Endspurt in der Vesthei
Als ich am Morgen erwache, sind die Gipfel noch weiss. Aber der erste Hauch von Winter in dieser Woche war halb so schlimm. Das Wetter sieht gerade mal gar nicht übel aus und die Prognosen deuten eine Wetterverbesserung für zwei Tage an. Danach könnten aber das Christkind und der Weihnachtsmann an Bedeutung gewinnen. Mit dem Chef der Haukeliseter Fjellstue wechsle ich noch ein paar Worte. Hier oben war es der wohl katastrophalste Sommer seit jeher. Den ganzen Juli hat es jeden Tag geregnet und im August waren es bloss ein paar wenige Tage ohne Nässe von oben. Kalt, windig und neblig ist das Sommerfazit. Da habe ich gerade ziemlich viel Glück, denk ich, und mache mich langsam auf den Weg.
Tag 98 / Haukeliseter DNT-Bleskestadmoen DNT

Nach einem zügigen Frühstück breche ich rasch auf. Die erste Hütte werde ich nur als Pausenhütte nehmen und erst in der Bleskestadmoen Hütte übernachten. Das heisst, es gibt einen relativ anstrengenden über 30 Kilometer Tag heute, aber ich bin ja jetzt genug ausgeruht.




Es ist kalt, aber die Sonne scheint und es ist windstill. Die Berge ringsum sind mit Schnee überzuckert. Bestes Wanderwetter also. Von Haukeliseter geht es auf die andere Talseite und in das Vassdalen hinein. In einem ziemlichen Zickzack geht es permanent höher und der weisse Zucker kommt immer näher.


Schon bald erreiche ich den höchsten Punkt auf 1350 MüM am Turistkaret und hier herrscht nun definitiv Winter. Die Steine sind gefroren und eisig, zum Teil liegt etwas Schnee und die Pfützen sind gefroren. Es heisst aufpassen und sorgfältig gehen.


Nach dem Turistkardet wird es gleich wieder besser und der Weg ist angenehm bis zur DNT Hütte Holmavatn. Hier mache ich eine kleine Pause und geniesse den Komfort als Tagesbesucher. Wer die Hütten nur als Pausenplatz braucht und Holz, Gas oder Proviant beansprucht, hat eine kleine Gebühr als Tagesbesucher zu entrichten. Leider machen das die wenigsten, was sehr schade ist und dem ganzen System schadet.




Die Hütte in Holmavatn ist sehr gemütlich und es ist fast schade nicht hier zu bleiben. Diese Hütte ist auch die einzige, die im Herbst während der Rentierjagd für zwei Wochen komplett geschlossen ist. Das war zum Glück letzte Woche.
Während der Pause kommt ein Schafbesitzer ins Haus und fragt nach Schafen. Er will sie heute alle restlos runtertreiben, doch vier fehlen im noch. Leider habe ich keine gesehen und hoffe, dass er sie noch findet, sonst werden sie den Winter hier oben kaum überstehen.
Frisch gestärkt geht mein Weg weiter durch das Naustdalen zum grossen Stausee Sandvatnet runter.



Der Weg zieht sich etwas, aber bei dem Wetter will ich mich nicht beklagen und schliesslich habe ich mich entschieden, die Holmavatnethütte auszulassen.
Am See angekommen, geht es zuerst zwei Kilometer der Kraftwerkstrasse entlang, bevor mein Pfad durch das Klauvskeimoental weiter runtergeht.


Unterhalb des Stausees wird es jetzt aber so richtig sumpfig. Die paar ausgelegten Bretter sind schon in die Jahre gekommen und auch die Wegmarkierungen sind schwer zu erkennen. Es wird etwas mühselig hier runter, gerade wenn man schon fast 30 Kilometer auf dem Tacho hat. Es scheint, dass mir das ausgelassene Blåfjela hier einen matschigen Gruss zukommen lassen will.
Die Landschaft präsentiert sich aber in den schönsten Farben und das Herbstlicht am späten Nachmittag verzaubert alles noch.





Schon von weitem sehe ich die alten Gebäude von Bleskestadmoen, doch bis dorthin muss noch der eine oder andere Schuh tief im Morast versinken.




Bleskestadmoen wurde vor Jahren durch die Olav Thon Stiftung komplett renoviert. Dafür erhielt die Hütte mehrere Auszeichnungen. Und tatsächlich, was von aussen noch sehr alt aussieht, ist innen absolut gemütlich und schön in Stand gesetzt. Wohl selten kann ein Gast diese Hütte für sich geniessen, ich kann es heute, es ist niemand da und wird wohl auch nicht mehr kommen.
Tag 99 / Bleskestadmoen DNT-Krossvatn DNT

Am Morgen spüre ich es schon beim Aufwachen, die Temperaturen sind wohl ziemlich in den Keller gefallen draussen. Denn auch hier drin ist es spürbar kühler. Ich öffne die Vorhänge und blicke auf eine komplett mit Raureif überzogene Landschaft. Nur gerade der Talboden ist schneeweiss und gefroren. Ich mache nochmals kurz ein Feuer im Ofen und frühstücke gemütlich. Ich muss mich auch langsam daran gewöhnen, dass allzu früh aufstehen jetzt nichts mehr bringt, da der Sonnenaufgang auch immer später wird. Vor 7.30 los zu gehen macht keinen Sinn mehr.



Als ich mich dick eingepackt auf den Weg mache, rechne ich nochmals mit viel Sumpf. Doch es geht gemütlich durch lichten Birkenwald, ohne Matsch und Sumpf, bergwärts zum Krokvasstal empor. Die wunderschöne Raureiflandschaft entschwindet mit zunehmender Höhe und es wird auch gleich spürbar wärmer.
Schnell ist der Pass erreicht und nun geht es langsam wieder durch das enge Tal hinunter. Schon bald erreiche ich erste Ferienhütten und vorgelagerte, ehemalige Alpen.






Der Weg ist zum Teil aufgemauert und breit, was in Norwegen eher selten ist. Vorbei an weiteren Hütten erreiche ich dann zuunterst im Tal die Kraftwerkstrasse. Dieser folge ich einen kurzen Moment, bevor der Wanderweg wieder ansteigt und mich kurz danach zur DNT Hütte Jonstølen bringt. Auf sie habe ich mich schon länger gefreut, denn sie wurde neu gebaut und sah auf Bildern sehr interessant aus.






Wow… da bleibt mir die Spucke weg, was für ein unglaubliches Wanderhaus! Die Hütte ist auch sehr beliebt und leicht erreichbar. Ein Wunder, dass ich hier alleine gemütlich eine Pause einlegen kann. Eigentlich würde ich gerade gerne hierbleiben, doch heute muss ich weiter, die Krossvatn Hütte wartet.
Doch es steht mir schweren Herzens noch ein Schuhwechsel bevor. In Haukeliseter waren ja meine Schuhe aus Trondheim zwischengelagert. Ich habe sie damals als Sicherheit nochmal weitergeschickt und jetzt trage ich sie im Rucksack mit mir. Da ich ja mittlerweile mit weniger Gepäck und nur noch Notrationen unterwegs bin, konnte ich es mir leisten, die Schuhe noch mitzunehmen, bis mein jetziges Paar den Geist aufgibt. Wie zu erwarten war, hat die steinige Landschaft der letzten Wochen den Schuhen keinen Gefallen getan und das altbekannte Problem wurde wieder akut. Mit einem gehörigen Widerwillen deponiere ich die Schuhe hier, wo die Abfallentsorgung dank der nahen Strasse kein Problem ist. Nun wird mich also der Trango bis ans Kap begleiten.






Augenblicklich habe ich das Gefühl, inmitten des Schweizer Nationalparks zu stehen. Die Landschaften ähneln sich sehr. Einzige Ausnahme: in der Schweiz wären es gelbe Lärchen und nicht Birken.




Nun geht es steil hoch ins Kyrkjesteindalen. Mir kommen zwei Männer mit ein paar Schafen entgegen. Auch diese werden vor dem Winter ins Tal gebracht.
Mit einem der Männer unterhalte ich mich einen Moment und frage ihn, wie er das Wetter einschätzt, im Speziellen mit dem zu erwartenden Schnee. Die Berggipfel könnten schon weiss werden, aber mehr erwarte er nicht. Eine Aussage, die mich etwas beruhigt, denn die Vesthei ist wettermässig nicht ganz ohne und die Einheimischen nennen diese Gegend nicht umsonst die südliche Finnmark. Nach dem Orkan 2022 bin ich da etwas vorsichtig geworden und ich werde ja ab heute Abend bis auf 1400 MüM hochgehen.





Das Tal ist eng und es stehen dutzendweise riesige Felsblöcke in Haus- oder Autogrösse rum. Die Flanken sehen sehr brüchig aus, hier wird wohl öfters was runterkommen.
Zuhinterst geht es über einen steilen Pass. Normalerweise liegt dort bis in den Herbst tragender Schnee, auf dem man gut hochkommt. Doch das bisschen Schnee ist nicht mehr vertrauenswürdig und so halte ich mich an die Seiten. Dafür braucht es jetzt etwas alpinistische Erfahrung, denn die Steine sind eisig, es ist steil und sehr brüchig. Hier wäre es jetzt definitiv nicht für jeden und auch nicht ganz ungefährlich!



Ich bin ziemlich froh, als ich endlich oben ankomme. Das war jetzt ein rechtes Stück Arbeit! Ich mach kurz eine Pause und bekomme trolligen Besuch.


Noch lange läuft mir der kleine Wirbelwind nach, doch irgendwann bin ich ihm doch zu schnell.
Eine Eigenart der Vesthei ist das kupierte Gelände. Es hat keine grossen Berge und auch keine grossartig steilen Anstiege. Doch es hat viele Hügel!
2015 hatte ich nach einem sehr anstrengenden Tag mit vielen Hügeln ziemlich die Nase voll von dem ewigen Auf und Ab. Ich begann über Tage die Aufstiege zusammenzuzählen und dann einen Durchschnitt zu errechnen. Die sogenannte und mittlerweile bekannte Faustregel war geboren: 1 Fjell-Tag = im Durchschnitt 7 Anstiege. Kaum hat man das Gefühl, endlich die Höhe erreicht zu haben, sieht man gleich an den nächsten und den nächsten und den….!
In der Vesthei gelten aber definitiv andere Gesetze. Hier muss man die 7 Hügel Regel auf 14 pro Tag hochschrauben.






Heute sind es aber wohl das vierfache an Hügeln und es geht ganz schön in die Beine. Kein Wunder, die Etappe ist auch über 30 Kilometer lang.
Nach zwei Dritteln des Wegs kommt mir ein Mann entgegen und fragt mich nach fünf Schafen. Dieses Mal kann ich zum Glück weiterhelfen, da ich die Tiere vor ca. einem Kilometer am Wegrand gesehen habe. Wo der Mann zu dieser Uhrzeit mit den Tieren noch hinwill, ist mir ein Rätsel. Die Vesthei ist allerdings durch ein grösseres Strassen- und Wegnetz erschlossen. Statkraft, der norwegische Stromproduzent, hat hier fast alle Seen angezapft und zu jedem Damm führt ein kleines Strässchen. Und es gibt auch aus der Vergangenheit immer noch viele Wege, die quer durch die Vesthei führen, aber nicht markiert sind. Diese Erschliessung der Vesthei gilt heute als geschütztes Kulturgut. Befahren kann man das Ganze aber nur mit dem Fahrrad, sonst herrscht ein Fahrverbot.
Ich befinde mich nun im nördlichen Revier der wilden Rentiere in der Vesthei. Nach der Aufstauung des riesigen Blåsjø Stausees wurden zwei Schutzgürtel für die Tiere angelegt. Der nördliche Blåsjø und der südliche Blåsjø. Die Tiere sind aber äusserst scheu und man braucht im Herbst ein sehr gutes Auge. Ein Teil der Tiere darf im Herbst gejagt werden und dann ziehen sich die Rentiere tief ins Hinterland zurück.
Über das Vassdalane bringt mich der Weg nun zur einsam gelegenen Krossvatn Hütte des DNT. Die Hüttenbauweise ist hier in dieser Gegend fast bei allen Hütten gleich. Gross mit viel Platz, gemütlich und bestens mit Proviant ausgerüstet. In der Vesthei stehen, anders als in den meisten Teilen Norwegens, die Hütten offen. Man braucht keinen Schlüssel dafür.


Am Abend checke ich nochmals das Wetter via Garmin InReach und es scheint morgen definitiv Schnee zu geben. Nicht viel, aber er kann liegen bleiben, weil die Temperaturen bis -5° runtergehen. Worauf ich immer ein Augenmerk lege, ist der Wind. Die Vesthei ist bekannt für ihre Stürme und hohen Windgeschwindigkeiten, da möchte man dann lieber nicht draussen sein, da es kaum Schutz gibt. Heute Abend zeigt sich das Wetter nochmals von der allerbesten Seite und es ist kaum vorstellbar, dass sich das demnächst ändern soll.
In der Nacht erwache ich als der Wind gehörig an der Hütte rüttelt und Schneegraupel ans Fenster pocht. Je länger die Nacht, umso heftiger wird der Sturm und plötzlich wird es an den Fenstern leiser… es schneit!
Als ich am Morgen erwache, ist alles weiss gepudert, aber definitiv nicht soviel wie gedacht. Ich habe ja genug Zeit und kann locker 2, 3 Tage aussitzen wenn es sein muss, ich habe ja mit den letzten zwei Tagen wieder zwei Hütten übersprungen.

Tag 100 / Krossvatn DNT-Hovatn DNT

Heute ist also der 100. Tag meiner Tour! Ich kann es kaum glauben und die Emotionen holen mich gewaltig ein. Ein Morgen, der für dieses Jubiläum nicht schöner sein könnte. Es ist bitterkalt und der Wind bläst stark über das vereiste Fjell. Die Wolken- und Nebelfetzen pfeifen über die karge Landschaft und zwischendurch eilt ein kleiner Schneeschauer hinten nach.


Die Wetterprognose für heute zeigt noch einmal starken Wind und Schneeschauer. Ich will aber den einigermassen schönen Morgen nutzen um weiterzukommen. Geplant habe ich heute bis zur rund 20 Kilometer entfernten Hovatn Hütte zu laufen. Falls das Wetter schlechter wird, habe ich auf halbem Weg eine weitere DNT Hütte in Vassdalstjørn, in der ich bleiben könnte.
Es ist bissig kalt und ich habe mich mit drei Schichten eingepackt. Schnell laufen, um warm zu kriegen, liegt heute nicht drin, alles ist voller Eis und Schnee. Hinzu kommt noch die geniale Idee des letzten DNT Wegmarkieres, der die roten Wanderweg-Ts auf die flachen Steine am Boden gemalt hat und keine Steinmänner zur Orientierung gebaut hat. Zum Glück hat es nur wenig Schnee und der Weg ist einigermassen gut zu erkennen. Hätte es mehr Schnee gegeben, wäre das eine mühsame Wegsucherei geworden.



Die ersten paar Kilometer gehen ganz gut und ich pirsche mich langsam vorwärts. Das Gelände ist nur wenig hügelig und die grossen Steinplatten sind meist trocken und schneefrei.
Immer wieder stösst mich aufkommender Wind von hinten an und ich bin richtig glücklich, diesen Eiswind heute den ganzen Tag im Rücken zu haben. Es läuft gut, und ab und zu kann ich durch die Wolken den Blåsjø See sehen. Dieser riesige See ist an vier Orten mit mächtigen Dämmen aufgestaut und bedeckt das ganze Gebiet.
Eine Klippe gibt es aber noch zu überwinden vor der Vassdalstjørn Hütte: die Watstelle am Pøyleaa. Dieser Seeausfluss kann ziemlich unangenehm sein und in allen Tourenführern wird explizit davor gewarnt. Nach vielen Niederschlägen oder Schneeschmelze sei diese Watstelle zum Teil nicht begehbar wegen der Tiefe und Strömung. Na gut, so trocken wie es jetzt gerade ist und mit Schnee auf so tiefen Lagen sollte die Wasserhöhe kein Thema sein. Aber ohne Schuhe durchwaten oder sogar nasse Schuhe bekommen, ist bei einem Windchill von rund -8° bis -10° nicht ratsam. Was mach ich? Doch „Not“ macht erfinderisch und so leihe ich mir zwei robuste Abfallsäcke in der Krossvatn Hütte und im Rucksack habe ich noch eine kleine Reepschnur.

Die Watstelle ist nicht so schlimm, doch in Schuhen da rüber würde definitiv nasse Füsse geben und vor allem nasse Schuhe! Also schnell rein in die Abfallsäcke, oben zubinden und dann ganz vorsichtig durch das Bachbett waten. Der Plastik rutscht überraschenderweise nicht auf den Steinen und hält perfekt dicht. Unkonventionell und nicht ganz sauber, aber funktioniert!

Nach etwas über drei Stunden erreiche ich schon die Vassdalstjørn Hütte des DNT. In ihr mache ich eine längere Pause und esse einen grossen Teller Nudelsuppe.
Wäre das Wetter schlechter geworden, hätte ich hierbleiben können, doch im Moment sieht es ganz passabel aus. Immer wieder gibt es kleine Schnee- und Graupelschauer und der Wind bleibt stark. Aber die acht Kilometer bis zur Hovatn Hütte werden noch drinliegen.
Immer in Sichtweite des Blåsjø, erreiche ich schnell den Hovatn See. Über eine sehr massive Stahlbrücke, muss ich aber zuerst einen riesigen Bogen bis zur Hütte machen. Das ist immer dann gemein, wenn man die Hütte schon gesehen hat und weiss, es dauert nochmals rund 1.5 Std. bis dorthin.





Für einen kurzen Augenblick gibt mein Smartphone Bescheid, dass ich Empfang habe. (Die Vesthei ist praktisch ohne Mobilkfunknetz!) Eine der raren Möglichkeiten, kurz Zuhause Bescheid zu geben und die Stimme von Anja zu hören. Doch nach fünf Minuten muss ich forfait geben, der Empfang ist zu gering. Jetzt gebe ich nochmals Gas und will so schnell wie möglich zur Hütte. Wie wenn ich das kommende Unheil gespürt hätte!

Kaum stehe ich vor der Hütte, fegt eine gewaltige Schneewand mit Sturmböen über Hovatn hinweg. 20 Minuten ist da draussen die Hölle los und es fegt mich von den Beinen. Schnell in die Hütte und alle Türen zu.
Vor lauter Glück, es rechtzeitig in die Hütte geschafft zu haben, haue ich mir eine ganze Portion Pfannkuchen in den Magen. Wenn ich tatsächlich genügend Empfang gehabt hätte und ich 10 Minuten später zur Hütte gelaufen wäre, dann hätte mich diese Sturmfront mitten im übelsten Blockgelände erwischt. Puuh…!
Kaum eine Stunde später kommt die nächste Ladung, nochmals einiges stärker daher. Der Hüttenboden vibriert und bebt und der Schnee fliegt waagerecht durch die Luft. Keine Sekunde will ich mir vorstellen, jetzt da draussen zu sein! So auf der offenen Fläche erwischt zu werden, kann ganz schnell gefährlich werden.
Der Wind hat innerhalb von einer Stunde um fast 30-40 Grad gedreht. Das bedeutet, das Zentrum des Tiefs lag wohl genau über mir. In der aktualisierten Wetterprognose ist jetzt auch zu erkennen, dass der Wind in den nächsten 24 Std. nochmals gehörig dreht. Somit dürfte das Schlimmste wohl vorüber sein. Leider habe ich aber keinen Internetempfang hier, um detaillierter zu schauen ob da noch was nachkommt.
Die Tendenz sieht eher nach besserem Wetter aus in zwei bis drei Tagen. Ich denke, dass es jetzt wohl der Zeitpunkt ist, einer meiner vielen Reservetage einzuziehen und diesen Wintereinbruch hier auszusitzen.




Es könnte definitiv schlechtere Orte als diesen geben. Die Hovatn Hütte ist super gemütlich und der Proviantraum bestens gefüllt. Wasser habe ich in der Nähe und Holz und Gas ist genug da. Soll der Wintersturm doch machen was er will… mich kriegt er nicht!

Als ich erwache, sind weihnachtliche Gefühle angebracht. Es ist weiss, das Thermometer zeigt -5° an und der Wind pfeift beständig ums Hütteneck. Da ist die Frage, ob ich heute hier bleibe oder nicht, schnell beantwortet. So macht es keinen Sinn, auch wenn es die nächsten zwei oder drei Stunden keine Niederschläge gibt, sie sind für den Rest des Tages angekündigt und auch wieder Wind. Die Prognosen sehen seit drei Tagen einen Aufwärtstrend ab morgen und so entscheide ich mich für einen Hüttentag.
Tag 101 / Hovatn DNT (Ruhetag, Schnee)
Aber einmal mehr zeigt mir die Vesthei ihre kalte Schulter und man sollte sie nicht unterschätzen. Es kommt nicht von ungefähr, dass jede Hütte in der Vesthei ein Alarmtelefon hat, das direkt mit dem Spital in Stavanger verbunden ist. Diese werden im Jahr auch mindestens ein dutzend Mal benutzt. Daher besser Vorsicht als Nachsicht!

Ich will keineswegs jammern. Wenn ich nordwärts schaue auf alle die, die Richtung Nordkap unterwegs sind, schüttelt es mich erst recht. In Haukeliseter hatte ich noch Kontakt mit Tobi, der mittlerweile in der Finnmark unterwegs ist. Der Winter hat die Finnmark ebenfalls erreicht und Tobi muss sich wohl oder übel mit dem Zelt zufrieden geben.
Ich habe hier eine schöne warme Hütte, einen gefüllten Proviantraum und kann, wenn es weitergeht, im Rhythmus von 15-18 Kilometern wieder in eine andere Hütte einkehren. Im Norden gibt es praktisch nichts und die Finnmark ist mehrheitlich flach und ausgesetzt, da wird campieren auch nicht gemütlicher. Zu gut erinnere ich mich an Anjas Tour letztes Jahr, wo der Winter auch so früh kam. Da bekomm ich schon beim dran denken Hühnerhaut und Frostbeulen.
Tag 102 / Hovatn DNT-Kringlevatn DNT

In der Nacht hat es begonnen zu regnen, nur leicht, aber zumindest ein Zeichen, dass es wärmer geworden ist. Ich esse gemütlich Frühstück und gönne mir noch eine Extra Tasse Kaffee bevor es raus geht. Zusätzlich nehme ich heute noch ein Ibuprofen ein, da es seit zwei Tagen im Rücken etwas zwickt. Keine Ahnung, ob etwas ein bisschen blockiert ist, oder ob der eisige Rückenwind mir eine Verspannung aufgehalst hat. So kann ich zumindest völlig schmerzfrei laufen.
Als ich vor die Türe trete, ist die Lust am draussen sein gerade etwas gedämpft. Wanderwetter stelle ich mir anders vor, aber es nieselt ja nur, ist neblig und ein kalter Wind pfeift um die Ohren. Der Regen hat dem Schnee ziemlich zugesetzt, aber natürlich ist der ganze Matsch jetzt auch wieder schön weich und saftig. Naja, wieder mal klagen auf hohem Niveau. Ich bin froh, geht es weiter, nicht auszudenken wenn es mich hier oben so richtig eingeschneit hätte. Doch die ganzen Langfristprognosen haben nach dem Kälteschub immer trockenes und wärmeres Wetter gemeldet, darauf habe ich mich jetzt verlassen.


Das steile Blockfeld nach der Hütte wird aber dann doch eine ziemliche Herausforderung. Hier ist noch der Schnee drin und ich laufe wie auf rohen Eiern.

Als ich zum Wegweiser von vorgestern komme, biege ich nun Richtung Storsteinen ab. Mittlerweile hat mich der Nebel eingepackt und leider ist von der grandiosen Landschaft nicht viel zu sehen.
Es geht runter zum mächtigen Storevassdamm, einer von vier Dämmen, die den riesigen Blåsiø See stauen. Erst als ich auf Höhe des Damms bin, verzieht sich der Nebel etwas und ich bekomme freie Sicht auf das mächtige Bauwerk. In Norwegen werden die Dämme alle mit riesigen Steinen eingepackt. Anders als in der Schweiz oder anderen Ländern, wo die blosse Betonmauer sichtbar ist. Ein riesiger Aufwand, doch für das Naturbild ganz eindeutig „schöner“!


Als ich unterhalb des Dammes bin, komme ich an die Abzweigung zur Storsteinhütte des DNT.
(Ich weiss, dass ich mir mit dem Mutterbegriff: DNT (Den Norske Turistførening), hier im Süden keine Freunde machen würde. Ich befinde mich im Sektionsbereich des STF (Stavanger Turistførening). So wie alle Sektionen ihre eigene Abkürzung haben und sehr wert darauf legen, auch so betitelt zu werden! Doch alle gehören unter das Dach des DNT und der Einfachheit halber benenne ich auch alle gleich.)
Die Storsteinhütte liegt rund zwei Kilometer von meinem Weg ab und wäre bei ganz schlechtem Wetter mein Ziel gewesen. Doch mittlerweile blinzelt sogar die Sonne etwas durch die Wolken und so werde ich problemlos die 12 Kilometer bis zur Kringlevatnhütte hinbekommen.
Zuerst geht es von knapp 900 auf 1250 MüM steil rauf ins Breidskardfjell. Hier oben bläst mir wieder eine zünftige Bise entgegen und ich bin froh, dass ich am Morgen nicht auf eine Zusatzschicht verzichtet habe. Ich muss gerade etwas schmunzeln. Wie oft habe ich mir auf meiner Tour dieses Jahr bei brütender Hitze mal genau so einen Tag gewünscht… et voila, da ist er!





Vorbei am Sandvatn See geht es ins Breidadalen runter. Dort befindet sich auch die zweite etwas heiklere Watstelle auf meinem Weg. Auch hier „warnen“ die Tourbeschreibungen vor höherem und zügigerem Wasser.


Doch schon von weitem sehe ich, dass die Breida zwar ordentlich Wasser hat, aber viele breite Stellen zum Waten da sind. Ein kurzer Überblick bestätigt dennoch, mit Schuhen rüber wird nicht gehen, daher hat Martin gut vorgesorgt. Die zwei Abfallsäcke von Krossvatn sind noch am Rucksack und einsatzbereit. Schnell reinschlüpfen, zubinden und rüber. Absolut kein Problem und die Füsse bleiben trocken und warm.
Nur noch drei Kilometer dem Breidadalen folgen und schon steht die Kringlevatnhütte des DNT vor mir.




Selbstredend, dass niemand da ist ausser mir. Doch gestern waren noch vier Leute da und dem frischen Schafsmist um die Hütte rum zu schliessen, waren das Schäfer, die ihre Tiere geholt haben. In der Hütte liegt ein Aufruf mit Telefonnummer, dass Schafsichtungen bitte gemeldet werden sollen. Auch hier werden Schafe vermisst. In diesem Gelände sehr gut vorstellbar, dass die nicht mehr gefunden werden.
Ein Schafsbesitzer vor Oppdal hat mir erklärt, dass es problemlos ist, die Schafe statt mit Glocken, mit Sendern zu behängen. Er habe alle Muttertiere damit ausgerüstet und finde so seine Tiere immer problemlos. Er könne nicht verstehen, dass es immer noch viele Schafsbesitzer gäbe, die sich aus Sturheit gegen diese Art der Ortung wehren, obwohl das Ganze sehr gut vom Staat mitfinanziert werde. Schade um die Tiere!
Wie immer schaue ich zuerst, ob genug Trinkwasser und Brennholz da ist und organisiere das noch, bevor ich aus den Schuhen steige. Dann wird der Ofen gehörig eingeheizt, Kaffeewasser auf dem Gasherd aufgekocht, das Zimmer bezogen und sofort in den Proviantraum geschaut. Fast jeder Proviantraum hat ein ähnliches Sortiment, das zum Teil sehr vielfältig ist. Doch ab und zu gibt es auch Überraschungen. So war in der Reindalseterhütte der ganze Kühlschrank (den hat es, weil die Hütte im Sommer bedient ist), voller Colas und Orangensodas. In einer anderen Hütte sah es aus wie an einem Bahnhofkiosk mit all den Süssigkeiten. Doch so etwas wie hier habe ich definitiv noch nie erlebt und die Kringlevatnhütte steigt im Ranking gerade sehr hoch hinauf:

Kühles Bier im Regal? Wo gibt es das schon! Eigentlich untypisch und auch nicht ganz korrekt… doch, denn es ist alkoholfrei.
Tusen takk Stavanger TF!
Von hier hätte ich eine Ausstiegsmöglichkeit via Bossbuhütte nach Valle. Doch auf einer heute empfangenen Wetterprognose der nächsten Tage habe ich gesehen, dass es morgen noch etwas Übergangswetter geben soll und dann zwei knallschöne Herbsttage! Wenn das so ist, wäre es der perfekte Abschluss der Vesthei und eine schöne Belohnung für das Winterintermezzo!
Als ich 2022 von Valle kommend in die DNT Hütte Bossbu lief, plante ich denselben Weg den ich jetzt gekommen bin, in umgekehrter Version nach Haukeliseter hoch. (Tourbericht 2022)
In Bossbu erwischte mich aber ein starker Orkan und ich musste daraufhin meinen Weg südwärts weiterplanen. Das Wetter war grottenschlecht und ich hätte eine totale Regentour gehabt. Wie schade wäre das für diese wunderschöne Gegend gewesen.
Tag 103 / Kringlevatn DNT-Taumevatn DNT

Am Morgen erwache ich bei ziemlich ruppigem Wind und noch ein paar Tropfen Regen. Mir egal, ich hab heute Zeit und lasse die mir auch beim Frühstück. Erst gegen 9.00 starte ich und gehe bis zum Svartvatnet runter. Hier komme ich etwas aus dem Windschatten des Bergs heraus und schon bläst mir eine steife Brise in die Seite.
Am Seeufer entdecke ich zwei Motorboote, die nur an Land gezogen und nicht verankert sind… Jäger? Und schon höre ich wieder den typischen Doppelknall einer Schrottflinte. Da hat wohl eine Rype (Schneehuhn) gerade bitter mit ihrem Leben bezahlt. Keine 10 Minuten später höre ich Stimmen hinter einem Felsen und… da sind sie ja. Drei junge Männer in Jagdmontur schauen mich erstaunt an. Mit einem Wanderer hat hier kaum jemand gerechnet und erst noch einem, der aus den verschneiten Bergen kommt. Norge på langs erklärt vieles und schon werde ich mit Fragen gelöchert. Nette Typen, die mir gleich eine frisch geschossene Rype zum mitnehmen anbieten. Ach herrje, nein danke, das lasse ich lieber sein. Ich weiss, dass die Tiere ziemlich viel Arbeit in der Zubereitung geben und ich hätte sowieso keine Ahnung wie. Die drei erzählen mir, wie alle Jäger im Süden, dass es kaum Rypen hat dieses Jahr. Tatsächlich, im Norden war ein richtiges Gewusel im Fjell und seit der Mitte des Landes hat das deutlich abgenommen. Scheint kein gutes Jahr für Rypen und Jäger zu sein.
Mein Weg geht nun den Berg hoch und je höher ich komme, umso stürmischer wird der Wind. Mittlerweile ist es ein Mix aus Schnee- und Graupelschauern und Sonnenschein. Der Wind lässt mich immer wieder aus dem Gleichgewicht kommen, was auf die Dauer ziemlich nervig sein kann, denn es ist höchste Konzentration notwendig.



Nach rund 12 Kilometern erreiche ich eine Pausenhütte. Eine ganz spezielle DNT Hütte, die Heibergtunet Storevatn. Benannt nach dem Erbauer Heiberg um die Jahrhundertwende 1900. Das Spezielle an den Hütten ist, dass sie alle mit Blechtafeln eingekleidet sind. Zudem sind sie den Hang hinauf erbaut worden, also nicht auf einer flachen Ebene.






Auch das Innere, welches ein kleines Museum ist, hat sehr viel Spezielles und vor allem viel Charme. Zeitungsausschnitte aus den 20er Jahren, die Jahresberichte des STF (Stavanger Touristførening) bis ins Jahr 1924 zurück, Pfandleihbriefe, die Heiberg aufnahm um den Bau zu finanzieren. Es wird ein sehr spannender Pausenbesuch.
Mein Weg geht aber noch weiter heute, mein Ziel heisst Taumevatn. Es gibt drei Wege für die verbleibenden acht Kilometer. Ich wähle den, der am besten vor dem Wind geschützt ist und kann dort bei Sonne sogar mal einen Moment aus der Windjacke raus.



Immer wieder hört man Schüsse im Fjell und ab und zu sehe ich Jäger/innen durch das Fjell pirschen. Ziemlich Betrieb heute, man merkt, die Jagdsaison endet bald. Durch die Knallerei werden natürlich auch die wilden Rentiere verscheucht und so hoffe ich morgen auf eine Sichtung.
Die Taumevatn Hütte ist schon von weitem zu sehen. Das rote, zweistöckige Haus ist noch ziemlich neu. Die Hütte liegt nur eine Wanderstunde von einer Kraftwerksstrasse entfernt und ist deshalb sehr beliebt. Ich bin aber wieder alleine heute, ausser zwei Jägern, die von vis a vis mit dem Ruderboot schnell rübergepadelt sind, um etwas Proviant in der Hütte zu holen. Ihre Jagd war erfolglos und der Proviant schon dünn, dann ist so eine Möglichkeit wie hier natürlich perfekt. Danach rudern sie wieder rüber in ihre private Hütte.
Der Ort ist wunderschön und ich geniesse bei einer Dose Kringlevatn-Bier den Sonnenuntergang. Jetzt freue ich mich auf die 2-3 schönen Tage, die kommen.











Und sie kommen tatsächlich! Bei schönstem Wetter geht mein Weg heute Richtung Håheller Hütte.
Tag 104 / Taumevatn DNT-Håheller DNT

Was habe ich mir in Haukeliseter noch Sorgen betreffs des Wetters gemacht. Hätte ich dort abgebrochen, sässe ich nun Zuhause und würde mich ziemlich sicher gehörig nerven über meine Entscheidung. Meine Glückssträhne hat noch mal volle Fahrt aufgenommen und die Schneetage gebührend ausgeglichen!
Die Vesthei ist hier deutlich „grüner“ als im Norden. Das Gelände ist zwar immer noch sehr hügelig, aber deutlich weniger als kurz nach Haukeliseter.





Ab heute ist Genusswandern angesagt und ich kann mir Zeit lassen, die Distanzen bewegen sich nun um die 20 Kilometer.
Schon bald erreiche ich die Hauptstrasse nach Lyssefjord. Ein irreführender Weg führt mich zu einer alten Hängebrücke, welcher ein Teil fehlt. Doch mit etwas Geschick und nassen Füssen komme ich auch da rüber, auch wenn es besser ist, dass das keine Versicherung gesehen hat!






Die urige Håheller liegt an einem wunderschönen Ort, unterhalb einer grossen Felswand mit Blick auf den See. Plan A wäre gewesen, jetzt noch weiter in die grosse Øyuvsbu Hütte zu gehen, welche ich noch von 2022 kenne. Doch hier gefällt es mir ausgezeichnet und die kleine Håheller ist einfach zu gemütlich um weiterzugehen.






Der Morgen erwacht bei strahlendem Sonnenschein und azurblauem Himmel. Es ist eisig kalt und der Boden ist mit Reif überzogen und zum Teil sogar trittfest gefroren. Es wäre sumpfiges Gebiet, doch durch die Kälte kann ich wie auf einem Teppich gehen und sinke kaum ein. Was für ein Stück Glück!
Tag 105 / Håheller DNT-Gaukhei DNT




Als ich loslaufe, ist es ein eigenartiges Gefühl. Heute ist er also, mein letzter, ganzer Tag im Fjell für diese NPL-Tour. Was fühle ich dabei… Wehmut? Trauer? Freude? Glück, endlich nach Hause zu kommen? Ich würde lügen, würde ich behaupten, es wäre nicht ein Quäntchen, vielleicht ein Quantum Wehmut dabei. Doch für mich stimmt es, die Tour demnächst zu beenden. Ich freue mich riesig auf Daheim, freue mich wieder am „normalen“ Leben teilzunehmen. In erster Linie empfinde ich aber einfach eine riesengrosse Dankbarkeit, diese Tour so erlebt haben zu dürfen.
Trotz allem schwirren die Gedanken pausenlos über diese phantastische Landschaft, in der ich mich auch heute wieder bewege. Ich weiss, was auf mich zukommt in den nächsten Tagen. Hier in Norwegen, Zuhause, in naher und mittlerer Zukunft. Ich weiss mittlerweile nach 2013 und 2015, wie es sich anfühlt nach Hause zu kommen. All die Emotionen, Erinnerungen, die manchmal kaum beherrschbaren Gefühle, ein Tumult an Gedanken.
Doch ich weiss auch sehr wohl, dass mich Zuhause jemand erwartet, der all das aus eigener Erfahrung von 2023 kennt. Ein nicht unwesentlicher Vorteil für mich und deshalb fühle ich mich jetzt umso sicherer, nicht eine emotionale Bauchlandung hinlegen zu müssen.










Mein Ziel ist heute die letzte DNT Hütte im Süden, die Gaukhei Hütte. In ewigem Auf und Ab ziehe ich meine Linie zu dieser grossen Hütte.
Wieder füllt sich mein Kopf mit wunderschönen Eindrücken. Das Kaiserwetter, die Herbstfarben, das Gewusel der tausenden Lemminge. Viele Vögel sind nicht mehr da und auch die Rentiere haben sich wohl in ihr Winterquartier zurückgezogen. Seit Haukeliseter habe ich keines mehr gesehen, nur vereinzelt alte Spuren.
Am frühen Nachmittag erreiche ich die Hütte. Im Haus sind drei Holländer bei einer Pause und laden mich spontan zu Pfannkuchen ein. Sie werden heute noch weitergehen und campieren.

Es ist kaum zu glauben, aber diese drei sind die ersten Menschen, die ich seit Haukeliseter auf einer Hütte antreffe. Obwohl am Abend noch drei junge Norweger in der zweiten Hütte ankommen, fühle ich mich alleine, aber nicht einsam hier.
Mit Gaukhei habe ich nun meine 199! Hütte des DNT besucht. Leider hat es nicht ganz zur 200 gereicht, doch ich bin mehr als zufrieden und glücklich damit. Die Hütten haben mich wieder über alles begeistert und ich habe mich ein weiteres Mal in sie verliebt. Jede mit ihrer eigenen Geschichte, ihrer eigenen Ausstattung, dem eigenen Flair und Leben. Es hat so viel Spass gemacht und ich habe es keine Sekunde als eine Belastung gesehen, meine Etappen nach ihnen zu richten. Ich hätte ein wunderbares Jahr fürs Zelten gehabt und viele haben sicher den Kopf geschüttelt, warum ich das bei diesen ausgezeichneten Bedingungen nicht gemacht habe. Das kann ich sogar verstehen, aber ich habe für mich die effektivere und effizientere Variante gewählt und habe das Hüttenleben in vollen Zügen genossen. Natürlich ist das Leben auf der Hütte auch um einiges angenehmer, wenn es kaum Leute hat, wenn mehr als genug Platz vorhanden ist und der Geräuschpegel umso tiefer ist. In der Hauptsaison sieht das natürlich ganz anders aus.
Ich werde morgen nach Ljosland laufen, wo es eine private Herberge gibt und mein Fjellabenteuer definitiv fertig sein wird.
Tag 106 / Gaukhei DNT-Ljosland






Ich laufe heute ausnahmsweise mal sehr langsam. Ich fühle eine Mischung aus Trauer, Glück, Leere und Erfülltheit zugleich. Irgendwie will ich heute gar nicht raus hier. Lange habe ich am Morgen beim Frühstück noch die Karten angeschaut, ob ich nicht doch noch eine oder zwei Hütten mehr reinnehmen könnte. Doch mittlerweile ist auch klar, dass heute der letzte schöne Tag angebrochen ist. Die Grosswetterlage sieht nun sehr deutlich nach einem länger anhaltenden Wetterumschwung aus und die ersten Herbststürme werden morgen die Südküste Norwegens erreichen.
Es macht keinen Sinn mehr und langsam muss ich mich auch um meine Heimreise kümmern.
Als ich den Fjellabstieg in Pytten erreiche, kommt sehr viel Wehmut auf und ich fühle mich gerade sehr einsam. Trotz allem bin ich überglücklich und ich weiss, dass meine Rückkehr und mein Ende der Tour bedeutet, dass ich zu Anja nach Hause komme. Nachdem ich 2023 fünf Monate auf sie gewartet habe, hat sie nun weitere vier Monate auf mich gewartet. Jetzt ist mal genug gewartet!





Als ich die Kraftwerksstrasse nach Ljosland erreiche, sind die DNT Wanderwege und das Fjell für „Fra Fyr till Fyr“ und somit NPL 2024 Geschichte.
Nochmals brennt die Sonne mit unverminderter Herbsthitze auf mich ein und ich kann es kaum erwarten, dass etwas kühles, sprudelndes meinen Hals runterfliesst.



Schon seit vielen Tagen kreisen meine Gedanken auch darüber, wie der Schluss meiner Tour aussehen könnte. Von Ljosland sind es rund 130 Kilometer bis ans Kap von Lindesnes. Es gibt nur noch Strasse und kaum Übernachtungsmöglichkeiten unterwegs. Mein Zelt ist ja schon auf der Heimreise und auf campen könnte ich jetzt auch ganz gut verzichten. Eines ist für mich klar, etwas erzwingen will ich nicht mehr. Obwohl mein Gepäck nur noch rund 9 Kilogramm schwer ist und mein Fersensporn die Vesthei gut mitgemacht hat, bleibt Strasse nun mal Strasse…
Heute Abend werde ich mir eine Lösung zusammenbasteln und ich glaube, ich habe da auch schon eine gute Idee. Nichtsahnend, dass sich diese Idee in den nächsten Stunden noch deutlich konkretisieren wird.
Es folgt das letzte Kapitel: Ein Traum geht am Kap zu Ende