schliesslich geht es jetzt wieder 10 Kilometer nordwärts und ich würde so einen grossen Umweg machen.
Tag 6 / Stabbursnes-Bastingammen

Die Fahrt ist kurz und Terri gibt mir noch zwei, drei Tipps im Stabbursdalen mit auf den Weg. Er drückt mir die Hand und klopft mir auf die Schulter, dann steigt er auch schon in seinen Pick Up und braust davon. (Erst als er davonfährt, denke ich daran ein Bild von uns zwei zu machen. Wieder mal typisch ich…als „People-Journalist“: untauglich, zumindest meist Bilderlos!)




Zuerst führt eine etwa sechs Km lange Strasse in den Park hinein. Terri hat mir von den nördlichsten Kiefern der Welt erzählt. Es gibt sie nur hier. Es duftet wie am Mittelmeer. Die Sporen und das Harz wird durch die Sonne noch intensiver im Geruch. Dank einer lauen Brise, werde ich zudem vor den Mücken etwas verschont und die hat es hier in Hülle und Fülle!
Terri hat mir erzählt, dass die Kieferwälder der Rückzugsort der Rentiere im Winter sind. Hier sind sie vor der klirrenden, schneidenden Kälte, welche aus Sibirien kommt, etwas geschützt. Diesen Winter hatten sie bis -50 Grad. Über den Hügel rüber auf die Westseite (c.a. 25 Km) waren es unter Einfluss des Golfstromes, durchschnittlich -10° bis -15°! Man kann sich auch nur annähernd vorstellen, wie hart das hier im Winter sein muss.




Als die Strasse endet, staune ich nicht schlecht, als ich auf dem ATV Track einen Stein mit einem roten T erkenne. Das Wanderwegzeichen des norwegischen Wanderverbands DNT.
In keiner Karte, in keinem Hinweis war irgendwo die Rede eines markierten Wanderwegs. Einzig in der Planleggingskart DNT Nord Norge, hatte ich eine gestrichelte Linie von Stabbursnes zum Sennalandet auf der Westseite gesehen. Doch solche gestrichelten Linien sind alles andere als vertrauenswürdig und meist sind diese Strecken kaum bis gar nicht markiert.
Naja, mir soll es recht sein. Somit ist die Navigation schon mal erledigt.




Durch den Vorschub mit Terri am Morgen, laufe ich an meinem geplanten Zeltplatz vorbei und staune kurz darauf schon wieder, als ich vor einer offenen Hütte des National Parks stehe. Auch diese Hütte wird nicht mal im Infocenter des Parks erwähnt. Es wäre ein schöner Ort zum übernachten, aber mir noch zu früh, da geht noch was.


Nach der Hütte komme ich langsam über die Ostseite der Halbinsel hinaus in die Mitte. Sofort wird das Terrain nasser und matschiger. Die ganzen ATVs der Sami, machen es mit ihren Spuren nicht einfacher. Aber es ist ein jammern auf hohem Niveau!
Mein Ziel nach rund 30 Km heute, ist die legendäre Bastingammen. Eine Gammen ist ein „Haus“ mit einem Holzkonstrukt, dass aussen mit Birkenrinde als Nässeschutz eingepackt wird (heute sieht man oft Baumarktpappe oder Kunststofffolie als Nässeschutz) und dann wird das ganze wie bei einem Iglu mit Torfziegel zur Dämmung eingepackt. Von aussen sieht das oft nicht so nett aus und innen ist es oft eine Überraschung, entweder positiv oder negativ!
Ich habe schon viel von dieser Gammen gehört und eigentlich wäre sie kein Ziel gewesen, doch wenn sie schon auf dem Weg liegt, dann will ich mir diese „Torfhütte“ mal genauer ansehen.


Kaum bin ich die Strasse los, bin ich auch sogleich meine Entzündungserscheinungen los. Definitiv ist mein Organismus knieabwärts nicht Strassentauglich! Ich wundere mich ein wenig, denn eigentlich habe ich weitaus weniger Gewicht am Rücken als 2013 und 2015. Scheinbar liegt das Problem doch eher am Strassenbelag als am Gewicht.
Hier in dieser endlosen Weite fühle ich mich pudelwohl und es läuft sich fast von selbst. Ich muss jetzt eher etwas aufpassen um nicht übermütig zu werden, denn das hohe Tempo, dass ich irgendwie einfach nicht runterkriege, kann sich ganz schnell negativ auswirken.

Immer wieder treffe ich auf Holzstege, welche als Übergänge der Rentierzäune dienen. Ich denke heute irgendwie den ganzen Tag an Terri und was er mir von seiner Arbeit erzählt hat. All diese Treppen zu bauen, diese zig Kilometer langen Zäune aufzustellen, notabene in einem kaum durchdringlichen, harten und steinigen Boden. Das ist echt schon Knochenarbeit!
Dann nach 29 Kilometer sehe ich die Bastingammen am Horizont.



Von aussen macht dieser Mooshaufen noch nicht wirklich einen schönen Eindruck, doch wenn man eintritt, kommt man kaum aus dem Staunen heraus!


Wow…das habe ich nun nicht erwartet. Liegt wohl auch daran, dass diese Gammen nun im Besitz des National Parks ist und somit auch gepflegt wird. Die Konstruktion ist schon eindrücklich. Keine Schraube, kein Nagel braucht es für die Gammen. Hier fühle ich mich gerade so wohl, dass ich mich für die „Nacht“ einquartiere, denn hier hat es kaum Mücken und es wird etwas weniger sonnig!
Im Hüttenbuch finde ich viele Einträge von Bekannten, welche letztes Jahr nordwärts auf NPL hier vor dem ersten Schnee Schutz gesucht haben. Das muss mit Sicherheit wie ein Paradies gewesen sein. Vor zwei Tagen war auch die Schweizerin Myriam mit ihrem Hund hier, welche südwärts auf dem E1 drei Monate unterwegs ist.
Die Nacht wird sehr ruhig und gemütlich und schon um 6.00 bin ich bestens ausgeruht wieder unterwegs.
Tag 7 / Bastingammen-Rhukkojávri




Die Gegend um Bastingammen wird auch als „grüne Hölle“ beschrieben. Nun „Hölle“ ist sicher übertrieben, aber es hat was. Man befindet sich hier im Grüngürtel der Bäche und somit auch im Matsch und Sumpf.

Während zwei, drei Stunden kämpfe ich mich durch den ganzen Sumpf hindurch, wobei der DNT Weg mittendurch, statt aussen rum geht. Irgendwann wird es mir zu lästig und ich versuche meinen eigenen Weg zu finden. Eine gute Lösung sind die nahen Birkenwäldchen. In ihnen ist der Boden trocken und perfekt zum laufen.
Hier blüht es in allen Formen und Farben, Vögel zwitschern im Dickicht der Birken und mit der Sichtung eines Fuchs, eines kleinen Luchses und den Hinterläufen eines Elchs, ist einiges los im Gestrüpp.



Trotz der Schönheit der dichten Natur bin ich froh höher zu steigen und wieder in die Tundra von Stabbursdalen einzutauchen. Die Weite der Landschaft ist enorm und das Wetter passt perfekt.

Immer wieder setze ich mich hin und lasse diese grossartige Landschaft auf mich wirken. Ich komme sehr schnell voran in diesem flachen Terrain und so kann ich mir mehr als genug Zeit nehmen. Es ist grossartig hier und meine kühnsten Vorstellungen erfüllen sich gerade Schlag auf Schlag. Das superschöne Wetterfenster für Stabbursdalen zu nutzen war ein perfekter Entscheid und so verblassen die negativen Gedanken an die Busalternative.


Auf etwa dem halben Weg zu meinem geplanten Übernachtungsspot, trenne ich mich vom Wanderweg. Mein Weg führt mich nun westwärts Richtung Alta. Es wäre kürzer hier direkt nach Süden zu wandern und ich würde etwas Zeit gewinnen für die Tour. Doch der relativ grosse Umweg über Alta ist für mich Programm, da ich noch eine Rechnung offen habe mit dem Nábár Hochplateau.
Ob man Off Track läuft oder dem Weg entlang, macht kaum einen Unterschied. Das Terrain ist knöcheltiefes Heidekraut, durchsetzt ab und zu mit etwas kniehohem Gestrüpp, oder ein paar saftigen Bachübergängen. Die Navigation könnte bei diesem Wetter nicht einfacher sein und so wird dieser weglose Abschnitt kinderleicht zum erwandern.
Stimmt das Wetter in der Finnmark, dann macht es einfach riesig Spass hier einfach querfeldein zu laufen. Schon 2015 hatte ich im Nábár dieses Vergnügen und jetzt auch wieder, ich könnte nicht dankbarer dafür sein.




Immer wieder trifft man auf Rentierzäune oder ATV Spuren. Mittlerweile ist der Wind fast zum erliegen gekommen und es wird heiss. Schätzungsweise kratze ich an der 25° Marke und dies ohne jegliche Schattenmöglichkeiten. Irgendwie kann ich es kaum glauben. 2015 hatte ich schon so Hochsommerwetter in der Finnmark und jetzt schwitze ich schon wieder was das Zeugs hält. Der einzige Unterschied zu 2015 sind die unglaublichen Mückenschwärme. Stehenbleiben ist kaum mehr möglich und ohne Moskitonetz wird laufen zur Plage. Die Sonne und die Hitze macht die Biester so richtig aggressiv und die Windstille hilft auch nicht.
Obwohl es hier auf dem Hügel noch eine leichte Brise hat und nicht ganz so schlimm ist, sehne ich mich nach Wasser. Vor mir liegt schon der See Rhukkojávri. Er ist mein in der Planung auserkorenes Navigationsziel für heute und mit knapp 30 Kilometer ist mein Wandertag wieder perfekt. Mit dem Fernglas erspähe ich einen perfekten Platz am See und kämpfe mich noch etwas durch Gestrüpp dorthin. Mir ist aber auch klar, dass Wassernähe auch mehr Mücken bedeutet.



Das Zeltaufbauen und einrichten wird zum Kampf mit der norwegischen „Luftwaffe“! Aber dafür geniesse ich ein ausführliches Bad im kühlen, klaren See. Danach hingegen heisst es hinter das Moskitonetz im Zelt zu kriechen und Ruhe bewahren. So traumhaft der Platz ist, so mühsam sind die Plagegeister. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als im Zelt zu sitzen und…schwitzen!
Im Land der Mitternachtssonne, werden die „Nächte“ relativ kurz. Die Sonne geht gerade für eine Stunde knapp hinter einem Hügelzug weg und um 2.00 knallt sie wieder in voller Wucht auf das Zelt. An Schlaf ist da nicht mehr zu denken, vor allem weil der Wind komplett abgestellt hat. So stehe ich um 4.00 auf und bin schon um 5.45 unterwegs. Im Sommer spielt hier oben die Zeit sowieso keine Rolle.


Das Frühstück ist ultrakurz, denn um mich herum ist es schwarz vor Mücken. Das Zelt ist in Sekundenbruchteilen zusammengeräumt und verpackt. Los geht es!
Tag 8 / Rhukkojávri-Store Borras

Kurz geht es einen Hang hinauf und ich hoffe oben eine Brise Wind zu erhaschen. Doch weit gefehlt, es bleibt windstill und so kommt mein Moskitonetz zum Zug und lange Ärmel sind Pflicht. Der Mückenspray hilft zwar etwas, aber es braucht ihn in Unmengen, vor allem auch auf den Kleidern.



Mit dieser Off Track Abkürzung erarbeite ich mir gerade einen vollen Tag heraus, statt wenn ich auf dem DNT Weg geblieben wäre. Und es ist überaus einfach hier zu navigieren. Zwei Bachübergänge erweisen sich als harmlos und geben mir die nötige Abkühlung. Es ist mittlerweile wieder mindestens 25° und absolut windstill. Die Hitze nagt etwas an meiner Leistung, aber ich habe zuhauf Zeit und kann es trotzdem mehr als geniessen!
Es ist hier oben ab und zu sehr verwirrend, wenn man die offiziellen Topokarten Norwegens braucht. Gerade auf dem kleinen Handybildschirm fehlt oft die Übersicht, über all die unendlich vielen, eingetragenen ATV Tracks der Sami. Daher macht es mehr Sinn, bei guten Sichtverhältnissen, der Nase und der Himmelsrichtung nachzulaufen. Irgendwie findet man immer eine Lösung.



Schon bald kommt der grosse Veivannetsee in Sicht, an dessen Westende, vermutlich die eher gut situierten Bewohner/innen Altas, ein paar wenige Ferienhäuser haben.
Dann plötzlich bimmelt und knarzt es auf mich zu. Eine grössere domestizierte Rentierherde läuft auf mich zu. Ihr eigenwilliges knacken mit dem Maul, erfüllt die ganze Gegend. Es hat sehr viele ganz junge Kälbchen dazwischen und es tönt wie ein überdimensionaler Rasenmäher, der sich neben mir vorbeifrisst.


Terri der Sami hat mir das nochmal genau erklärt mit den Gattungen. Die Rentiere werden zum einen Teil vollständig domestiziert, also wie Kühe bei uns gehalten und zu ihnen geschaut. Hier gibt es auch eine beschränkte Milchwirtschaft. Die halbdomestizierten Rentiere werden nur saisonal gehalten. Dass heisst im Winter werden sie in höheren Gegenden der Natur überlassen, für den Winter treibt man sie in tiefere Regionen. Beide Gattungen werden im Frühling bei Geburt mit Schnittmarkierung im Ohr einer Sami Familie zugeordnet, zum Teil bekommen sie auch Farbkleckse auf das Fell. Im Herbst werden beide Arten in Herden zusammengetrieben und je nach Grösse der Familie, werden eine Anzahl Tiere geschlachtet. Dies findet draussen in grossen Gehegen statt und hat fast das Flair eines Volksfestes, man dankt für das Fleisch und hat Lohn für die Arbeit. Allerdings ist dieses Schauspiel nichts für schwache Nerven, gehört aber zum Zyklus der Rentierhaltung dazu.
Und dann sind noch die wilden Ren. Sie werden immer weniger, da sie von den halbdomestizierten immer mehr verdrängt werden. Sie sind sehr scheu und man sieht sie kaum noch. Das einzige Erkennungsmal der „Wilden“ ist, sie haben keine Schnittmarkierung in den Ohren und kein Farbklecks auf dem Fell.
Kaum ist die Herde vorbei, wird es wieder still und ruhig. Aber wenn man den Tieren beim äsen zuschaut…

Mein Weiterweg führt mich wieder zurück auf den DNT Wanderweg nach Alta.


Mit einer Tagesetappe von 40-42 Kilometer könnte ich heute noch Alta erreichen. Doch ich bin zeitlich super dran, die Hitze hat auch gerade etwas Tribut gezollt und ich habe heute auch noch eine „letzte“ Chance, die Mitternachtssonne zu sehen. Nachher bin ich weg von der Küste, im hügeligen Gelände, und da sind die Chancen gering. (Irgendwie lustig…alle die nach Norden laufen, lechzen im Herbst nach den Polarlichtern und alle die gegen Süden laufen, wollen die Mitternachtssonne vor dem Zelt sehen. Beides werden aber etwa die Hälfte kaum oder nur wenig zu Gesicht bekommen). Ich habe zum Glück beides schon oft gesehen. Aber wenn sich die Möglichkeit ergibt… und das Wetter dazu habe ich ja.
Wenn die Wetterprognosen von Ifjord noch immer Gültigkeit haben, dann könnten die nächsten zwei folgenden Tage Regen und Gewitter angesagt sein. So passt es perfekt, dass ich gerade in Alta bin und einen Ruhetag einbaue.
Im Stabbursdalen gibt es kaum Mobiltelefonempfang und mit Hotelzimmern könnte es am Wochenende in Alta ziemlich knapp sein. Da kommt nun die heutige Technik zum Zug und jemand Zuhause, der mir einen hervorragenden Support bieten kann! Per Satellit geht via Garmin InReach eine Meldung an Anja für das Hotel raus und fünf Minuten später kommt via Satellit die Bestätigung über die positive Buchung rein! Anja weiss von ihrer Tour letztes Jahr sehr gut was es braucht und worauf man achten muss. Es ist ein Megaservice von Anja und für mich schlussendlich eine sehr grosse Erleichterung, mich nicht um die Übernachtung kümmern zu müssen.

Doch was ist das..? Plötzlich sind alle Mücken weg, dafür kreisen mit einem höllischen Lärm, hunderte schwarzer Fliegen um mich herum! Ich habe sowas noch nie erlebt und auch wenn die Fliegdinger weder beissen, stechen noch sonst was tun… sie nerven unendlich mit ihrem Gesumse!

Das ohrenbetäubende, stundenlange Surren um den Kopf, ist kein Baldrian für die Nerven. Zumindest nach fast 30 Km unter sengender Sonne!
Ich hoffe auf den Wind auf dem Store Borras. Dort oben muss es ja schliesslich Wind geben, oder?




Windstill, absolut windstill ist es hier oben. Meine Hoffnung war vergebens und so muss ich wohl damit rechnen, dass ich mein Nachtlager nicht nur mit Mücken teilen muss.
Unter mir, sehe ich den See an dem ich mein Nachtlager aufschlagen will, mit bestem Blick auf die Mitternachtssonne. Doch zuvor freue ich mich sowas, von einem Bad im See!
Kaum bin ich am See angekommen, stürze ich mich ins Wasser. Was für eine Erlösung ist das! Einfach herrlich, baden und trinken gleichzeitig, kristallklar und kühl, dass kann fast nur Norwegen.

Schon auf dem Gipfel habe ich über dem Nábár ein paar Cumulus Wolken festgestellt. Kein Wunder bei der Hitze. yr.no, die norwegische Wetterseite, meldet erst für morgen heftige Gewitter im Gebiet und da bin ich ja im Hotel.
Nach dem ausgiebigen Bad und der Abkühlung, baue ich gemütlich mein Zelt auf und richte mein Nachtlager ein. Immer wieder blicke ich südwärts Richtung Nábár und bemerke, wie von einer Minute auf die andere sogenannte Gewittertürme (Cumulus Nimbus) in die Höhe schiessen.
Ein Blick auf das Wetterradar und deren 90 minütige Vorhersage, lässt mich gerade etwas leer schlucken. Da sind zwei, drei starke Zellen darunter die sich aufs mal immer schneller auf mich zubewegen.
Ich gehe aus dem Zelt und schaue um mich herum…was wenn? Keine 200 Meter von mir ist eine nigelnagelneue Stahlstütze einer Hochspannungsleitung und mit dem Store Borras ein kleiner Berg im Rücken. Also haben die Blitze genug Auswahl, bevor sie einen müden Wanderer erschrecken müssen! Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Doch gelernt ist gelernt und so krame ich alle meine Dinge zusammen die Blitze anziehen könnten und deponiere sie in einem Packsack rund 50 Meter von mir entfernt in einer Senke und beschwere den Sack mit einem grossen Stein. Das Smartphone schalte ich auch aus.
Das wirklich sensationelle an meinem Bonfus Zelt ist, die variable Höhenverstellung, da meine Zeltstangen ja die Wanderstöcke sind. So kann ich die Höhe des Zelts von 1.37 Meter auf 1.20 Meter herunterfahren und somit hat der Wind viel weniger Angriffsfläche. Man sollte sich eigentlich nicht in einem Zelt aufhalten während einem Gewitter, doch hier kann ich wohl das Risiko eingehen und schliesslich bin ich auch Zusatzgewicht für dieses Ultraleichtzelt.
Dann geht alles, sprichwörtlich, blitzschnell und das Gewitter ist da. Und wie es da ist! Um mich herum zucken die Blitze und der Donner folgt fast in der gleichen Sekunde. Der Wind zerrt und reisst an meinem Zelt und es ergiesst sich ein wahrer Wasserfall auf meine Behausung. Ich habe grundsätzlich nicht Angst vor Gewittern und beobachte diese oft sehr gerne….aus der Ferne. Doch hier wird mir jetzt definitiv etwas mulmig. Das Zelt steht wie eine Eins im Wind und durch die geringe Scheitelhöhe, ist die Zeltwand praktisch ebenerdig und so kann auch der heftige Regen kein Wasser reinspülen.
Das Zelt ist mit allen 16 Verankerungen am Boden befestigt und zusätzlich sind die Heringe mit grossen Steinen beschwert, das gibt dem ganzen eine solide Stabilität.
So wie ich es einschätzen kann, zieht das Zentrum wohl einen bis zwei Kilometer neben mir vorbei und verschont mich mit dem Schlimmsten. Keine 15 Minuten später ist der Spuck vorbei. Ich krabble aus dem Zelt in die verbleibende Gewittergischt und schaue der grauen Wolkenwand hinterher. Uff…das war jetzt doch ziemlich heftig und ich bin mir sicher, dass mindestens ein Blitz in die Stahlstütze der Stromleitung eingeschlagen hat.

Vor 20, 30 Jahren waren solche Gewitter oder überhaupt Gewitter auf diesen Breitengraden eine absolute Rarität. Einheimische erzählen mir, dass gerade in den letzten 10 Jahren die Intensität enorm zugenommen hat und orographische Gewitterstürme, also lokal bedingte Gewitter, immer häufiger werden. Der Klimawandel lässt auch hier grüssen und das mit absoluter Heftigkeit!
Mit der Mitternachtssonne wird es somit wohl nichts, dafür gibt es einzigartige Stimmungen vor der „Haustüre“.


Für das Zelt gilt: Die Hauptprobe ist bestanden und lässt mich mit einem guten Gefühl zurück, Grazie Mille Bonfus👍
Die Nacht wird sehr ruhig und nach dem anstrengenden, heissen Tag, versinke ich schon bald im Traumland. Mittlerweile habe ich auch ein perfektes Mittel für die Helligkeit und die Ruhe gefunden: Stirnband über die Augen und Ohrstöpsel in die Ohren, das funktioniert hervorragend.
Tag 9 / Store Borras-Alta


Der Weg nach Alta ist rund 15 Km weit und somit noch locker am Vormittag zu schaffen, da es gute Wege runter hat. Alle Borras Gipfel sind beliebte Spots für die Leute aus Alta und der Umgebung. Hier wird gejoggt, gebikt, gebadet oder gewandert.
Bevor ich absteige, geht es noch kurz auf den Vestre Borras, von wo aus es die perfekte Sicht auf Alta gibt.



Die Aussicht ist 360° gewaltig schön. Im Westen die Stadt und die Lyngen Alpen, das Nábár im Süden, im Osten Stabbursdalen und im Norden Sennalandet und die Porsanger Halbinsel, ein Traum!
Auch unterwegs besticht die Aussicht mit unglaublichen Farben.


Schon bald bin ich unten im Vorort von Alta: Kronstad, Kaiskuru. Es sticht gerade sehr auffällig ins Auge, wie viele sehr gepflegte, neue und moderne Häuser hier stehen. Alta hat sich in den letzten Jahren sehr vom Aussenposten in eine moderne und urbane Stadt gewandelt. Der Wohlstand scheint hier überdurchschnittlich hoch zu sein. Alta wird auch als das Silicon Valley Norwegens genannt.
Wie so oft, sind die Vororte die Abbilder der eigentlichen Stadt. Gerade wenn man zu Fuss unterwegs ist, fällt dies umso mehr auf.


Die Stadt kann ich über moderne Radwege sehr gut umgehen und komme schlussendlich bei der „Konservenbüchse“ von Alta hinein.


Ich checke im reservierten Hotel Thon in der Stadt ein und bekomme auch gleich ein Upgrade als NPL Wanderer und zusätzlich zwei Flaschen Cola. In den meisten Hotels von Olav Thon ist es möglich, die Hotelwäscherei zu benützen. Auch ein Grund weshalb ich, wenn immer möglich, ein Thon Hotel auswähle. Hinzu kommt wohl das leckerste und grösste Frühstücksbuffet in norwegischen Hotels.
Olav Thon ist im November 2024 im sehr hohen Alter von 101 Jahren verstorben. Der Gründer der Hotelgruppe und Besitzer hunderter Immobilien in Norwegen, war einer der reichsten Menschen der Welt.
Der Multimilliardär war aber keineswegs erkennbar als ein solcher. Seine Passion galt dem wandern und immer wieder war Olav mit seiner unverkennbaren roten Strickmütze, den roten Wandersocken und Pullovers im Fjell unterwegs. 2013 übereignete er sein gesamtes Vermögen in die Olav-Thon-Stiftung und begann sich auch für den Unterhalt der DNT Wanderhütten einzusetzen. Mittlerweile sind dutzende DNT Hütten im ganzen Land durch die Stiftung saniert und renoviert worden, Wege instand gestellt oder neue eröffnet worden. Schon vor 2013 engagierte sich Olav Thon für alles, was mit der liebsten Freizeitbeschäftigung der Norweger/innen, einherging.
Sein grosses Werk, sein Herz und seine grosse Leidenschaft für die Sache, werden die Wanderer im ganzen Land für immer begleiten. Nun ist er weitergewandert, nicht ohne, auch von mir ein grosses Tusen takk hinterherzurufen!
Es freut mich riesig, hier auf Sophie und Flo aus der Schweiz zu treffen. Wir hatten im Vorfeld unserer Touren per Mail Kontakt und es kam aus Termingründen leider nicht mehr zu einem Treffen. Dass die beiden hier sind, ist leider nicht ganz so erfreulich, da es medizinische Gründe und einen längeren Unterbruch im Vorfeld der beiden gab. Mehrere Tage sassen sie in Hammerfest, bevor sie nun nach Alta dislozierten und übermorgen dann, mit dem Bus nach Olderfjord zurückkehren um die Tour wieder aufzunehmen.
Sie starteten am Nordkap und ihr Ziel ist auch Lindesnes im Süden. Allerdings ist es schon von Anfang an ihr Plan, die Tour so frei wie möglich zu gestalten und nicht alles genau nach Plan zu laufen. Wie Flo dies schön sagt, aus Norge på langs wird ein Eventyr i Norge, also ein Abenteuer in Norwegen.
Mit Liz und Ben aus Berlin, ist vor zwei Wochen auch ein zweites Paar am Nordkap gestartet. Es fällt dieses Jahr schon von Beginn weg auf, dass es fast mehr Läufer/innen auf der Strecke hat die südwärts laufen. Allgemein ist es sehr ruhig und auch Odd Vinje, der Chronist der „Norge på langs lista“ hat mir gesagt, dass es erstaunlich ruhig auf der Strecke sei dieses Jahr. Erstaunlich, weil erst 2023 und dieses Jahr wieder problemlos gewandert werden kann nach der Corona Pandemie.
Eines fällt aber auch auf dieses Jahr, praktisch alle die zwei Wochen vor mir gestartet sind, hatten ein riesiges Pech mit dem Wetter und den Verhältnissen. Ich habe schlicht ein perfektes Wetterfenster zum Start erwischt, mit dem wenigen Schnee aus dem Winter 23/24 auch kaum Probleme mit dem Schmelzwasser und somit einem mehrheitlichen trockenen Fjell.
Die erste Etappe nach Alta ist somit abgeschlossen und hätte nicht besser sein können. Meine Erwartungen wurden komplett übertroffen und mit der Nordkinn Halbinsel und dem Stabbursdalen National Park, habe ich für mich zwei neue, wunderschöne Perlen in diesem grossartigen Land gefunden, Perlen die ich sehr gerne wieder besuchen und mit mehr Zeit erwandern möchte.
Es folgt das nächste Kapitel: Déjà-vu im Nábár und Tervetuloa Suomi