Dividalen/Narvikfjell/Saltfjell 2018


Mein grundsätzlicher Plan, 2018 einmal keinen Plan zu machen und einfach in einen Flieger nach Tromsø zu sitzen, war zugegebenermassen etwas kühn. Und doch nicht ganz so verrückt, da ich in meiner langen Planungszeit zu Norge på langs soviel Wissen angehäuft hatte, dass es kaum Überraschungen geben sollte. So war dann der Plan (den es ja nicht gab), nach Tromsø zu fliegen und dann mit dem Eskelisen-Bus rüber nach Kilpisjärvi in Finnland zu fahren.

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Doch die Reise beginnt in Zürich mit etwas mehr Action als ich mir das inmitten der Hauptreisezeit der Schweizer erhoffte. 6.30 am Flughafen und eben dieser platzt schon jetzt um diese Uhrzeit praktisch aus allen Nähten. Kein Problem, denn der Web Check-in ist gemacht, ich muss also nur noch das Gepäck aufgeben. Doch da habe ich die Rechnung ohne die Flugplatzleitung gemacht, die nun alle mit Gepäck Check-in an den normalen Check-in Schalter verweisen und sich mir somit eine etwa 50 Meter lange Schlange eröffnet. Als ich auf die Dringlichkeit (1 1/2 Std. vor Abflug!) meines Fluges hinweise, bekomme ich von der Information nur ein mitleidiges lächeln und die Bitte, sich hinten anzustellen. Und so stehe ich nun da, in der leisen Vorahnung, dass ich den Flug mit Sicherheit verpassen werde, ausser…. eine halbe Stunde vor Abflug jemand ganz energisch „Tromsø“ in die wartende Menge brüllt. „Priority Check-in für Tromsø“ tönt in diesem Moment wie ein Gedicht Goethes und ich presse mich durch die wartende Menge an den Schalter durch. Während dem warten in der Schlange fielen ein paar wenige in den mit Flip Flops, kurzen Hosen und T-Shirts bekleideten Flugtouristen auf, welche von oben bis unten in Trekking-Kleidern und Wanderschuhen nervös von einem Bein auf das andere standen. Sie alle bewegen sich nun hoffnungsvoll zum Schalter und mir entweicht bei dieser doch etwas kuriosen Szene ein grosser Lacher.

Während ich mich im Flieger um die Wetterprognosen der nächsten Tage kümmere, werde ich ein halbes Dutzend Mal auf mein Buch „Schritt für Schritt nordwärts“ angesprochen, was mich natürlich sehr freut, da es scheinbar schon bei ein paar Leuten zur Ferienplanung mit dazugehört.

Vor der Küste Nord-Norwegens liegt seit Tagen ein grosses Tief, welches sich irgendwie nicht entschliessen kann in das Land „einzureisen“. Dahinter drückt ein grosses Hoch und genau diese Konstellation lässt mich aufhorchen, denn daraus kann es sehr gut ein Sturmtief geben, welches mir den äussersten Norden ordentlich vergällen könnte. Sollte das Nábár Plateau und die Finnmark auch dieses Jahr ausser Reichweite liegen? Die nächsten 24 Stunden werden entscheiden!

Am Flughafen in Tromsø warte ich auf den Bus in die Stadt, als plötzlich hinter mir vorsichtig eine Frauenstimme in tiefem Emmentaler Dialekt fragt: „Bisch Du dr Martin usem Buch?“ Hat mich die gute Helen mit ihrem Freund Mätthu im April angemailt um Wandertipps für ihre erste Tour in Norwegen von mir zu bekommen und nun stehen sie da! Das Buch hat den Ausschlag gegeben und gerade der hohe Norden hat die zwei so fasziniert, dass sie es selber einmal probieren wollten. Ich habe ihr damals den Tip mit Kilpisjärvi-Abisko, also der Durchwanderung des Övre Dividals-Nationalpark gegeben und jetzt stehen wir gemeinsam hier, köstlich! Mein planloser Plan sieht nämlich als Alternative zum Nábár genau diesen Weg vor, da ich diese rund 8-9 Tage als etwas vom schönsten überhaupt in Norwegen finde. Dass wir für den nächsten Tag auch noch den gleichen Bus vorgesehen haben, scheint ein Omen auf die nächsten Tage zu sein.

Obwohl ich mich erst definitiv auf der Fahrt nach Kilpisjärvi entscheiden will ob ich nach Nord oder Süd laufe, scheint sich in meinem Hinterkopf die Variante Süd doch zu manifestieren. Eigentlich ist es eh egal, denn ich kann schlussendlich zwischen dem nördlichen und dem südlichen Filetstück an Wanderzeit in Nord-Norwegen auswählen!

Am Abend treffe ich in der Stadt noch den 71 jährigen Martin aus der Schweiz, welcher vor ein paar Tagen die Norge på langs Tour aus gesundheitlichen Gründen nach einem Drittel aufgeben musste. 2018-08-04 16.26.31Ich hatte mich mit ihm ein paar Mal getroffen betreffs der Planung und war nun nach diesem Hitzesommer und den extremen Bedingungen in Norwegen 2018, schlicht beeindruckt von seiner Leistung. Er hat sich entschlossen das Land nun auf gemütliche Art und Weise anzuschauen, bevor er wieder nach Hause zurückkehrt. Bravo Martin!

Woche 1 (Dividalen)

Während der Busfahrt wird klar, dass das Risiko zu gross ist, dass sich dieses Wettertief ins Land schlägt und mich dabei auf dem Plateau mit ziemlicher Wucht treffen könnte. (Nichtsahnend, dass genau dieses Tief noch mehr als drei Wochen dort liegen bleibt und Norwegen die ersten kühlen Temperaturen und dringend benötigte Feuchtigkeit bringen wird.)

Helen und Mätthu sitzen mit mir und zwei anderen alleine im Bus und die 2 1/2 stündige Fahrt nach Kilpisjärvi geht wie im Flug vorbei. Unterwegs werde ich noch vor einem Spektakel besonderer Art gewarnt. Der norwegische Outdoor-Held Lars Monsen ist zum Jubiläum des norwegischen Wanderverbands DNT mit einer Heerschar von TV- und Radioleuten und einigen hundert Outdoor- und Monsenfans in Richtung Kilpisjärvi unterwegs. Minute für Minute wird diese „Wanderung“ aufgezeichnet und zum Teil live übertragen und eine Kommerzspur sondergleichen durch die ruhige Fjell Landschaft Norwegens gezogen. Hütten wurden zum Teil Tage während der Hochsaison gesperrt und Wanderwege blockiert, was zu erheblichem Ärger unter vielen Wanderern und auch sehr vielen DNT-Mitgliedern geführt hat. Für mich ein absoluter Graus und ich komme hier definitiv nicht über ein grosses Kopfschütteln hinaus! Mit grosser Freude stelle ich fest, dass ich gerade einen Tag um das Desaster herumkomme und die ganze Meute neben mir vorbeizieht!

Im Kilpisjärvi Retkeilykeskus (Wanderherberge) übergebe ich der Chefin Riita noch eine riesige Toblerone als Dank für den super Support letztes Jahr, als sie mir ein Versorgungspaket zurück in die Schweiz schickte, da ich Kilpis nicht erreichen konnte.

Mit den beiden Emmentalern mache ich mich sogleich ans „All you can eat“-Buffet im Retkeilykeskus und wir warten zusammen auf das Fährboot M/S Malla, welches uns in 30 Minuten in die Nähe des Dreiländerecks Treriksrøysa bringt, dem Punkt an dem Schweden, Norwegen und Finnland eine gemeinsame Grenze haben.

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M/S Malla, Kilpisjärvi und der heilige Berg Saana

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Treriksrøysa, Treriksröset, Kolmen valtakunnan rajapyykki

Auf dem Weg von der Fähranlegestelle bis zum 3 Kilometer entfernten Dreiländereck merke ich, wie ich mich unheimlich auf die nächsten Tage freue. Nicht nur dass ich wieder in meinen geliebten Övre Dividal Nationalpark komme, sondern dieses Mal in entgegengesetzter Richtung laufe, d.h. ich habe jeden Tag ein neues Bild vor mir!

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Nach einem kleinen Erinnerungsfoto mit den beiden Schweizern und einer herzlichen Verabschiedung, ist mir allerdings ziemlich klar, die beiden werden mir wohl noch ein paar Tage über den Weg laufen. Gerade wenn man die Hütten am Weg benützt (und dies sollte man hier tunlichst tun, denn diese gehören nämlich zu den schönsten im ganzen Land!), so ist das Wiedersehen eigentlich schon vorprogrammiert! Ich mache mich nun auf den Weg Richtung Gappohütte DNT und zeige den beiden noch die Abkürzung an der südlichen Seite des Goldajávrisee.

Helen hat mich noch auf eine etwas eigenartige Frau am Wegkreuz zum Treriksrøysa aufmerksam gemacht, welche dort wie versteinert am Boden sitzt und eine Karte vor sich hat. Und tatsächlich, die gute Lady mit strohblonder Stoppelfrisur sitzt nach einer knappen halben Stunde immer noch dort und schaut regungslos in die Karte. „Zumindest atmet sie“ bemerke ich etwas ironisch als wir an ihr vorbeigehen, aber sie scheint doch ziemlich fertig zu sein. Hatte wohl einen anstrengenden Tag! Dass diese Frau noch ein grosse Rolle spielen würde in den nächsten Tagen, wer konnte dass hier schon wissen?!

Der Rucksack drückt noch etwas, doch das wird sich bald legen und so laufe ich los um die 13 Kilometer noch unter die Füsse zu kriegen. Schnell wird klar, dass dieses Jahr definitiv alles etwas anders ist als 2015. Die Erde ist wie Beton und die ganzen Bachläufe sind staubtrocken, kleine Seelein und Tümpel sind ausgetrocknet.IMG_6176 Die unglaubliche Hitze und Trockenheit die hier bis vor zwei Tagen, während zweier Monaten geherrscht hat, fordert ihren Tribut! Die Temperaturen sind nun überaus angenehm bei 12° angelangt und die leichte Brise von hinten lässt mich die Strecke in deutlich unter 4 Stunden zurücklegen. Es ist erstaunlich wenig los und es sind trotz der Hochsaison kaum Wanderer unterwegs. Die Einheimischen wurden wohl vom ganzen Spektakel um Monsen etwas abgehalten, doch die Touristen scheinen auch irgendwie verschwunden zu sein. Nach einer knappen Stunde erreichen auch die beiden Emmentaler die Gappohütte und freuen sich riesig über den ersten Etappenerfolg.

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Goldajávri See

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Gappohütten DNT

Ein älteres schwedisches Paar macht mich darauf aufmerksam, am nächsten Tag beim kleinen Wasserfall kurz nach der schwedischen Grenze, den Lachs- und Forellenzug zu beobachten. Ein 10 Meter hoher Wasserfall, bei dem die Fische erfolglos versuchen die Stufe zu überwinden. In der Bratpfanne liegen zwei dieser „Opfer“ welcher er gerade mit Bratbutter und Gewürzen zubereitet „beide mit der Hand gefangen“ betont der Mann immer wieder stolz!

Der nächste Tag ist bedeckt und etwas grau, doch Regen sollte es keinen geben, bestes Laufwetter also.IMG_6183 Nachdem die Norweger in diesem Gebiet flächendeckend die Wegweiser und Hinweisschilder erneuert haben, ist die Orientierung ein leichtes (die Kilometerangaben hingegen, sollten mit erheblicher Vorsicht genossen werden, die stimmen praktisch nie!) Für einen kleinen Spickel bewege ich mich nun in Schweden und laufe Richtung des grossartigen Isfiell-Gebirges und das einzigartige Isdalen mit seiner wohl grössten Rentierherde Skandinaviens (je nach Sommer 6000-7000 Tiere!).

Das Fischspektakel am Wasserfall ist tatsächlich beeindruckend und doch tun mir die Dinger irgendwie leid, den eine faire Chance haben sie tatsächlich nicht und springen hoch bis ihnen die Kraft ausgeht und sie schlussendlich leichte Beute der Vögel werden. (Etwa ein halbe Stunde vorher, konnte ich mit dem Fernglas einen Järv (Vielfrass) ausmachen, welcher sich hier wohl auch genüsslich bedienen wird.)

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Niearelháku Wasserfall

Das waten der grossen Bäche ist 2018 schlicht ein Witz und erfordert höchstens etwas Gleichgewichtssinn für die Steine. Die Wasserstände liegen durchschnittlich etwa bei 10% des Normalvolumens!

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Waten oder balancieren?

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Die mächtige Arena des Isfjella

Der Anstieg auf den gut 1000 Meter hohen Pass ist von dieser Seite erheblich einfacher und gemütlicher als von der Rostahütte aus. Schneefelder sind kaum noch auszumachen und sogar viele der Kvisten (Äste welche im Winter als Orientierungshilfe der Winterläufer in den Schnee gesteckt werden) stehen zum Teil noch in der Erde eingesteckt. Ein Zeichen dass es hier kaum grosse Mengen Schnee hatte in er Saison 17/18.

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Cievccascahca Tal

Schon jetzt wird die unglaubliche Weite der Landschaft dominant und beeindruckt mich total. Trotz der hier noch etwas höheren Gebirge, scheint die Landschaft am Horizont nicht aufzuhören. Die kühle, raue Luft, der Wind und die unglaubliche Stille vereinnahmen mich auf der Stelle. Einzig die beiden Punkte am Horizont, die mir Schritt auf Schritt folgen, deuten menschliches Leben an. Nur das pfeifen des Goldregenpfeifers, die Schreie des Steinadler und das Getrampel der wenigen Rentiere durchschneiden die Stille.

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Isdalen

Nach dem Passübergang deuten einige kleinere Schleier ein paar Nieselregenschauer an, doch ich bleibe auf der ganzen Strecke trocken. Von den Rentieren ist allerdings kaum was zu sehen. Diese sind wohl noch weiter oben wo es Schnee hat, den sie dafür benutzen sich abzukühlen.

Das durchwandern des Isdals ist ein absoluter Genuss. Das Grashochland, linkerhand das grosse Tafelgebirge Moskángaisi und die Sicht geradeaus auf das grosse Steinplateau Gassavággi, welches ich morgen Richtung Dærta überqueren werde.

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Das Tal des Rostaelva Flusses

Mit grossartiger Sicht auf das weite Tal des Rostaelva Flusses, erreiche ich schon am frühen Nachmittag die grossen Hütten des DNT in Rosta.

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Rostahütten DNT mit dem Likkafjellet und dem immer kleiner werdenden Gletscher

Die riesigen Hütten sind ein beliebter Anziehungspunkt auch für kleinere Wanderungen. 7 Km. westlich ist ein Parkplatz dem man gut mit dem Auto erreichen kann, so hat es meist recht viele Leute hier. Doch ausser einem norwegischen Norge på langs-Veteran der mit seiner Frau genüsslich Rotwein aus einem Plastiksack schlürft und einem Lehrer aus Tromsø, der mit seinem ersten selbstgefangenen Fisch die Hütte in eine Räucherhölle verwandelt, ist da niemand anzutreffen ausser……. Natürlich ist das Schweizer Paar auch schon im Anmarsch und sie scheinen auch den zweiten Tag perfekt hinter sich gebracht haben.

Doch als es Abend wird, geht die Türe auf und plötzlich steht da eine Frau mit strohblonder Stoppelfrisur da und scheint sich kaum mehr auf den Beinen halten zu können. Das Nachtessen scheint schon der Anstrengung zuviel zu sein und sie schleppt sich mit letzter Kraft in den gleichen Viererschlag wo ich mich ausgebreitet habe. Ich versuche ganz sanft Kontakt herzustellen und doch…..sie redet tatsächlich, wenn auch etwas unverständlich und mit einem energischen, finnischen Akzent im Englisch. Hanna kommt aus finnisch Lappland und macht eine gemütliche Wanderung (wohin auch immer, dass weiss sie nämlich nicht), und die Gemütlichkeit scheint ihr jetzt etwas abhanden gekommen zu sein. Sie ist nicht über Gappo gekommen, sondern hat den Weg über die schwedische Pältsa Fjellstuga des STF genommen. Sie sei total über die Grenzen gegangen und sei sowas von fertig…..plumps, da liegt sie und schläft sofort ein.

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Heilo (Goldregenpfeiffer)

Mit dem allgegenwärtigen pfeifen des Goldregenpfeifers, führt mich mein Weg am nächsten Tag zum Gassavággi hoch. Dieses rund 800 Meter hohe Plateau besteht nur aus Steinen, ist aber einigermassen gut zu laufen. Im Aufstieg treffe ich einen jungen norwegischen Norge på langs-Läufer, mit welchem ich mich sicher über einen halbe Stunde unterhalte. Und einmal mehr wird mir wieder bewusst, wieviel pragmatischer Norweger an diese Tour herangehen und kaum so ein riesiges Tohuwabohu veranstalten wie wir Mitteleuropäer. Wenn`s geht, dann geht`s und wenn nicht…..wenn interessiert`s! Cooler Junge!

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Blick zum Rjehttejávri und Schweden

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Fast legen die Wolken das Moskángasi Tafelgebirge frei

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Steine, nichts als Steine auf dem Gassavággi

Die Überquerung des Gassavággi Plateaus wird mir dieses Jahr etwas durch besseres Wetter versüsst. 2015 war hier mehrheitlich stockdicker Nebel und vor allem viel Nässe, was auf den Steinen nicht gerade angenehm ist.

Kurz nach der Überquerung folgt ein Steilabstieg ins Dærtavággi, an dessen Beginn die wunderbaren Dærtahütten des DNTs liegen. In der Felsflucht oberhalb des Abstiegs bemerke ich mehrere Greifvögel, welche mit ihrem pfeifen dem Eindringling Paroli bieten wollen. Es sind drei Steinadlerpaare die ihren Nachwuchs beschützen wollen. Tatsächlich kann ich mit dem Fernglas die Adlerhorste ausmachen und beobachte die Szenerie einen Moment, bevor ich mich zur Beruhigung der Vögel aus dem Staub mache.

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Dærtavággi und vor den Seen, die Dærtahütten DNT

Das runterkommen ist bei trockenen Steinen absolut kein Problem und ich komme sehr schnell bei den Hütten an. Alleine bin ich dieses Mal nicht, denn in der grossen und luxuriösen Hütte sind zwei deutsche Paare gerade dran ein spätes Mittagessen zu kochen, bevor es weiter geht. Die beiden jungen Paare sind getrennt unterwegs, finden sich aber immer wieder beim kochen zusammen und zelten dann unterwegs wieder an verschiedenen Orten. Ich habe das Grüppchen schon in Rosta gesehen und das eine Paar hat nach einem guten Zeltplatz gefragt, denen ich ihnen sehr leicht nennen konnte, denn hier ist es eigentlich überall traumhaft zum campieren!

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Dærtahütten DNT

Als die beiden Paare die Hütten verlassen, trudelt ein unscheinbarer Mann, klein, mit wettergegerbter Haut und weissen Haaren herein und stellt sich als Tom, 74 jährig aus Holland vor. Er ist seit über 20 Jahren immer wieder für 4-5 Wochen in Norwegen unterwegs, kennt den Sarek in und auswendig und macht immer Solotouren in die abgelegensten Orte des Landes. Ich habe sofort einen guten Draht zu ihm und wir erzählen uns angeregt von unseren Abenteuern. Überaus beeindruckend was der Mann geleistet hat und dies mit einer beneidenswerten Einfachheit, da bleibt mir einfach nur die Spucke weg! Helen und Mätthu sind mittlerweile auch eingetroffen, wollen das mittlerweile perfekte Wetter aber zum campieren nutzen und ziehen noch etwas weiter.

Da geht die Türe schon wieder auf und da steht sie wie ein Fels in der Brandung: Hanna! Doch die gute Frau scheint langsam etwas in Form zu kommen, sie macht doch eindeutig einen besseren Eindruck als gestern und spricht sogar vom ersten Moment an mit uns. Es entwickelt sich ein wirklich tolles und gutes Gespräch zwischen uns dreien und so langsam finde ich sogar einen Draht zu Hanna, die sich immer mehr öffnet. Unterbrochen wird das „Palaver“ allerdings immer wieder von der unglaublichen Kulisse draussen im Dærtavággi…..

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Dærtavággi

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Die mit hellem Holz gebaute „neue“ und luxuriöse Hütte, welche aber 2018 durch eine noch komfortablere Hütte in Vuoma übertrumpft werden soll.

Die Sonne hat sich schon hinter die Hügel verzogen als die Türe aufgeht und eine junge Frau in der Stube steht. Der leichte Schweizer Dialekt im Englisch ist nicht zu überhören und tatsächlich, scheinen „wir“ Schweizer“ nun das Dærta zu übernehmen. Irina ist auf dem Nordkalotleden Richtung Sulitjelma unterwegs. Sie ist zu meiner Überraschung heute direkt von der schwedischen Pältsa bis hierhin gelaufen, was gut und gerne an die 40 Km. sind. Wow… das wäre für mich wohl definitiv schon des Guten zuviel! Sie hat sich in der alten Hütte einquartiert und wollte kurz Hallo sagen, bevor sie wohl auch so langsam in die Horizontale wandert. Mir geht es genau gleich, trotz weniger Kilometer bin ich müde aber kann mich kaum von diesem sensationellen Ausblick aus den grossen Panoramafenstern der Hütte lösen.

Der Tag beginnt wie jeder andere Hüttentag hier: Geschlafen wie ein Murmeltier, gut gefrühstückt, nette Unterhaltung am Morgen und schnell gepackt und los geht es.

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Sami Siedlung Gárasvuopmi

Der Weg führt durch das Dærtavággi entlang der grossen Sami Siedlung Gárasvuopmi, stetig leicht ansteigend Richtung Bumannsberget. Unterwegs treffe ich die beiden Emmentaler welche einen wunderschönen Abend, aber auch eine etwas kalte Nacht im Zelt hinter sich haben. Mit leichtem schmunzeln stelle ich fest, dass ich die beiden heute Abend wohl wieder auf der Hütte treffen werde.

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Unna Nannás

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Gárasvuopmi

Nachdem ich das obligate Schlammbad zwischen den zwei Seen am Unna Nannás hinter mich gebracht habe, führt mich der wieder staubtrockene Track zum Jierttavuopmi hin. In Gedanken versunken und das immer strahlendere Wetter und die angenehmen Temperaturen geniessend, kommt mir plötzlich eine von weitem schon bekannte Silhouette entgegen. Ich hätte sie erst später erwartet, aber die gute Dame hat einen mörderischen Lauf drauf. “ Jaja, und dann läuft einem noch die gute Christine Thürmer

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Meine Wenigkeit, Christine Thürmer (Bildquelle C.T.)

über den Weg“ frotzle ich ihr entgegen, wobei sie doch etwas überrascht ist über die Namensnennung. Und so wird aus einem kurzen Treffen doch gleich ein fast stündiges „Sit`in“ zweier Buchautoren inmitten dieser herrlichen Landschaft in Nordnorwegen. Christine ist auf dem Weg von Göteborg bis ans Nordkap, also gute 3000 Kilometer und das ganze als Ultraleicht Wanderin. Ich gebe gerne zu, überhaupt nichts von diesem ganzen UL zu halten, vor allem weil ich immer wieder auf solche Spezialisten treffe, welche sich dann in Situationen befördern die dank ungenügender Ausrüstung schnell gefährlich werden können. Doch es ist jedem/r sein Ding und ich habe dass nicht zu beurteilen. Wir haben einen sehr unterhaltsamen „Schnakk“ über`s wandern, unsere Bücher und Vorträge und die sicher gemeinsame Ideologie einfach soviel wie möglich draussen zu sein.

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Stuora Nanná und die grosse Watstelle am Jierttájávri

Um den grossen Stuora Nanná Rücken geht es an die breite Watstelle am Jierttájávri. Normalerweise ist dieser oft bis zu 100 Meter breite Bach eine grosse Watstelle, die nach Niederschlägen schon mal etwas Probleme bereiten kann. Doch da ist dieses Jahr kaum Wasser drin und so kann ich gemütlich über den Bach setzen, ohne auch nur einen Moment dem Wasser näher zu kommen.

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Blick zurück zum Likkafjellet im Rostadalen

Der Anstieg zum 1000 Meter hohen Pass zwischen den beiden Jerta-Bergen, bringt mich nun doch etwas zum schnaufen. Die Etappe von Dærta nach Dividalen gilt mit 24 Km eh schon als eine der längsten, doch wenn man von dieser Seite kommt, hat man das Filetstück noch vor sich.

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Blick nach Schweden rüber

Hinter dem Pass habe ich nun einen perfekten Ausblick nach Schweden rüber. Die Besonderheit hier ist, dass es sich um eine Gegend handelt, die z.T. ehemals als Schiessplatz der Luftwaffe genutzt wurde und andererseits es sich um eine Zone handelt, in der bei einem missglückten Abschuss im Weltraumbahnhof Esrange, Trümmerteile der Raketen niedergehen könnten. Nun gut, heute wird da wohl nichts runterkommen und ich bin langsam froh Richtung Dividalshütte DNT zu kommen, da ich heute doch ein rechtes Tempo drauf hatte.

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Dividalen mit seinen Hütten im Vordergrund und Blick geradeaus ins Anjavassdalen

Wie immer ist der Blick oberhalb der Hütten kaum mehr zu toppen. Die unendliche Weiten des quer liegenden Dividalen und das mächtige Anjavassdalen geradeaus, vollgefüllt mit Birken und Nadelholzbäumen ist schlicht genial!

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Dividalen

Der neue Tag beginnt so strahlend wie der alte aufgehört hat. Ich verabschiede mich dann mal für einen kurzen Moment bei den beiden Schweizern und mache mich auf den Abstieg ins Tal runter. Schnell wird es düppig und schwül, kein Wunder, befinde ich mich doch hier im nördlichsten Urwald der Erde. Der Weg ist dicht verwachsen von Sträuchern, Bäumen und überall ist brusthoches Farn und Gras. Was für ein phantastischer Wechsel nach den Landschaften der letzten Tage. Einmal mehr wird mir bewusst, warum ich diese Tour so liebe!

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Dividalen

Auch dieses Jahr ist von Meister Petz nichts zu sehen oder zu hören, befinde ich mich doch im dichtbesiedeltsten Bärengebiet Norwegens. Als ich zur Hängebrücke komme, welche mich nun ins Anjavasstal bringt, bin ich durch und durch nassgeschwitzt. Ich gehe neben der Brücke runter an den Bach, reisse mir die Kleider vom Leib und sitze gewiss fast eine viertel Stunde im kühlen Nass, wie herrlich!

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Hängebrücke über den Divielva

Ich habe mich wieder laufbereit gemacht und will gerade los, als plötzlich jemand über die Brücke kommt. Es ist die Schweizerin Irina, welche sich vor 2 Tagen in der Dærtahütte vorgestellt hatte. Ich habe sie gestern schon vermisst in der Dividalshütte und rechnete damit, dass sie eine längere Pause macht nach der grossen Etappe tags zuvor. Nun, sie hat wie schon einige andere auch, bei Dærta den zweiten Weg erwischt, der direkt und früher ins Dividal runtergeht und so kommt sie nun das Tal hoch um wieder auf den Weg nach Vuoma zu kommen.

Wir beschliessen gemeinsam weiterzulaufen und geniessen die unglaublich schönen Wasserfälle des Anjasjohka. Mittlerweile haben wir auch eines der deutschen Päärchen überholt und nicht weit hinter mir folgen die beiden Schweizer und natürlich Hanna. Wie so oft hat sich auf dieser Strecke nun ein munteres Grüppchen gebildet, dass sich Hütte für Hütte in eine Richtung bewegt und dann am Abend gemeinsam den Tag ausklingen lässt. Und dieses Jahr ist es echt eine Hammergruppe!

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Anjasjohka

Während Irina und ich dem absolut tollen Weg durch`s Anjavasstal folgen, kommt unweigerlich mal die Frage unserer Herkunft auf. Ich staune nicht schlecht, als Irina ihren Wohnort im Berner Oberland angibt, und beide staunen wir nicht viel schlechter, als sich herausstellt, dass wir beide gerade mal 4 Kilometer auseinanderwohnen! Dass wir im Laufe des Gesprächs dann noch auf das Buch von meinem Freund Simon Michalowicz zu sprechen kommen, der ja auch 2013 zu Norge på langs gestartet war, staunt Irina noch einmal Bauklötze, als sie erfährt dass der Martin in diesem Buch ich bin und dass ich selber gerade ein Buch herausgegeben habe. Wie klein die Welt doch sein kann und beide müssen wir nur noch schmunzeln über diese Tatsachen.

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Anjavassdalen

Beide haben wir gar nicht richtig bemerkt wie sich das Wetter ziemlich schnell verändert hat und die ersten Regentropfen fallen. Wie 2015 hatte ich eigentlich geplant südöstlich weglos um das Blåfjellet nach Vuoma zu gelangen, da dies eine zeitliche Abkürzung ist. Doch wir entscheiden uns auf dem Weg zu bleiben und so kann ich das Tal nun auch etwas näher kennenlernen. Ohne Regen wäre dies wahrscheinlich auch genussreicher gewesen durch die Sträucher und Sumpfebenen zu gehen, doch nun beginnt es wirklich dauerhaft an zu regnen und so wird die Hütte ein, hoffentlich schnell zu erreichendes Ziel. 2 Km vor der Hütte giesst es jetzt wie aus Kübeln und wir sind froh die brandneue Hütte von Vuoma DNT zu sehen. Und was für eine Hütte ist dass geworden! Uns verschlägt es die Sprache als wir eintreten! Ich konnte mir kaum vorstellen dass Dærta noch getoppt werden kann. In der Hütte ist es schon warm und zwei deutsche Frauen begrüssen uns. Sandra und Tina sind mit einem deutschen Guide hier im Dividalen unterwegs und als der Name Tony fällt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen….. Tony Hinze oder dervondraussen! Ich kann es kaum glauben ihn hier noch anzutreffen, obwohl ich aus den Hüttenbucheinträgen weiss, dass er im Dividalen unterwegs ist. Tony hat wie ich 2015 Norge på langs gelaufen, wir hatten immer wieder Kontakt miteinander und nun treffe ich ihn hier auf einer Hütte in Norwegen!

Nachdem dann auch alle anderen Klitschnass in der Hütte eingetroffen sind, hat sich hier eine tolle Truppe auf den kuscheligen Sofas breitgemacht und es ist an Gemütlichkeit kaum mehr zu überbieten.

Während draussen sich das Wetter langsam beruhigt und grandiose Stimmungen auf die Landschaft legt…

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Der nächste Tag scheint vom Schlechtwetter aufpoliert zu sein und so machen sich Stück für Stück die Wanderer auf den Weg Richtung einer der grössten Stauseen hier im Norden: dem Altevatnet.

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Alt und Neu in Vuoma (man beachte die grandiosen Panoramafenster der Neuen!)

Der leicht ansteigende Weg führt nun durch ein weites Trogtal hoch Richtung dem steinigen Jierdnipass. Irina und ich kommen kaum vom Fleck, es ist einfach wunderschön hier und viele Rentiere begleiten uns auf dem Weg nach Gaskas.

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Blick zurück nach Vuoma DNT

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Östlich des Jierdnipass

Trotz aller Gemütlichkeit fliegen wir beide nur so dahin und erreichen Gaskas in gerade mal knapp 4 Stunden.

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Jierdnipass

Die Gaskashütten DNT sind eigentlich nur als Pausenhütte gedacht um die folgenden 12 Kilometer zur Altevasshütte noch anzuhängen. Doch die Neuzeit und ihre Technik sollen nun hier wegweisend werden. Gaskas hat seit ein paar Jahren perfekten Mobiltelefon-Empfang und auch eine schnelle Internetverbindung ist hier möglich. Der Altevatnet ist über und über mit Ferienhäuser übersät und so ist das Gebiet auch bestens erschlossen.

Die Wetterprognosen sehen noch immer ziemlich katastrophal für die nächsten zwei Tage aus und ein Weiterweg über die Lappfjordhütte nach Abisko oder Björkliden kommt so für mich nicht in Frage. Ich habe diese wunderbare Strecke von gut 50 Kilometern schon zwei Mal bewältigt. Einmal bei schönstem Wetter auf Norge på langs und letztes Jahr in einem verheerenden Schneesturm. Eigentlich war auch schon von Beginn weg klar, dass ich von Altevass ein Taxi organisieren werde um nach Setermoen zu gelangen, um dort mit dem Bus nach Narvik zu fahren. Dies scheint nun auch Wettertechnisch sehr ratsam. Mittlerweile hat sich die ganze Gruppe eingefunden und steht um mich herum um die leider etwas schlechten Nachrichten zu erfahren. Der Gedankengang mit dem Taxi und Narvik scheint plötzlich für alle zusammen eine neue Alternative, da niemand eigentlich so richtig auf Abisko angewiesen ist. Und Irina mit dem Nordkalotleden? Entweder daran festhalten oder auf meinen Vorschlag über das Narvikfjell einiges schneller südwärts zu gelangen, eingehen? Sie entscheidet sich auch für den Ausstieg nach Setermoen und so organisieren wir die Gruppen, um möglichst die Taxis zu füllen. Da schlussendlich aber auch verschiedene Endziele auftauchen, sind die Gruppen den auch vorgegeben. Unser Schweizer Quartet wird zusammenbleiben und wir buchen sogleich auch eine Übernachtung in Narvik.

Doch wollen wir nun alle noch zur Altevasshütte weitergehen? Es ist Wochenende und da die Hütte an der Strasse liegt, könnte diese trotz den Schlechtwetterprognosen ziemlich voll sein und wir sind ja mittlerweile ein Dutzend Leute. Tony bleibt mit seinen Mädels hier und…..warum eigentlich nicht. Hier ist es auch schön, die Hütten sind toll. Kommen wird wahrscheinlich auch niemand mehr und so entscheiden sich alle hierzubleiben.

So langsam wird mir etwas mulmig, denn da schmeissen einfach ein knappes Dutzend Leute ihren gemachten Plan total über den Haufen, gehen sogar früher aus der Tour raus und organisieren Taxis und Hotels, weil ich eine Wetterprognose eingesehen und den Vorschlag gemacht habe. Nun hoffe ich irgendwie inständig, dass das Wetter dann wirklich nicht viel besser wird!!

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Das Delta des Gaskas

Zu meinem grossen erstaunen gibt es dieses Jahr hier absolut keine Mücken. Gaskas gilt oft als komplett verseucht und es ist kaum draussen auszuhalten und nun sitzen wir am Abend noch mit Tony und den Frauen an einem Lagerfeuer bis es anfängt zu regnen!

Der nächste Tag beginnt noch relativ freundlich, doch die Anzeichen der Wetteränderung sind deutlich zu sehen. Vor dem kurzen Teilstück nach Altevass habe ich heute tierischen Respekt, denn ich habe keine wirklich gute Erinnerung an das Teilstück im Jahr 2015. Nicht nur weil es einfach etwas mühsam ist mit Buschwerk und Sumpf, sondern weil ich damals einen kompletten, unerklärlichen Einbruch hatte und mich kaum über die 12 Kilometer schleppen konnte. In Gaskas fällt allerdings zuerst der Abschied schwer, ein Abschied von dem kleinen, tollen Grüppchen dass sich da gebildet hat in den letzten Tagen. Es gibt niemanden, der sich jetzt gerade nicht wünscht, es würde einfach so weiter gehen, Tag für Tag. Wässerige Augen zeigen wie unheimlich schnell sich Freundschaften gebildet haben und doch ist allen hier irgendwie klar, dass wir uns wahrscheinlich nicht mehr sehen werden. Selbst die Finnin Hanna, die sich mittlerweile als eine richtige Laufkönigin entwickelt hat und überaus gesprächig ist, scheint eine grosse Wehmut zu packen.

Die Schweizer Truppe macht sich nun auch auf den Weg und sichert sich so zumindest einen halben, trockenen Wegteil, bevor es so richtig zu schütten anfängt. Irina und ich fegen wie der Eilexpress zur Altevasshütte und erreichen diese nach knapp 3 Std. Meine Befürchtungen haben sich in Luft aufgelöst und mein Trauma über diesen Wegteil ist jetzt wohl auch verarbeitet. Auch Mätthu und Helen erreichen sehr schnell die Hütte und freuen sich auf etwas Wärme und Trockenheit. Schnell ist ein Taxi bestellt und mit der Fahrt nach Setermoen und dem Bus nach Narvik, erreichen wir auch das Ende der ersten Woche und beschliessen, diese mit einem guten Essen und ein paar frisch angezapften Bieren zu feiern.

Für die beiden Emmentaler geht die Wanderung nun vorbei und es stehen noch ein paar Tage auf den Lofoten an.

„Mit euch zu wandern und die Zeit in Dividalen zu verbringen hat sowas von Spass gemacht und ich hätte es kaum unterhaltsamer haben können! Vielen herzlichen Dank an euch und ich freue mich riesig, euch schon bald wieder sehen zu dürfen, vi ses !“

Irina hat sich nun definitiv entschieden, mit mir durch das Narvikfjell zu laufen, da ihr Zeitplan unheimlich eng wird um nach Sulitjelma zu kommen. Dies freut mich natürlich umso mehr, als wir uns bestens verstehen und beim Laufen perfekt zusammen harmonieren. Selten funktioniert das so gut und so freue ich mich auf die 2. Woche im Narvikfjell!

Woche 2 (Narvikfjell)

Die 2. Woche ist definitiv jene, in welcher ich keine Ahnung gehabt habe wo sie mich hinführt. Während Woche 3 im Saltfjellet mit meinem guten Freund Henning etwas vorausgeplant war, liess ich für die 2. Woche alles offen. Ich wusste ja nicht ob ich von Alta zurückreisen musste wenn ich durch das Nábár oder wo auch immer gelaufen wäre, oder wo ich dann schlussendlich gelandet wäre. Nun bin ich in Narvik und habe eigentlich mehrere Varianten offen, wobei diejenige des Narvikfjell ziemlich naheliegend ist, da ich diese Gegend über alles liebe und…. da ist von letztem Jahr auch noch eine kleiner Plan offen, welchen ich nicht durchführen konnte!

Der Sonntag ist wettertechnisch nun definitiv komplett ins Wasser gefallen, somit hatte ich Glück was meine Voraussagen angehen. Das wäre mit grosser Sicherheit kein wirkliches Vergnügen gewesen, über Lappfjord nach Abisko zu laufen. Unser Plan sieht einen Ruhetage in Narvik vor und dann eine kurze Bahnreise nach Katterat, wo es dann am Montag für einen kurzen 12 Kilometer „Spaziergang“ dem Kraftwerksträsschen entlang zur Hunddalenhüte DNT geht. Nach dem ausschlafen, waschen und einkaufen werfen wir noch kurz einen Blick in die Tourist Info Narvik, wo uns kurzerhand eröffnet wird, dass der Bahnbetrieb wegen einem Feuer eingestellt ist! Ups…..!! Nun, Katterat kann nur mit der Bahn erreicht werden, es gibt keine Strasse dorthin und die nächste Bushaltestelle ist im Björnfjell. Das heisst, uns stehen nicht 12 sondern gleich deren 25 Kilometer an und der gemütliche Montag auf der Hütte wird wohl eher im Regen draussen stattfinden, denn dieser ist kurzfristig angesagt.

Gut erholt und wieder perfekt ausgerüstet und „gefrühstückt“, zuckeln wir am Montagmorgen nach Björnfjell. Der Bus hält im Nebel und Nieselregen inmitten der „ferienhausverseuchten“ Landschaft an und spuckt uns zwei und einen älteren Norweger aus. Lars will auch nach Hunddalen, weiss aber noch nicht ob er über das Fjell drüber oder den längeren Weg über den Rallervegen nehmen will. Dieser geschichtsträchtige Weg, der entlang der Erzbahn von Abisko bis nach Narvik führt, hatte ich 2015 schon stellenweise von Abisko bis nach Torneham gelaufen. Ich war damals sehr über diesen interessanten Weg erstaunt, da er auch noch landschaftlich schön gelegen ist, schlage ich Irina vor, doch diesen zu nehmen, da das Fjell dick in Nebel eingepackt ist. Und so laufen wir in Björnfjell los und folgen dem mit vielen Hinweistafeln ausgerüsteten Rallervegen nach Katterat. Schon kurz nach Björnfjell treffen wir auf die verheerende Brandstelle die den Zugsverkehr lahmgelegt hat. Ein Ferienhaus direkt an der Strecke hat Feuer gefangen und hat die direkt daneben stehenden 4 Meter hohen Holzschutzzäune, welche gegen die Schneeverwehungen im Winter gebaut wurden, auf 200 Meter in Brand gesteckt. Die Gleisanlagen und die Oberleitungen wurden ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wie uns ein Experte der Provinz vor Ort erklärt.

Der Rallervegen entpuppt sich einmal mehr trotz des grauen Wetters als absolut top! Perfekt zum laufen, viele tolle Aussichten und überall Zeitzeugen die aus der Zeit des Bahnbaus stammen.

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Blick ins Norddalen mit der Erzbahn und im Hintergrund der Bahnhof von Katterat

Nicht schlecht staunen wir, als wir plötzlich einen Zug hören! Ein Erzzug mit einer Diesellok fährt unter uns vorbei und macht deutlich, dass der Transportweg für die Eisenzüge nun wohl wieder fahrbar ist. Und nicht nur einer, alle 10 Minuten fährt ein Zug an uns vorbei Richtung Narvik. Jetzt fällt es uns auch wie Schuppen von den Augen, warum es in Narvik am Hafen und Bahnhof so ruhig war. Die ganzen Erzzüge wurden zurückgehalten und nun muss wohl einiges aufgearbeitet werden.

Der Norweger Lars hat wohl den Weg über das Fjell gewählt und so laufen wir alleine Richtung Katterat. Oberhalb des Norddalen haben wir auch noch die seltene Möglichkeit einen prächtigen Fischadler zu sichten. Bevor es zum Bahnhof von Katterat geht, müssen wir ganz hinunter ins Tal und stossen da auf die zweite grosse Geschichte des Norddalen. Das Norddalen war im 2. Weltkrieg die grosse Verteidigungslinie der Nazis gegen Schweden hin um das besetzte Narvik zu schützen. Riesige Truppenlager und sonstige Bauten zeugen inmitten der alten Ruinen des Bahnbaus von der Grossmacht, welche hier ein Gemetzel nach dem anderen veranstaltet hat. Ehrfürchtig laufen wir durch das Tal und man kann sich kaum vorstellen was für unheimliches Leid hier geherrscht haben muss in den letzten Tagen vor dem Besetzungsende und der Bombardierung von Narvik.

Im Bahnhof Katterat machen wir im geheizten Wartesaal eine kurze Pause, bevor wir uns auf die 12 Kilometer zu den Hütten machen. Die alte Kraftwerkstrasse ist nicht mehr so gut in Schuss, aber wir kommen durch diese natürlich sehr schnell voran. Ab etwa der Hälfte der Strecke sackt die Temperatur ziemlich rapide ab und der Regen peitscht uns jetzt eisig mitten ins Gesicht. Es ist absolut unwirtlich und die Kälte schleicht sich langsam durch alle Knochen, als wir nach 2 1/2 Stunden endlich die Hütten in Sicht bekommen.

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Hunddalenhütte DNT

Schnell ist eingeheizt und schon bollert der gute alte Jøtul-Ofen unter Vollast. Lars kommt einiges später zur Hütte und beklagt den kompletten Fehlentscheid, über das neblige und windige Fjell gegangen zu sein. Kurz nach dem Abendessen tauchen dann auch noch eine illustre Scharr Schotten auf, mit welchen wir noch ein paar Worte wechseln, bevor es ab in die Heia geht.

Wir sind nicht wirklich erstaunt am nächsten Morgen verschneite Berggipfel zu sehen. Das Thermometer zeigt gerade noch 3° Celsius an und es weht ein rauer Wind. Doch die Wetteraussichten sind nicht ganz so übel um über den Losipass zur Losihütte DNT zu gelangen. Diese 22 Kilometer werden uns auf gut 1100 Meter hoch bringen und es wird ein langer Tag werden. Als Höhepunkt wird es eine kurze Gletschertraverse geben, eine doch etwas einmalige Sache auf einem DNT Wanderweg.

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Der erste Schnee kommt näher!

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Das Doaresvággi Tal bietet unglaubliche Landschaften

Es ist Genuss pur durch das Doaresvággi zu laufen. Dieses breite Tal ist umgeben von hohen Bergen und überall hängen Gletscher an den Flanken. Es ist eine raue Gegend, gerade bei diesem Wetter, doch das macht es gerade aus und wir fühlen uns doch ein wenig in heimische Gefilde versetzt.

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Grün in Grau

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Losipass

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Watstelle im Doaresvággi

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Doaresvággi

Vorbei am Leirvatnet nehmen wir den Aufstieg zum Pass in Angriff, der dann allerdings doch nicht so lang ist wie erwartet, da wir die letzten 3 Stunden stetig an Höhe gewonnen haben.

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Leirvatnet

Und schon stehen wir vor den Überresten des Rienatgletschers. Die Traversierung sieht problemlos aus, kann aber bei Ungeübten schon etwas Knieschlottern erzeugen.

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Rienatgletscher

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Dass zwei Schweizer Bergler strahlen wenn es um Gletscher und Berge geht, versteht sich wohl von selbst. Und so tippeln wir über das Eis und einige Geröllfelder, bis wir zum höchsten Punkt des Passes kommen. Zum Glück hat uns der Nebel in Ruhe gelassen und so hatten wir immer gute Sicht auf die Gletscherzunge, welche wohl auch hier im Eiltempo den Geröllfeldern Platz macht!

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Rienatgletscher

Auf der anderen Seite tauchen wir nun über viel loses Geröll in den tiefen Einschnitt des Rienatvággi Tals hinunter. Der leichte Nieselregen hat die Steine extrem rutschig gemacht und so muss dass eine oder andere Schienbein dran glauben.

Das Tal ist schlicht gigantisch in seinen Ausmassen. Rechterhand ziehen sich Grashänge steil bis fast 1700 Meter hoch, während linkerhand steile Bergflanken und darüber hängende Gletscher dominieren. Plötzlich bleiben wir vor einem riesigen Loch stehen, c.a. 2×3 Meter gross und fast einen Meter tief. Es ist noch ganz frisch, keine paar Stunden alt, denn der Regen hat noch nichts verändert. „Was zum Teufel hat hier gegraben?“ fragen wir uns. Ich schaue etwas weiter oben hin und keine 20-30 Meter von uns entfernt ist das nächste solche Loch und weiter oben nochmals und……… wir schauen uns ziemlich entgeistert an und schlucken leer. „Heilige Schei…… da hat niemand gegraben“, dass muss ein riesiger 1 oder 2 Kubikmeter grosser Stein gewesen sein, der hier mit einer gewaltigen Kraft den Hang runtergeschossen kam. Ich blicke hoch zum Ende der Grasshänge und tatsächlich, dort türmen sich riesige Geröllhalden auf. Dort hat sich vor kurzem wohl ein solcher Block durch den Regen gelöst und ist hier runtergesaust und wahrscheinlich viele Meter den Gegenhang wieder empor gerollt. Wir beide denken wohl dasselbe, „hier eine Teepause zu machen wäre wohl ziemlich fatal!“ Wir nehmen unser Füsse in die Hände und laufen ziemlich zügig von hier weg.

(2017 wollte ich durch dieses Tal zur Hunddalenhütte laufen. Einige Wanderer hatten mich aber aufmerksam gemacht, dass es wegen zuviel Wasser gesperrt sei. Nun erklärt sich mir dass gerade ziemlich bildlich, wobei das Wasser wohl weniger das Problem war, als dass was das Wasser auslösen konnte!)

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Das Reinavággi Tal. Am oberen, rechten Bildrand hatte sich wohl der Stein gelöst.

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Huinnargletscher

Das Tal ist an Schönheit kaum mehr zu überbieten und wir laufen mit grosser Ehrfurcht durch den Einschnitt Richtung Lossisee. Langsam macht sich die Anstrengung bemerkbar, die immer um einiges höher ist, wenn der Untergrund feucht und glitschig ist. Doch die Hütten sind nicht mehr allzu weit entfernt und Essen und Wärme ist in Sicht.

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Rentiere wo das Auge hinblickt.

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Lossivatnet und die Berge von Nourjjovárri

In der Losistua teilen wir uns an diesem Abend die Kleinsthütte mit Jan-André aus Narvik und seiner Freundin aus Colorado. Beides sind Studenten in Narvik und wollen am nächsten Tag eine Bergtour machen. Nach diesem anstrengenden aber wundervollen Tag, freuen Irina und ich uns über diese „Mitbewohner“ und es wird ein gemütlicher Abend mit den beiden!

Als mich Jan-André nach meinen Plänen fragt, sage ich ihm, dass ich von der Skoaddejávrehütte DNT ins Skjomdalen runter möchte um dann mit dem Bus nach Narvik zu gelangen. Irina wird ja den Weg Richtung Schweden und Hukejaure einschlagen um dann nach Sulitjelma zu gelangen. Aber eben, da ist noch das Problem mit dem Bus, denn ob der auch fährt steht in den Sternen. Jan-André bietet sich sogleich an und gibt mir seine Telefonnummer. Ich kann ihn ohne weiters aus dem Skjomdalen anrufen wenn der Bus nicht fährt, er wird mich abholen kommen, denn ein Taxi würde locker um die 200 Euro kosten!! Wow…!! Das gibt mir gleich einen mächtigen Schub und ich bin somit natürlich um einiges unabhängiger. So bin ich gleich eine Sorge los und kann mich nun komplett auf die nächsten Tage freuen.

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Losistua DNT

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Ein weiteres Norddalen (die gibt es hier überall!) mit der Kraftwerkstrasse Richtung Narvik

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Losistua DNT thront über allem

Am Morgen verabschieden wir uns von den beiden Berggängern und steigen von der Hütte runter zur Kraftwerkstrasse, die uns nach ein paar Kilometern an einem kleinen Stausee wieder in die Wildnis ausspuckt.

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Das vis a vis gelegene Storsteinfjellet wo sich der Gletscher noch etwas schüchtern versteckt

Wir ziehen nun südwärts in das Tal des Steinelva Bachs und steigen gemächlich 600 Höhenmeter bis auf knapp 1200 Meter hinauf. Rechterhand ist die höchste Erhebung der Cáihnavárri und linkerhand liegen noch die Überreste des Unnariehpassgletschers.

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Rosenhorn, Mittelhorn, Wetterhorn???

Und wenn mich bis jetzt noch kein Heimweh nach den Haslitaler Alpen gepackt hat, dann spätestens hier, als ich vis a vis den Rienatcohkka mit seinen Nachbarbergen als die Wetterhorngruppe im Haslital erkenne!

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Steinelva Tal

Schon bald erreichen wir den Pass und geniessen es, dass uns die Sonne immer wieder entgegenblinzelt, obwohl die Bise toll an der Jacke reisst.

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Der türkisgrüne Cáihnavággisee und das gegenüber liegende Rivgovárri

Der Abstieg in das 1000 Meter hoch gelegene Tal mit seinen Cáihnavággi DNT Hütten, fliesst nur so dahin. Prächtiges und einfaches Gelände saugt uns richtig ins Tal. Aber es ist auch noch etwas anderes was mich so magnetisch anzieht. Es ist schlicht einfach der Platz, die Hütten, der See……ich bin ganz einfach verliebt in diesen Ort, so steinig und fad er vielleicht auf viele Leute wirken mag.

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Namenloser See auf dem Weg zu den Hütten.

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Cáihnavággi Hütten DNT

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Ich bin richtig glücklich als „meine“ kleine Hütte noch frei ist und wir quartieren uns dort gemütlich ein. Dem kalten Wind trotzen wir mit einem bollernden Ofen und einem guten Nachtessen. Draussen fasziniert die unglaubliche Schönheit der Landschaft mit ihrem rauen Touch und den Farben in der Abendsonne. Es ist die wohl die Ruhe vor dem Sturm, den für den übernächsten Tag ist absolut scheussliches Regenwetter angesagt. Mich wird es dann auf dem Weg ins Skjomdalen erwischen und Irina wird hoffentlich schon im Abstieg von der Hukejaure Hütte des schwedischen STF Richtung Ritsem sein.

Wir diskutieren lange in die Nacht hinein und merken gar nicht wie die Zeit vergeht. Der Morgen ist dann dementsprechend etwas früh da, aber das Wetter scheint noch zu passen, so dass wir ohne Nebel über den Pass ins Gautelisgebiet kommen können. Am Abend ist Lars noch eingetroffen und hat sich in der anderen kleinen Hütte einquartiert. Als er am Morgen zeitig aufbricht, frage ich nach seinem Plan. Er will rüber in die Gautelishütte und dann morgen die fast 40 Kilometer der Strasse entlang runter zur Bushaltestelle ins Skjomdalen. Das heisst, wenn alles klappt werden wir uns dann dort sehen und gemeinsam auf den Bus hoffen.

Für Irina und mich bricht der letzte gemeinsame Tag an. Irina hat grossen Respekt vor ihrem weiten Weg durch den Padjelanta runter nach Ritsem, bleiben doch nur wenige Tage dafür. Ich kann es hier deutlich gemütlicher angehen, da ich perfekt im Zeitplan liege und mit einer Übernachtung in Narvik, dann Richtung Saltfjellet fahren kann, wo ich meinen Freund pünktlich treffen werde.

So brechen wir kurz nach 11.00 Uhr auf und steigen zum Pass hoch. Das erste Mal dass ich diesen Weg ohne Schnee und auch noch von dieser Seite bewältigen kann.

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Wehmut beim Abschied in Cáihnavággi

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Der Pass ohne Schnee, für mich eine Premiere.

Als wir auf dem Pass ankommen und runter zum See Gautelisvatnet sehen, bemerke ich schon ziemlich dunkle Wolken am Horizont über Skoaddejávre, meinem Ziel heute. Gegen Schweden hin ziehen sich auch schon Regenschleier über dem See zusammen. Irgendwie haben wir beide heute absolut keine Lust noch stundenlang im Regen rumzulatschen und so beschliessen wir kurzerhand zu den Gautelishütten DNT runterzugehen, obwohl dass für mich 4 Kilometer bedeuten, die ich am nächsten Tag wieder zurücklaufen muss.

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Typische Wegbegleiter in Gautelis

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Gautelisvatnet und die DNT Hütten am Ufer.

Gerade rechtzeitig kommen wir bei den Hütten an, bevor es zu regnen beginnt. Lars hat sich wie immer in die kleine Hütte eingenistet und ist etwas erstaunt, dass wir nun doch noch hierherkommen. Der Plan kurzfristig hier hin zu gehen, erweist sich als Goldrichtig und so geniessen wir noch einmal einen gemütlichen Hüttenabend. Wie auf der ganzen Tour, staune ich über die menschenleeren Hütten. Es sind kaum Wanderer unterwegs und auch die Hüttenbücher strotzen nicht wirklich nach vielen Übernachtungen diesen Sommer, obwohl es ja ein bombastischer Sommer war!

Da mein Weg heute ungefähr 35-37 Kilometer lang sein wird und ich um 15.00 spätestens im Skjomdalen sein muss, geht der Wecker früh los. Lars sehe ich um 5.30 schon loslaufen und bei mir wird das sicher nicht nach 7.00 Uhr passieren. Das Wetter scheint es noch einen Moment gut zu meinen und so sattle ich meinen schon wieder leichteren Rucksack (c.a. 18-20 Kg.) und verabschiede mich herzlich von Irina.

„Es hat gigantisch viel Spass gemacht mit Dir unterwegs zu sein und die vielen wertvollen Diskussionen werden mir immer in guter Erinnerung bleiben! Das grosse Glück zu haben zuhause fast Nachbarn zu sein, freut mich riesig! Vi ses Irina!“

So laufe ich los und lege gleich einen mörderischen Zahn zu. Die knapp 8 Kilometer bis zum Damm am Gautelisvatnet lege ich trotz stetem Auf und Ab in gerade mal etwas mehr als eineinhalb Stunden zurück. Ich merke dass ich heute körperlich gut drauf bin und dass der viele Schlaf wahre Wunder vollbringt. Das vorgängige Training scheint allerdings nun auch zu greifen und so kann ich in solchen Situationen auf mehr Reserven zurückgreifen. Ich komme gerade zum Damm, als ich vom See her eine riesige dunkelgraue Niederschlagswand in höllischem Tempo auf mich zu bewegen sehe. Wie aus heiterem Himmel erwischt mich diese Walze genau in dem Teil, wo ich knapp etwas mehr als 2 Kilometer das Tal und somit diese Wand queren muss. Die Kraftwerkstrasse ist gute 5 Meter breit, doch sie reicht oft nicht aus um auf ihr zu bleiben. Der Regen peitscht mir um die Ohren und ich denke mit Schrecken an Irina, welche diese Walze nun frontal mitten ins Gesicht bekommt. Ich hoffe inständig, dass sie noch in der Hütte ist! Endlich erreiche ich die Kurve und somit kann ich den Rücken der Regenwalze entgegenstemmen. Mit ungeheurer Wucht drückt mich der Sturm nun der Strasse entlang und ich fege wohl schon fast mit Windgeschwindigkeit über die ellenlange gerade Strasse. Es gibt keinerlei Schutz und so akzeptiere ich die äusseren Umstände und lasse mich treiben. Ich bin schon über drei Stunden in diesem Höllentempo unterwegs und habe noch keine Pause eingelegt. Doch ich fühle mich immer noch gut und merke dass nicht nur mein Kopf, sondern auch meine Beine da runter wollen.

Ich komme an den Abzweig, welcher mich zu einer Stichstrasse führt, die dann beim See Kobbvatnet und dem dazugehörigen Kraftwerk aufhört. Von dort führt laut der Karte ein Wanderweg runter ins Skjomdalen. Um dessen Zustand bin ich allerdings etwas besorgt, denn seit dem Bau der Kraftwerkstrasse, fahren viele Leute zum Damm hoch und kaum jemand benutzt wohl den Weg noch. Aber es wäre eine Abkürzung von über 3 Kilometern, was bei diesem Wetter sicher kein Nachteil wäre. Als ich ans Ende der Strasse komme, ist tatsächlich von einem Weg kaum was zu sehen, nur ein einzelner roter und verwitterter Punkt auf einem Stein weist so etwas wie einen Wanderweg aus.

Doch jetzt kommt etwas die Erfahrung von Norge på langs durch. Eine Starkstromleitung führt durch das Tal runter zum Kraftwerk und wo eine solche Leitung ist, ist meist auch ein kleiner Pfad der Kontrolleure zu finden. Tatsächlich finde ich so etwas wie ein ganz kleiner Pfad und siehe da…..plötzlich reisst die Wolkendecke auf und es scheint sogar kurz die Sonne!

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Eine Augen- und Seelenweide nach dem Sturm!

Ein riesiger und wunderschöner Regenbogen erscheint am Horizont und wird mich nun für mehr als 2 Stunden begleiten. Der Sturm scheint eine Kaltfront gewesen zu sein und nun folgt wohl das Rückseitenwetter. Wenn das Tatsache ist, dann hätte ich aber so was von Glück gehabt!!

Ich laufe entlang dem Skobbvatnet und bin erstaunt, dass es nicht mehr Wasser von den Hügeln runterspült. Doch wahrscheinlich werden die Fluten erst noch kommen und so halte ich das Tempo hoch. Leider ist noch immer kein Mobiltelefon Empfang um eine aktuellere Online Karte zu öffnen. Ein Weg ist hier definitiv kaum mehr auszumachen, also kann ich mich wohl auf ein tolles Buschwandern einstellen in den nächsten Stunden.

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Ihnen fällt das wandern wohl gerade leichter als mir!

Als ich am Ende des Sees ankomme, erreiche ich noch einmal eine kleine Stichstrasse eines Kraftwerkbaus. Hier könnte ich nochmals mit einem kleinen Umweg zurück auf die offizielle Strasse runter ins Skjomdalen gelangen und vielleicht hätte ich Glück und ein Auto würde mich von Sitas herkommend mitnehmen…?

Aber ich lasse es bleiben und tauche nun in das steile Tal runter nach Skjomdalen. Unterwegs muss ich noch den reissenden Bach überqueren der vom Staudamm runterkommt. Irgendwo hatte ich auf einer Karte mal eine Brücke ausgemacht, aber mittlerweile bin ich im tiefsten Buschwerk angelangt und das Terrain wird immer tiefer und schwammiger.

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Der Regenbogen weist mir den Weg ins Skjomdalen

Es wird immer steiler und glitschige Felsplatten wechseln sich mit tiefem und wasserdurchtränktem Moos ab. Das Buschwerk wird immer dichter und ein durchkommen wird immer schwieriger. Langsam beginne ich zu fluchen und meinen Entscheid als absoluten Mist zu betiteln. Ich könnte nun zügig auf der Strasse unterwegs sein und ob es jetzt 35 oder 38 Kilometer sind…….!

Da plötzlich inmitten der Bäume sehe ich die Brücke! Und was für eine Brücke das ist! 5 Meter breit und ohne weiteres so stark, dass sie wohl einen LKW tragen könnte. Dass darf doch nicht wahr sein und wo bitte ist nun der Weg oder die Strasse die dazu gehört? Nichts, ausser Gebüsch, Bäumen und Strauchwerk ist nichts zu finden. Jetzt geht aber der Gaul erst recht mit mir durch und ich peitsche durch das Unterholz zur Schneise der Stromleitung empor. Hier ist es zwar kaum besser zum laufen, doch zumindest ist es ausgeholzt und ich kann was sehen. Mittelweilen bin schon über 5 Stunden unterwegs und habe erst eine 5 minütige kurze Trinkpause eingelegt und mir gleich eine Tafel Schokolade reingepresst. Wie soll das bloss weitergehen hier, denke ich immer wieder, denn das Terrain wird keinen Deut besser und ich sehe noch immer eine grosse Geländestufe vor mir ins Skjomdalen runter. Ich lege noch einmal einen Zahn zu, merke dass da noch was geht und stürme mittlerweile der Leitung entlang. Die Zeit könnte nämlich langsam knapp werden für den Bus, den Bus der eventuell gar nicht fährt! Endlich sehe ich dass das Gelände sich zum letzten Mal runter neigt, jetzt muss es doch endlich ein Ende nehmen? Zum Sumpf und kniehohen Matsch, gesellen sich mittlerweile auch Heerscharen von Mücken dazu und plötzlich bleibe ich stehen und bewege mich keinen Millimeter mehr vorwärts. Schon vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass sich unter meinen Füssen immer wieder Steinplatten befinden, die vertikal gespalten sind und Spalten aufweisen, analog eines Gletschers mit seinen Gletscherspalten. Und jetzt sind diese Steinplatten plötzlich mit Moos überwachsen und ich sehe überhaupt nicht mehr vorauf ich trete! Die Spalten sind zum Teil 30 cm breit und gut und gerne 4-5 Meter tief. Wenn ich hier irgendwo reintrete hätte das fatalste Folgen! Langsam bewege ich mich zurück bis ich wieder sicheren Boden unter meinen Füssen feststellen kann und mache nun einen grossen Bogen um diese Felder.

„Jawohl, endlich geschafft“ schreie ich, als ich das Kraftwerk unter mir sehe. Doch es ist nochmals eine Stunde totaler Einsatz in dichtestem Wald und Sumpf nötig, bevor ich wie ein Urwaldmensch völlig erschöpft auf die Strasse des Kraftwerks raustorkle und mich nur noch auf den Boden setzen kann. Zwei Arbeiter hinter dem Kraftwerkszaun schauen mich mit grossen Augen an und fragen ob sie helfen können. Ich muss wohl ein ziemlich erbärmliches Bild abgeben. Doch ich lache laut los, winke ab und bedanke mich für das Angebot, aber ich bin nur noch froh es nach 7 Stunden totalem Einsatz geschafft zu haben. Die 4 Kilometer bis zur Haltestelle sind bald zurückgelegt und tatsächlich, der Bus fährt in einer Stunde und zwar immer nur am Freitag…..und heute ist Freitag!

Keine 10 Minute später kommt plötzlich Lars der Strasse entlang und scheint auch ziemlich gerädert zu sein. 2 Autos seien ihm begegnet, aber keines habe angehalten um ihn mitzunehmen, so habe er halt die 38 Kilometer zu Fuss zurückgelegt. Aber warum dass ich denn schon hier sei, ist seine erstaunte Frage. Nun, ich erzähle ihm von der „Abkürzung“ und er scheint gerade ziemlich froh zu sein, heute an der Wegkreuzung geradeaus der Strasse gefolgt zu sein, denn kurz habe er sich dass auch noch überlegt!

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Narvik

Ich sitze keine 2 Minuten im Bus als ich eindöse und mich die Erschöpfung komplett einholt. Nach so einem Tag in ein grosses und tolles Hotelzimmer im 14. Stock von Narvik zu kommen, scheint gerade das wahre Paradies zu sein. Und nach einem zwar einsamen, aber deftigen Nachtessen und ein paar hochverdienten Bieren, lande ich im Bett und bewege mich keinen Millimeter mehr!

Nun steht am nächsten Tag eine 5 stündige Busfahrt nach Fauske an und dann ein Katzensprung von einer Stunde mit dem Zug nach Lønsdal, wo ich kurz hinter dem Bahnhof in der Lønstua DNT Hütte meinen Freund treffen werde.

Woche 3 (Saltfjell)

Sich Morgens um 7.00 Uhr in einen Bus zu setzen, ist mit Sicherheit nicht gerade mein Lieblingshobby, aber nach dem gestrigen Tag, scheint mir ein Erholungstag angebracht. Bus und Zug bringen mich zum einsamen Bahnhof in Lønsdal nahe dem Polarkreis, wo meine 3. Woche beginnen soll. Der Plan ist relativ einfach, so soll uns der Weg über einige Hütten von Lønsdal durch das Saltfjell rüber an die Atlantikküste und somit durch den Svartisen Nationalpark bringen. Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sind, eher typisch für diese Region direkt am Meer, ziemlich bescheiden. Dies spielt aber nicht so eine grosse Rolle, da es möglich ist in Hütten zu übernachten.

In Lønsdal erwartet mich mein Freund Henning am Bahnhof, der soeben von Sulitjelma kommend über die Muorkihütte, das schwedische Mavas und Graddis hierher gelaufen ist. Er hat sich mittlerweile in der Lønstua DNT Hütte einquartiert und wir schauen uns mal gemeinsam unseren Plan an.

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Lønsdal Downton

Die Route ist eigentlich vorgegeben, doch scheinen Thor und Odin etwas gegen einen morgigen Aufbruch zu haben, den das Wetter soll miserabel sein und der Weg rüber ins Saltfjellet soll laut vielen anderer Wanderer eine Katastrophe sein. Der Beschluss einen Ruhetag in Lønsdal einzulegen ist schnell gefällt, es scheint gerade, wie wenn ihn beide genau gleich noch gerne beziehen möchten.

Auch jetzt ist die Entscheidung wieder völlig richtig, denn der Sonntag ist definitiv einfach nur ein grosses Mistwetter. Während des Tages hatte ich kurz Kontakt mit Hauke Bendt der seit vielen Wochen auf Norge på langs unterwegs ist. Auch er sitzt das schlechte Wetter aus und dies in der DNT Hütte von Bolna. Somit besteht also die Möglichkeit, dass wir uns in den nächsten 2 Tagen über den Weg laufen könnten. Hauke verfolge ich seit Beginn seiner Tour und er macht mir grossen Eindruck, weil er schlicht einfach seinen Spass hat, viele tolle Bilder macht und die ganze Tour als solches nicht so wahnsinnig ernst nimmt und einfach solange läuft wie es okay für ihn ist. Es sind gerade einige Norge på langs Läufer in der Region, denn die meisten starten Mitte, Ende Mai und sind jetzt in der Regel um diese Zeit auf der Höhe des Polarkreises.

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Lønstua DNT Hütte

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Man kann ja nur hoffen dass das nicht das Motto der 3. Woche sein wird….

Am Montagmorgen starten wir nun also über etwas glitschige Platten hoch zum Kjemåbekken. Es sind immer noch einige Nieselschleier unterwegs, doch der Weg ist ganz gut machbar und wir kommen hervorragend voran. Am Kjemåvatnetsee und etwas weiter oben gibt es zwei Abkürzungsmöglichkeiten, aber beide sind nach den Regenfällen nicht wirklich zu empfehlen, die Wasserstände sind zu hoch. Je weiter wir hoch kommen, umso mehr beginnt sich der graue Schleier zu heben und ab und zu schaut sogar die Sonne vom Himmel herunter. Henning und ich halten die ganze Zeit nach diesem höllischen Terrain Ausschau, finden aber irgendwie nur ein grösseres Steinplateau, welches dazu noch hervorragend markiert ist. Wir sind uns schnell einig, wer schon ein paar Mal im Narvikfjell war, kann das hier mit Sicherheit nicht mehr erschüttern. Im Gegenteil, die Landschaft ist einfach nur grossartig!

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Das ist dann doch definitiv etwas zuviel Wasser.

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Lønstinden

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Lønstindvatnet

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Steinehüpfen im Steindalen

Ein kalter Wind pfeift um die Ohren und es ist momentan kaum vorstellbar, dass hier vor zwei Wochen noch über dreissig Grad herrschten. Doch mir soll es recht sein, denn die Landschaft bekommt so genau das richtige Klima und schwitzen ist auch kein Thema!

Wir haben heute zwei Möglichkeiten als Tagesziel. Zum einen könnten wir den 2 Kilometer kürzeren Weg zur Saltfjellstua DNT nehmen oder links um den See Søre Bjøllåvatnet und somit in die 24 Kilometer entfernte Midtistua DNT Hütte gelangen.

Da die Midtistua schon auf unserem Weg von morgen liegt, entscheiden wir uns für diese, und peilen die rechte Seite des Sees an.

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Blick ins Saltfjellet und die ersten Anzeichen des Sees Søre Bjøllåvatnet

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Søre Bjøllåvatnet

Die Hütten sind schon lange in Sicht, doch wegen dem grossen Bach, müssen wir einen kleinen Umweg über eine Hängebrücke am Wasserfall machen. Die Etappe ist einfach grossartig und bietet alles was das Fjellherz so begehrt. Wir sind gut unterwegs und erreichen die Hütten schon Mitte Nachmittag.

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Hängebrücke 1 Kilometer vor den Hütten Midtistua DNT

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Sie sind wirklich ganz nützlich, diese Hängebrücken!

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Midtistua DNT

Die beiden Hütten stehen ziemlich exponiert im Gelände und dies hat natürlich auch einen Grund. Die ältere der zwei Hütten war um die Jahrhundertwende eine Telegraphenstation der Telegraphruta Saltdal-Rana. Nun wird sie als Zweithütte des DNT genutzt. Wir sind alleine auf der Hütte, einzig ein einzelner Norweger taucht kurz nach 21.30 im Regen auf und geht nach einem kurzen „Schnakk“ in die alte Hütte rüber. Für morgen steht nun eine sehr kurze Etappe von nur 11 Kilometern auf dem Plan, dies würde also Zeit für eine, in Norwegen oft genannte, Toptur geben. Das heisst, einen Ausflug von der Hütte auf einem Gipfel und dann wieder zurück, bevor es weiter geht.

Doch das Wetter lässt am nächsten Tag keine Toptur zu und so folgen wir dem Weg Richtung Bjellåvassstua DNT Hütte. Weit hinter uns sehen wir beim Start schon 2 Wanderer ziemlich schnell aufschliessen. Dass kann eigentlich nur Hauke mit einem weiteren Norge på langs Läufer, dem Andreas sein.

Obwohl das Wetter heute wirklich keine grossen Sprünge erlaubt, fasziniert die Landschaft auf ein Neues. Ich bin ehrlich gesagt etwas erstaunt, denn ich habe mir das hier ganz anders vorgestellt und freue mich noch auf weitere Überraschungen.

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Saltfjellet

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Saltfjellet

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Wasserkunst auf dem Weg

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Nordre Bjøllåvatnet, an dessen nördlichen Ende die Bjellåvasshütte liegt

Kurz vor der Bjellåvasstua DNT holen uns die beiden Deutschen ein und wir machen zusammen in einer kleinen Steinhütte eine Pause. Es gibt viel zu erzählen und auszutauschen und es bringt mich gleich wieder in meine Norge på langs Zeit zurück, wenn ich all die Geschichten und Anekdoten höre, die die beiden erlebt haben.

Hauke und Andreas wollen heute noch runter Richtung Røkland, da ein Grosseinkauf ansteht. Henning und ich machen allerdings nur noch einen kurzen Teil und stehen schon bald vor unserem Nachtlager…. und was für eines!

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Was für ein Ort am Nordre Bjøllavatnet

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Bjøllavasstua DNT

Der Ort haut uns um, da geht definitiv nichts mehr gegen oben! Wir verabschieden uns von Hauke und Andreas und beziehen unser Lager.

Die Abendstimmung ist dann der absolute Höhepunkt an diesem wunderbaren Ort…

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Nach dem Nachtessen brüte ich über den Karten und die weiteren Tage. Irgendwie geht mir das Ganze nicht so auf wie ich es mir eingeplant hatte. Ich habe am Montagmorgen um 7.00 Uhr den Flug zurück und käme erst am Sonntagabend um 18.00 mit dem Bus nach Bodø. Irgendwie tendiere ich immer mehr für die „Ausstiegsvariante“ direkt durchs Saltdalen Richtung Saltstraumen hoch. Dies würde mir mehr Reserve geben was den Flug und seine Bestätigung angeht, denn auf Empfang für das Mobiltelefon zu hoffen ist immer so eine Sache. Irgendwann ist klar, dass ich den Weg nicht gemeinsam mit Henning weitergehe, der zum Svartisen hochgeht. Für beide ist das kein Problem, hatten wir diese Variante auch zuhause schon angeschaut.

Und so führen unsere beider Wege am nächsten Morgen auseinander. Für mich geht`s nun Richtung Tverrbrennstua DNT und für Henning zur Beiarstua DNT runter.

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Freunde auf Tour!

„Leider hat es dieses Mal nur für einen kurzen Teil gereicht Henning, es hat aber viel Spass gemacht und schreit nach Wiederholung! Tusen takk, vi ses!“

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Schnee auf den Gipfeln im Saltfjellet

Ein langer Weg steht mir bevor heute, sind es doch an die 27 Kilometer, allerdings in sehr einfachem Gelände. Das Wetter hält am Morgen ganz gut mit und lässt mich seit langem auch wieder mal die Sonnenbrille hervorholen. Der Weg ist hervorragend und ich fliege nur so über das Fjell.

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Blick über das Haroldalen

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In der Ferne scheinen die weissen Kappen des Sulitjelma- und Blåmansisen

Weit in den Padjelanta Nationalpark hinein scheint heute der blaue Himmel zu ziehen und ich hoffe auch darauf, denn heute müsste Irina eigentlich nach einem Gewaltsmarsch Sulis erreichen. Das Wetter war wohl auch dort nicht über alle Zweifel erhaben!

Ich geniesse jede Minute hier und es scheint dass ich mich gerade in ein neues Gebiet verliebe. Dieser eher unbekannte Teil des Saltfjellet ist schlicht der Hammer.

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Weggabelung am Øvre Oksvatnet

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Ausläufer des Svartisen Nationalparks

Durch seine unmittelbare Nähe zu Bodø und der vielen Strassen in der Nähe, ist dieser Teil sehr beliebt bei den Einheimischen. Eigentlich sind die Hütten meist sehr gut belegt oder sogar voll und es ist wohl ein Privileg hier alle gleich mehr oder weniger für mich zu haben. Es ist erstaunlich ruhig, erklärbar sicher auch durch das Ende der Ferien letzte Woche.

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Reinheia und Blick zum Lurfjellet

Der Weg ist wunderbar zu gehen und schon nach knapp 7 Stunden erreiche ich die leere Tverrbrennstua DNT. Die riesige Hütte ist an Luxus kaum zu überbieten und belohnt meinen Tag gleich mit einem phantastischen Sonnenuntergang! Zugleich bekomme ich von Irina die Nachricht, dass sie es tatsächlich geschafft hat und gesund aber todmüde in Sulitjelma angekommen ist. Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich staune nur noch über diese Leistung!

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Tverrbrennstua

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Sonnenuntergang 1A

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Der Herbst hat deutlich überhand genommen

Die zweitletzte Etappe führt mich heute über ein ewiges auf und ab Richtung Lurfjellet. Und nicht nur das Gelände geht heute auf und ab, sondern auch das Wetter! 2 Minuten Sonne, 2 Minuten Regen und dass gleich 6 Stunden hintereinander! Doch es ist jammern auf höchstem Niveau, denn die Landschaft bietet gleich schon wieder ein Höhepunkt nach dem andern.

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Tverrbrennstua

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Das ganze Gebiet zeigt wunderschöne Tektonik und verschiedene Gesteinsarten…

Nach 5 Stunden wird die Sicht frei auf das einzigartige Åselifjell. Dieser Zacken in der Landschaft welcher auch die Sicht von Bodø südwärts prägt, ist nicht zu übersehen. Für mich bedeutet er auch mein Tagesziel, denn unterhalb dieses Bergs liegt die Lurfjellhütte DNT. Doch der Weg zieht sich plötzlich unheimlich in die Länge und es scheint, wie wenn der Åselitindan einfach nicht näher kommen möchte!

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Åselitindan und das Gjømmervatnet

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Was für ein Monolith!

Plötzlich stehen etwa 20 Rentiere neben mir und nähern sich auf gut 10 Meter, was doch etwas ungewöhnlich ist. Doch sie beschnuppern mich nicht nur, sondern sie setzen mit mir zusammen den Weg fort und begleiten mich fast eine halbe Stunde, bevor sie plötzlich abdrehen und im Galopp davonstieben.

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Endlich erreiche ich den Abstieg runter zur Hütte. Gerade rechtzeitig, denn der Regen wird nun immer heftiger und lädt eine gehörige Ladung Wasser über das Lurfjellet runter.

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Regen im Anmarsch

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Wer findet die Lurfjellhütten?

Auch heute habe ich die Hütte für mich. Sie ist ein absolutes Bjoux und gut im Gelände und den Bäumen versteckt. Und so habe ich heute auch meinen letzten Hüttenabend zum geniessen, bevor es morgen nach Bodø hinein geht. Die Besteigung des Lurfjelltinden hinter der Hütte, wäre mit knapp 1200 Metern wohl ein absolutes Highlight. Die Sicht weit über die Lofoten hinweg würde die gut 2 Stunden Aufstieg sicher rechtfertigen. Doch die Wetterprognosen sind mir definitiv zu unsicher, denn sie wechseln momentan im Stundentakt und die Etappe nach Saltstraumen runter wäre bei schlechtem Wetter nicht wirklich ein Genuss. So muss ich wohl oder übel schon einen Tag früher zurückkehren, was mich in Betracht eines Reservetages doch etwas ärgert.

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Børvasstindan und Åselitindan (1100 MüM)

Der relativ schöne Morgen wird meiner Entscheidung auch heute gerecht und so freue ich mich nun auf die Schlussetappe durch das enge Åselidalen. Bevor ich mich an den Anstieg zum Pass mache, trete ich immer wieder über frischen Elchmist. Und tatsächlich, als ich einen Bach furten will, sehe ich in knapp 100 Metern Entfernung eine Elchkuh mit ihrem Jungen am tränken. Mit dem Fernglas kann ich das Schauspiel von meiner Position hervorragend beobachten und freu mich wie ein kleines Kind, dass es am letzten Tag doch noch geklappt hat mit einem Elch…. und was für eine Szene!

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Åselitindan

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Lurfjelltinden… ich komme zurück, bestimmt!

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Pass im Åselidalen

Der Pass ist schnell erreicht und nun stehe ich zwischen diesen grossartigen und mächtigen Pfeilern, die die ganze Landschaft über viele Dutzend Kilometer so gewaltig prägen. Das Hochtal zieht sich wunderbar Richtung Norden und ist mit einigen Seen dekoriert.

…und die Energie ist auch noch voll da….

 

Als ich eine langgezogene Kurve mache, wird der Blick plötzlich zum Tal hinaus frei und am Horizont stechen die Spitzen der Lofoten heraus… mir bleibt die Spucke weg und ich kann mich kaum an diesem Anblick satt sehen!

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Blick zu den Lofoten

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Børvasstindan

Kaum eine Stunde später, stehe ich an einer rund 200Meter hohen Kante und mein Blick geht rüber zu den Häusern von Bodø.

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Øvre Åselivatnet und Bodø im Hintergrund

Unter mir ist das Øvre Åselivatnet und irgendwie bin ich mir nicht ganz sicher wie ich da jetzt runterkommen soll. Aber es hat ja schliesslich einen Weg und der führt mich zu ein paar Ketten und einem gewaltigen Tiefblick.

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Tiefblick mit Ketten

Nun ja, mit allem hätte ich heute noch gerechnet, aber sicher nicht mit einer anregenden Kletterpartie…

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Kaum vorstellbar, dass da links vom Bach ein Weg sein soll!

Als ich den Abstieg hinter mir habe, führt mich der Weg entlang des Øvre Åselivatnets zur nächsten Abstiegsstufe und schlussendlich zum Nedre Åselivatnet, wo ich dann auf die Strasse treffe.

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Øvre Åselivatnet

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Blick zurück über den Nedre Åselivatnet zum Åselitindan

Ich komme über einen kleinen Hügel und stehe 50 Meter vor der Strasse, an der gerade ziemlich viel Verkehr herrscht. Ich werfe mich schon fast mit einem Schützensprung hinter den Hügel zurück und denke mir „dass kann jetzt nicht wirklich sein, ich will doch noch gar nicht zurück“.

Wie mit einer Faust haut mir die Zivilisation eins um die Ohren und ich brauche gerade einen Moment um mich zu fassen und wieder auf den Planeten Erde zurückzukommen. Es ist die ewige Geschichte des Zurückkommens und das realisieren, dass sich hier gerade wieder etwas verändert. Wie oft habe ich bei meiner Rückkehr versucht zu erklären was da gerade in mir abgeht und ich habe es nie geschafft auch nur andeutungsweise Licht ins Dunkle zu bringen. Doch dass ist kein persönliches, spezifisches Problem. Ich kenne kaum jemanden der ebenfalls unterwegs war und nicht mit dem gleichen Problem konfrontiert wurde. Man möchte zwar gerne mitteilen um was es hier geht, doch verstehen können es meist nur diejenigen, welche selber in diese Welt eintauchen. Daher sind oft lange Gespräche mit Gleichgesinnten hilfreich, um solche Erlebnisse verarbeiten zu können. Ich weiss dass ich es auch dieses Mal wieder schaffen werde, doch es hinterlässt immer wieder Spuren.

Gerade dieses Jahr hat mich eine Fernwanderin gefragt, wie ich diese Gefühle den jemandem näherbringen könne, der nicht mit diesen Erlebnissen konfrontiert war. Eine plausible Antwort darauf gibt es wahrscheinlich nicht, oder ich habe sie noch nicht gefunden. Vielleicht bleibt einfach ein Stück der Seele im Fjell zurück, eines dass sich an die Ruhe und Stille, die unglaubliche Kraft der Landschaft, den Farben und Tönen und Fauna und Flora festhält. Ein Stück dass man immer wieder findet wenn man dorthin zurückkehrt und dass sich ohne wenn und aber wieder einverleiben lässt. Doch, ist das eine Antwort die jemand verstehen kann? Braucht es denn überhaupt eine Antwort?

Diese Fragen begleiten mich sehr intensiv auf meinem Weg zur Bushaltestelle. Doch ich bin viel zu früh dort und so laufe ich gedankenversunken die 11 Kilometer bis nach Saltstraumen der Strasse entlang und komme dort rechtzeitig für den Bus nach Bodø an.

Nun, muss ich in der Stadt noch irgendwie meinen Reservetag einziehen. Und es scheint dass das Wetter noch etwas erbarmen mit mir hat und mir den Sonntag mit etwas Sonne (und Regen) vergönnt.

Reservetag Bodø

Mit dem Steigtinden finde ich in der Nähe der Stadt ein hervorragendes Ausflugsziel für den Sonntag. Mit seinen knapp 800 Metern Höhe wird er mir hoffentlich eine Prachtsaussicht auf die Lofoten ermöglichen. Die Besteigung ist nicht schwierig, aber zum Teil recht ausgesetzt.

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Blick zur vorgelagerten Insel Landegode

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Der grüne Buckel scheint als Gipfel relativ undramatisch

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Der Gratweg dann aber doch etwas dramatischer und vor allem ausgesetzt

Der Steigtinden weist auf seiner Nordseite eine 600 Meter senkrecht abfallende Wand auf. Vom Wandfuss zur Gratkante ist aber eine überhängende Differenz von 6 Metern. Das heisst, wer auf der Gratkante läuft und ein Loch bohren würde, würde direkt in der Nordwand rauskommen. Bei dem Gedanken kann es dann schon ein etwas mulmiges Gefühl geben!

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Luftiger Grat am Steigtinden

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Blick in den Südwesten

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Wenn das Tessin im Umriss drin wäre, könnte es eine Schweizer Karte sein. Der See Steigtindvatnet

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Die unspektakuläre Südflanke des Steigtinden

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Im Abstieg nach Bodø

Und so komme ich nach 8 Stunden und fast 30 Kilometern an diesem Sonntag zu einem absolut spektakulären Abschluss der Tour 2018!

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Bodø

Fazit….

Drei verschiedene Gebiete in eine Tour einzubauen, erwies sich als hervorragende Idee. Dass alles, schlussendlich auch mit dem Wetter, hervorragend geklappt hat, war sicher ein überaus wichtiger Aspekt. Mit knapp 400 Kilometern habe ich einiges mehr erreicht als geplant, oder eben nicht geplant war. Doch die Leistung ist nur ein Teil des Ganzen. Die wunderbaren Menschen die ich kennenlernen durfte, die neuen Landschaften und Wege, die spektakuläre Fauna und Flora…. alles hat gepasst und diese Reise zu einem einzigartigen Juwel geprägt. Dass das Fjell nach dem letzten Jahr wieder mit Leben gefüllt ist, hat mich überaus gefreut und glücklich gemacht. Die Einzigartigkeit dieser Landschaften ist wieder komplett!

Herzlichen Dank an alle die mir begegnet sind und mir eine tolle Zeit beschert haben. Danke allen die mich auf dem Blog verfolgt haben und mir auch dieses Jahr wieder viele Nachrichten zukommen liessen und überaus herzlichen Dank an mein Zuhause, welches mir eine solche Reise überhaupt ermöglicht und meinen Rücken freihält……… während der Alte quer durch die norwegische Pampa pilgert und sich einen schönen Sommer macht 😉

Tusen takk, vi ses!