Das Projekt


Was ist das Projekt Norge på langs?

Ich gebe gerne zu, dass das Wort „Projekt“ in mir nicht viel Sympathie weckt und ich definitiv noch an dessen Ersatz arbeite. Aber wenn ich den Wikipedia Eintrag zu diesem Wort lese, dann trifft es halt doch irgendwie zu und die Umschreibung passt.

Ein Projekt ist ein zielgerichtetes, einmaliges Vorhaben, das aus einem Satz von abgestimmten, gesteuerten Tätigkeiten besteht und durchgeführt werden kann, um unter Berücksichtigung von Vorgaben wie etwa Zeit, Ressourcen und Qualität ein Ziel zu erreichen

Quelle: Wikipedia

So trocken und technisch diese Beschreibung ist, so bunt, vielfältig und spannend soll dieses Projekt schlussendlich werden. So jedenfalls mein Plan und wir wissen ja alle aus der Corona-Zeit, Pläne können ganz schnell ändern!

Seit mittlerweile mehr als 10 Jahren ist die Fernwanderung Norge på langs ein Teil in meinem Leben geworden. Ein Teil dem ich viel Zeit geschenkt habe. Ich habe Unmengen Informationen gesammelt, mich mit über drei Dutzend Läufer/innen aus aller Welt über ihre Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht. Gerade in den letzten zwei Jahren habe ich mich tief in die Geschichte eingelesen, um an die Ursprünge dieser Wanderung zu kommen und ich hatte das grosse Glück, Menschen kennenzulernen, die diese Wanderung schon in den frühen 50ern absolviert haben. Aber auch Menschen, die Überlieferungen, Erzählungen und Geschichten an die jüngere Generation weitergaben. Die Quellen all jener Geschichten sind allerdings zum Teil kaum (mehr) nachvollziehbar und auf dessen Wahrheitsgehalt war auch nicht immer ganz Verlass, aber, interessant waren sie alleweil!

Und zu guter Letzt, habe ich diese Fernwanderung 2013/2015, in einer etwas speziellen Ausführung, auch absolviert und darüber das Buch „Schritt für Schritt nordwärts“ geschrieben.

Aus all diesen Komponenten, entstand in den letzten 2, 3 Jahren die Idee, mich noch einmal intensiver mit Norge på langs auseinanderzusetzen. Allerdings nicht als Wiederholung der absolvierten Tour, sondern auf eine andere Art und Herangehensweise als 13/15.

Norge på langs zum zweiten?

…und….wann läufst Du nochmals Norge på langs?„, „wann startest Du zum nächsten Mal?„. Diese Frage gehört mit Sicherheit zu den am meistgestelltesten Fragen seit 2015! Das amüsante an dieser Frage ist, dass fast immer die Frage mit einem Pronomen beginnt….wann und nicht ob ich die Tour nochmals mache. Seit 2012 kommuniziere ich, dass es für mich keine Wiederholung oder ein zweites Mal geben wird und dies ist bis heute so geblieben. Ich gehöre zu den Menschen, die sich gerne dem Motto anschliessen: „sag niemals nie“, aber hier war und ist meine Absicht immer klar gewesen. (Ich gebe zu, so ganz habe ich mich 2015 beim Restart der Tour nicht daran gehalten).
Natürlich, man könnte Norge på langs jedes Jahr laufen und es würde sicher jedes Mal ein riesiges Abenteuer. (Damit rede ich auf keinen Fall gegen Wiederholungen!) Doch gerade ich, habe auf meiner Tour die extremsten Gegensätze kennengelernt und weiss bestens wie beide Seiten aussehen:

  • 2013….. 60 Tage, davon 3 Tage ohne Regen / 2015….. 60 Tage, davon 3 Tage mit Regen.
  • 2013….. extrem nasse Verhältnisse / 2015…. sehr trockenes Jahr im hohen Norden.
  • 2013….. Mehrfachentzündungen in beiden Beinen / 2015….. bis auf eine kleine Schramme, unversehrt.
  • 2013….. Grosser Zeitdruck (90 Tage) / 2015….. Ende Juni gestartet und geplant, Ende August am Nordkap, kein Zeitdruck!

Wer Norge på langs im „Sommer“ läuft, wird aus Zeitgründen mehr oder weniger immer die einfachste Route laufen um keine Zeit zu verlieren. Die Vorstellung, viele hundert Kilometer im hohen Norden nochmals, aber vielleicht bei misslichen Verhältnissen zu laufen, würde meine Motivation nicht in die Höhe schnellen lassen. Genauso wenig die Aussicht, wieder viele Strassenkilometer im Süden einzulegen um vorwärts zu kommen. Also wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Tourwiederholung geben…..aber was dann?

Der Ursprung der Idee

Seit ich 2009 an diesem „verhängnisvollen“ Tag am Kap Lindesnes strandete (mehr dazu im Buch „Schritt für Schritt nordwärts“), gibt es bis heute kaum einen Tag, an welchem ich nicht auf ut.no klickte und in irgendwelchen Turkarts rumstöberte, mich über Routen und Wege informierte. Manche mögen mir schon eine gewisse Besessenheit nachsagen. Doch ich würde es nicht ganz so dramatisch formulieren, es ist schlicht eine grosse Faszination für ein Land und dessen Weg der Durchquerung (den es ja eigentlich gar nicht so richtig gibt), für eine unglaublich schöne Fauna und Flora und eine raue aber doch vereinnahmende Landschaft. Eine Faszination die mich seit vielen Jahren fesselt und die eine grosse Lust weckt, mehr zu entdecken, tiefer einzutauchen und ganz einfach zu geniessen!

Seit meiner Ankunft 2015, verfolge ich regelmässig 3-4 Touren jährlich, die ich im Vorfeld aus den vielen Ankündigungen rauspflücke. Es sind Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, dass die Tour interessant werden könnte, sei es wegen der Routenwahl, sei es wegen der Persönlichkeiten oder ganz einfach wegen meinem Bauchgefühl. Ich nehme meist im Vorfeld schon Kontakt auf und informiere mich ein wenig über die Absichten, die Pläne der Tour. Danach verfolge ich diese Touren fast täglich und ich merke, wie ich in den meisten Fällen schon nach kurzer Zeit fast mitlaufe, mitleide, mitfühle und die Eindrücke mit den meinen aus 13/15 vergleiche.
Das oberste Credo lautet aber ganz klar, dass ich mich zu keiner Zeit in irgendeiner Art einmische, Tipps gebe oder die Läufer/innen versuche zu beeinflussen. Selbst dann, wenn es offensichtlich ist, dass eine Entscheidung vielleicht ganz falsch ist, halte ich mich raus und mische mich niemals ein. Falls sich jemand aber an mich wendet und Fragen hat, vielleicht sogar Hilfe benötigt, die er/sie unterwegs nicht organisieren kann, dann bin ich gerne bereit zu helfen. Dies wird auch ab und zu gerne genutzt und es freut mich sehr, dass aus diesen Kontakten zum grossen Teil, sehr schöne und wertvolle Freundschaften entstanden sind.

Gerade in den letzten 2, 3 Jahren habe ich die Touren noch intensiver verfolgt und es war spannend, wie oft ich meine Zehen gekrümmt habe, über Entscheidungen die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte und ich oft dachte: „Mann oh Mann, warum macht er/sie den gleichen Mist, den ich damals auch gemacht habe“, „Wieso sieht er/sie nicht dass es viel bessere Möglichkeiten gibt?“ etc…. Und wie oft sass ich vor dem Bildschirm und staunte über Routenvarianten, die mir vor Ort gar nicht auffielen. Wege die tausend Mal schöner gewesen wären als die olle Strassenlatscherei! Immer wieder schlug ich mir auf die Stirne und dachte: „warum bist Du da selber nicht darauf gekommen“.
Und genau diese Frage brachte mich gleich zu der nächsten Frage: „Was und wie würde ich heute anders planen und laufen, mit dem ganzen Hintergrundwissen von heute, der Erfahrung, zusammengezählt fast ein Jahr im Fjell verbracht und c.a. 5000 Kilometer zurückgelegt zu haben?“ Würde ich für mich diese persönliche, perfekte Linie von Norge på langs durch das Land finden und wie sähe die aus?

Gibt es sie, die ultimative Linie durch Norwegen?

Diese Idee faszinierte mich und ich begann systematisch diverse eher langweiligere Routenabschnitte meiner Tour 13/15 auseinanderzunehmen, Alternativen zu suchen, Möglichkeiten abzuchecken. Innerhalb kürzester Zeit, verfiel ich wieder in den ganzen Planungs“wahnsinn“ von 2010 und vertiefte mich in die unendlichen Weiten der Kartographie. Viele schöne Erinnerungen aus dieser Zeit kamen herauf, einer Zeit als es noch kaum Informationen über Norge på langs im Internet gab, wo ich norwegische Läufer ausfindig machen musste um nach Details zu fragen. Und natürlich 2012, als im Herbst Simon Michalowicz (simonpatur) unvermittelt ein Mail an mich schickte und mitteilte, dass er auch in der Planung der Tour sei und wie ich, 2013 starten möchte. Endlich war da jemand, mit dem ich mich austauschen konnte, der Norge på langs auch noch vor sich hatte und mitten in der Planung war. Heute sind Informationen definitiv kein Problem mehr, es gibt zig Weblogs, in den Sozialen Medien tummeln sich Läufer/innen und es gibt ja mittlerweile sogar zwei Bücher in deutscher Sprache über die Tour Erlebnisse.

Die Zeit

Schnell wurde mir klar, da sind tausend Möglichkeiten und Varianten, diese Tour auf eine andere Art zu laufen. Doch über allem hing wie ein Damoklesschwert der Faktor: ZEIT!
Egal wie ich es drehte, egal was ich änderte, immer scheiterte der Plan an der Zeit und ich stand am selben Ort wie im Vorfeld meines Tourstarts 2013.

Der Faktor Zeit ist der permanente Begleiter von Norge på langs, sei es bei der Planung, sei es auf der Tour, selbst nach der Tour wird die Zeit immer wieder ein grosses Gesprächsthema sein. Diese Fernwanderung startet im Frühling und endet meist im Spätherbst. Die Zeitspanne im hohen Norden ist deutlich kürzer als in Mitteleuropa, die klimatischen Verhältnisse sind deutlich rauer und die Jahreszeiten kürzer als bei uns. Die Wanderung dauert in den meisten Fällen rund vier Monate und ist zu Beginn und zum Schluss abhängig vom Winterende, beziehungsweise Winteranfang.
Reserven gibt es keine, ausser man läuft täglich über 30 Kilometer. Umwege zu machen oder zu trödeln kann sich am Ende negativ auswirken. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass manch einer/eine die Zeitspanne unterschätzt hat und viele Touren mussten abgeändert werden, konnten nicht beendet oder Teilstücke abgekürzt werden.
Wenn jemand Anfangs September im hohen Norden im Schnee herumstapfen muss, wurde der nicht vom Klimawandel heimgesucht (der im Norden noch weit deutlicher spürbar sein kann!), oder wurde Opfer eines aussergewöhnlichen Phänomens, der wurde schlicht und einfach von den möglichen, klimatischen Verhältnissen heimgesucht, die an dieser Stelle der Erde vorkommen können. Auch ich musste 2013 meine Erfahrungen zu Beginn der Tour machen und erwischte nach vielen sehr trockenen Frühlingen in den vorausgegangenen Jahren, einer der nässesten überhaupt, seit man in Norwegen das Wetter aufzeichnet. Man sollte sich immer bewusst sein, wo Norwegen auf dem Globus liegt und dafür auch den nötigen Respekt aufbringen!

Die Zeit also! Sollte die Zeit wirklich der undurchdringbare Faktor sein, um meine Idee umzusetzen? Aber war ich denn überhaupt von der Zeit abhängig? Ich will die Tour ja nicht einfach wiederholen, sondern eine wirklich interessante, schöne und auch eine etwas anspruchsvolle Linie durch Norwegen ziehen. Eine Überschlagsrechnung zeigte mir schnell auf dass, wenn ich nur die wenigen, provisorisch berechneten Änderungen machen möchte, dies viel Zeit brauchen würde. Und ich hatte ja nicht im Sinn, jedes Jahr viele Monate in Norwegen zu verbringen.

Was wäre also, wenn ich den Faktor Zeit einfach ausblenden würde?

Norgi und ich pfeifen auf die Zeit!

Das Projekt ist geboren

Es war, wie wenn ich aus einem kleinen, beengten Zimmer, plötzlich in eine Turnhalle eintrat. Die Möglichkeiten explodierten in ihrer schierer Menge und Grenzen waren plötzlich nicht mehr da. Doch würde das Sinn machen, einfach zeitlos, ohne jeglichen Druck, über Jahre hinweg zig Etappen zurückzulegen? Und was hatte dass den noch mit dem eigentlichen Norge på langs zu tun? Natürlich brauchte das Ganze einen Rahmen, vielleicht sogar Spielregeln um es auch etwas herausfordernd zu gestalten. Meine früheren Jahren basierten auf Leistung, Ehrgeiz und manchmal auch etwas Übermut, daher auch die Idee 2013 Norge på langs in 90 Tagen zu laufen. Heute kann ich gut zwei Schritte zurückstehen, mehr geniessen, gestalterischer sein und auch mal einsehen, dass etwas vielleicht nicht so geht, wie ich es gerne möchte…….aber ein wenig ist halt doch geblieben aus dieser Zeit 😉

Also sollte das Ganze nicht einfach eine Tour sein, sondern ein kleines aber feines Projekt, dessen Realisierung unvorhersehbar ist, aber jederzeit alle Möglichkeiten offen lässt. Vielleicht auch für den einen oder anderen Läufer in Zukunft ein paar Inputs, Tipps oder Anregungen gibt, seine eigene Norge på langs Tour nicht einfach via „copy and paste“ von anderen Roadbooks zu generieren.

Wanderführer Norge på Langs?

Unter keinen Umständen soll dieses Projekt dazu dienen, so etwas wie einen Wanderführer zu sein! Die Fernwanderung Norge på langs lebt als eine der wenigen Wanderungen weltweit von der Improvisation. Es gibt keine Vorgaben, keine definierte Route, keine ungeschriebenen Gesetze, keine Grenzen. Genau das macht in meinen Augen der Reiz dieser Wanderung aus und lässt den Läufern jede Freiheit und Möglichkeit.
Dieses Projekt dient einzig dazu, persönliche Eindrücke und Pläne zu verwirklichen, Ideen zu realisieren und schlussendlich vielleicht tatsächlich diese ultimativ schönste Linie durch Norwegen zu ziehen.

Dass ich dieses Projekt in meinem Blog, quasi als Fortsetzungsgeschichte mit „Open End“ veröffentliche, hat mit den Unmengen sehr positiver Reaktionen auf meinen Blog mit den Reiseberichten, das Buch und die Vorträge zu tun, die ich in den letzten Jahren entgegen nehmen durfte. Es macht enorm viel Spass, all das hier, mit Menschen aus allen Ecken dieser Erde (ich staune des Öfteren wirklich, wie verbreitet die Faszination Nordeuropa ist) zu teilen, sich auszutauschen, sich vielleicht sogar mal irgendwo zu treffen…und es wäre nicht das erste Mal, ungeplant mitten im Fjell oder Wald!
Ob alles gelingt was angedacht ist, weiss ich nicht und lasse ich auch offen und bleibe gespannt, was daraus entsteht!

Ich freue mich natürlich sehr auf Reaktionen zu diesem Projekt! 🙂