Wildtiere in Norwegen


Während den Tour Planungen kommt immer wieder das Thema Wildtiere in Norwegen auf. Meist etwas versteckt und über Umwegen, aber mit einer gewissen Regelmässigkeit lese ich in den Mails: …wie ist jetzt das mit den Bären? Gibt es Bären auf der Tour? Wölfe?

Ja, es gibt sie und zwar gar nicht so wenige wie die meisten glauben, aber zu sehen bekommt sie trotzdem kaum jemand. Nun kann man sagen, leider? Oder vielleicht doch, zum Glück?
Nach Jahrzehnten Aufklärungsarbeit, hat sich die Gesellschaft langsam daran gewöhnt gehabt, dass Geschichten über Schafherden-fressende Bären, Wölfe die Kinder verschleppen oder Geier welche Haustiere entführen, doch eher zu Wilhelm Busch und anderen Märchenerzählern gehören. In den letzten Jahren scheint aber wieder ein Trend zu solchen Schauermärchen im Gang zu sein und statt ein Biologiebuch in die Finger zu nehmen, vertraut man lieber haarsträubenden Geschichten aus den „sozialen“ World Wide Web-Kanälen.
Dieser Ton ist auch wieder vermehrt in Outdoorforen zu vernehmen und Wanderer „bewaffnen“ sich mit Pfeffersprays, Bärensprays oder irgendwelchen technischen Wunderdinger, wie Taser usw.

Leider lassen einige Leute einen gewissen und wichtigen Aspekt ausser acht: die Tiere haben grundsätzlich deutlich mehr Angst vor uns Menschen, als wir vor ihnen! Anders als Menschen, töten oder verletzen Tiere nicht aus Zeitvertreib oder irgendwelchen Habgier- oder Machtgelüsten, sondern um zu überleben, oder sich zu verteidigen.

Natürlich können wir uns mit allerlei Dingen ausrüsten um uns vor Wildtieren zu schützen, doch leider funktioniert das nicht nicht immer zu hundert Prozent. Ein falsch eingesetzter Bärenspray, kann einen Bären noch um ein vielfaches reizbarer und aggressiver machen, als er oder sie schon in der Verteidigungshaltung ist.
Grundsätzlich müssen wir uns draussen in der Natur vor allem eines bewusst sein: Falls es doch mal zu einem überraschenden Kontakt kommen sollte, dann sollten wir wissen, dass das Tier prinzipiell schneller und stärker als der Mensch ist, besser schwimmen und klettern kann und auch mehr Ausdauer hat. Tja, das ist leider unser Schicksal und deswegen können wir machen was wir wollen, aber davonrennen ist keine gute Idee 😉

Nun kommen all die tollen Ratschläge von wegen, still stehenbleiben, nicht davonrennen, ruhig bleiben, das Tier nicht reizen. Nette Vorstellung, wenn sich gerade in unmittelbarer Nähe ein 2.5 Meter grosser Bär aufbaut und seinen Bariton durch die Wildnis schmettert, sich ein Rudel Wölfe um einen rum zur fröhlichen Treibjagd versammelt, oder der Vielfrass schon eine kleine Pfütze unter seinem mächtigen Gebiss herangesabbert hat.

Die immer noch beste Methode ist und bleibt: solchen Tieren nicht zu Nahe kommen! Was so banal tönt, ist eigentlich auch sehr banal, denn, solche Tiere überhaupt anzutreffen, ist schon schwierig genug.
Meine Wenigkeit hat sich bei der NPL-Tour 13/15 auch eher um das Thema herumgeschlichen, denn eigentlich will man es ja nicht so richtig wahrhaben. Bis ich dann selber 2015, im Padjelanta National Park, kurz nach der Sami Siedlung Stáloluokta, auf eine etwa 10 Minuten alte Braunbärenspur gestossen bin. Die dort anwesende Sami Frau hat mich darüber informiert, dass sich eine ältere Bärin schon länger um die Siedlung herumschleicht. Leichtes Herzrasen und eine defensive Schnappatmung, beherrschten danach meinen Weg durch das Birkengestrüpp, immer schön laut vor mich hinsingend.
Seit dem habe ich einen etwas anderen Bezug zu Wildtieren, da auch die Sami Frau mich darauf angesprochen und gesagt hat: „du wirst die Bärin nicht zu Gesicht bekommen, aber sie dich, mit Sicherheit!“

Doch wie soll man denn den Tieren aus Weg gehen, wenn man sie nicht einmal sieht oder bemerkt?
Norwegen hat eine sehr informative und sehr interessante Webseite online, betrieben von NINA (Norsk institutt for naturforskning), welche eine sehr grosse Datenbank über Wildtiersichtungen im ganzen Land betreibt.

rovdata.no (Projekt NINA)

Auf dieser Webseite werden vor allem folgende Wildtiere geführt: Bär, Wolf, Luchs, Vielfrass und Königsadler.
Selbstverständlich sind in diesen Karten nicht alle vorhandenen Tiere in Norwegen aufgeführt, sondern nur Sichtungen, Spursichtungen oder Auswertungen von Hinterlassenschaften der Tiere. Die Karten können über mehrere Jahre zurück gescrollt werden und so bekommt man auch einen kleinen Eindruck über die Populationen und deren Wanderungen.
Als Beispiel die Karte der Bärensichtungen im Jahr 2023:

Blau: männlich / Rot: weiblich

Zum Teil sind die Karten auch Länderübergreifend, da gerade Wölfe nur im südlichen Norwegen anzutreffen sind und jene sehr oft über die Grenze nach Schweden wandern.

Anhand der Karten kann man sich nun schon einmal ein ungefähres Bild machen, wo es Populationen von Wildtieren geben könnte. Ein gutes Beispiel ist die Grenzregion von Norwegen und Finnland am Tana Fluss in der Finnmark (auf der Bärenkarte ist eine 8 angegeben). Hier hat es eine der grössten Bären Populationen Norwegens und wer hier durchwandert, sollte sich bewusst sein, dass es Vorkehrungen benötigt, um nicht plötzlich vor einem Bären zu stehen und diesen vielleicht auch noch zu erschrecken.

Was kann ich als Vorkehrung tun ?

  • Wie schon eingangs erwähnt: die Tiere haben Angst vor den Menschen und suchen keinerlei Kontakt. Daher werden sie auf der Stelle das Weite suchen, wenn sie ungewohnte Geräusche hören. Die Tiere haben ein sehr viel besseres Gehör als Menschen und deswegen genügt auch schon ein Gespräch (oder Selbstgespräch wenn man einzig ist), in normaler Lautstärke. Selbstverständlich kann man auch singen oder sich einfach laut bemerkbar machen beim laufen. Wenn man bewusst an einem Bärengebiet vorbeikommt, wie ich es wahrscheinlich in der Gaissane/Finnmark tun werde, dann ist die altbekannte, orangene Trillerpfeife ein guter Begleiter!
Acme/ Tornadopfeife
  • Doch die beste Taktik ist prinzipiell, den Wildtieren ihre Fluchträume zu lassen und nicht ihre Habitats zu stören. Wildtiere sieht man sehr selten auf offenen Flächen wo sie ungeschützt sind und nicht in Deckung gehen können. Weite offene Fjells, ohne oder mit nur geringer Vegetation, sind nicht die Lebensräume der Tiere, da sie selber zur Zielscheibe eines anderen werden können.
    Kleine Senken mit Bäumen und Büschen, wo meist auch Wasser fliesst, sind beliebte Lebensräume für die Tiere. Hier können sie sich verstecken und vor allem auch Jungtiere vor Räubern schützen.
    Wer sich also oberhalb der Vegetationsgrenze auf weiter Fläche befindet, wird kaum auf Wildtiere treffen.
  • Errichtet man sein Lager in einem Gebiet, wo Wildtiere anzutreffen sein könnten, empfiehlt es sich, die angeschnittene Salami oder den würzig duftenden Käse nicht als Kopfkissen zu benutzen. Alle stark riechenden Dinge (da gehören die Socken nicht unbedingt dazu!) in einen Sack packen und falls möglich, etwas vom Zelt weg an einem Ast eines Baumes hochzuhängen. Zumindest in eine gewisse Entfernung des Lagers zu bringen.

Wenn man diese drei Punkte beachtet, dann hat man schon sehr viel dazu beigetragen, dass es nicht zu einer unliebsamen Begegnung kommt. Und falls es dann doch passiert…
Auch wenn es sehr schwer fällt, gilt als erste Priorität: Ruhe bewahren! Ganz langsam den Rückzug antreten, keine hastigen Bewegungen machen und vor allem dem Tier die Gelegenheit geben, das Feld sicher zu räumen.
Falls das Wildtier nichts von alledem wissen will, gilt es dem Tier zu zeigen wer der „Meister“ ist. Lautes schreien, Lärm machen und die gute alte Hoffnung in Anspruch nehmen, wird das einzige sein, was man in einer solchen Situation noch machen kann. Wie schon gesagt, die Tiere sind im Angriff in der deutlich besseren Situation als der Mensch und haben alle Vorteile auf ihrer Seite!

Doch anhand der sehr wenigen Vorfälle der letzten Jahre in Skandinavien, muss man sich keine grossen Sorgen machen. Der skandinavische Braunbär gilt als das scheuste Bärentier überhaupt, der Vielfrass (Järv) ist vor allem in sehr entlegenen Gebieten heimisch und auch meist nur in den Nachtstunden aktiv, Wolfsvorfälle gab es bisher keine und auch der sehr scheue Luchs, stellt keine Gefahr dar.
Die allermeisten Sichtungen wurden von Jägern und Fischern gemacht, welche sich an sehr einsamen Orten befanden. Wildtierkontakt zu Touristen sind sehr, sehr selten.
Gemeldete Ausnahmen sind oft das falsche Verhalten gegenüber Elchen mit Jungtieren, wie auch Rentiere welche mit Jungtieren überrascht wurden. Auch wenn es niedliche Fotosujets und eine tolle „Like-Dichte“ auf den sozialen Medien geben würde, dies ist schlicht und einfach nicht angebracht und bringt die Tiere in Panik.

Fazit:

Ja, es gibt sie definitiv diese wilden Tiere, doch Angst oder ein ungutes Gefühl muss man nicht haben. Ein rücksichtsvolles Verhalten, Respekt, Toleranz und eine zurückhaltende Faszination, ist in beiderseitigem Interesse. Die Tiere werden es danken 🙂