12. und letzter Teil : Nordkap 71° 10´ 21´´


Den Ruhetag in Alta will ich nun mehr als gemütlich angehen. Nach Christoph seinem Weggang, laufe ich gemütlich in die Stadt. Mal schauen wie es so unter vielen Menschen geht mit mir.

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Bruschetta d `Alta

Zuerst knalle ich mich gemütlich in einem Gartenrestaurant hin, geniesse frischen Salat und einen sehr kühlen Hopfensaft. Die Gedanken schweiffen unmittelbar zurück ins Nábár, es hat mich gepackt, und wie ! Via Handy gratuliere ich Øyvind herzlich zu seinem Erfolg am Nordkap und merke auch bei ihm sofort, da hat sich was verändert. Er hatte wie ich Top Verhältnisse im Nábár und steckt immer noch, obwohl schon Zuhause, noch tief in dieser einzigartigen Landschaft. Während den letzten Tagen wollte ich mich die ganze Zeit heftig kneiffen weil ich es schlicht für einen Traum hielt, was da gerade passierte. Doch ich wagte es nicht, weil ich Angst hatte zu erwachen und die ganze Geschichte nur geträumt zu haben. Meine Gedanken schweiffen aber auch an die nächsten drei Tage auf die ich mich nun nicht wirklich extrem freue. Es gibt kaum eine Alternative zur E 6 Schnellstrasse nordwärts nach Skaidi. Diese gut neunzig Kilometer grauen mir und ich überlege mir gut, ob ich nicht meinen anfänglichen Plan, über den östlich gelegenen Stabbursdalen National Park zu gehen, wieder aktivieren soll. Doch ich habe soeben auf meinem Handy die Rückflugbestätigung von Honningsvåg für den 31.8. bekommen und die Zeit könnte etwas knapp werden, wenn ich dort langsam vorwärts komme. Der National Park ist sehr wenig begangen und die Wege sind zum Teil sehr schwer zu erkennen, dies könnte mich unnötig aufhalten. Ich überlege mir aber auch ernsthaft, den Bus von Alta nach Skaidi oder Olderfjord zu nehmen. Ich habe Alta erreicht, vor mir liegt eine Schnellstrasse in der zweitletzten Ferienhochsaisonwoche und meine Entzündungen von 2013 sind mir noch schmerzhaft in Erinnerung. Doch morgen ist Samstag und das heisst, in Norwegen existiert dieser Tag schlicht nicht für den öffentlichen Verkehr. Busse fahren nicht, Züge nur teilweise und Fähren haben auch Löcher im Fahrplan. Und warten…. ?

Einkaufen muss ich nun nicht mehr allzuviel, denn von jetzt an bin ich höchstens noch drei bis vier Tage unterwegs ohne Nachschub. Ich schaue mir noch die Konservendose von einer Kathedrale an und bin froh wieder auf dem Camping in meinem Häuschen zu sein. Die Menschen machen mich ganz kribbelig, da fehlt noch ein grosses Stück bis zur Resozialisierung !

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Alta Kathedrale

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Altaelva

 Die beiden Jungs vom Camping geben mir am Abend noch ein paar gute Tips, wie ich Alta über die Aussenbezirke umgehen kann und so einen kürzeren Weg habe bis zur Rafsbotn Bucht und das dahinter liegende Stokkedalen.

Und so verlasse ich Øvre Alta früh morgens und mache mich auf den Weg, nordwärts auf meine letzte Etappe ans Nordkap. Die Strassen führen mich durch die Agglomeration Altas, um den kleinen Hügel Raipas herum bis zur E6 ausserhalb der Stadtmauern. Der Weg zieht sich enorm in die Länge, Alta will einfach nicht aufhören und ich merke wie ich langsam ungeduldig werde. Als ich an die E6 komme, wird mir bewusst was da auf mich zukommen mag. Ein Lastwagen folgt dem nächsten, dazwischen dutzende Wohnmobile, Motorräder und ein grauenhafter Lärm und Gestank…….. mir wird übel, doch ich muss da durch. Nach Rafsbotn steigt die Strasse ziemlich ruppig an, von Meereshöhe bis hinauf auf vierhundert Höhenmeter. Die Strasse wird immer enger und…..schwieriger. Die Strassen im Norden liegen wegen dem Permafrost, dem Schnee und Wasser, alle auf einem etwa eineinhalb bis zwei Meter hohem Schotterbett. Dieses Bett ist genau so breit wie die Strasse und wird links und rechts durch eine achtzig Zentimeter hohe Leitplanke abgegrenzt. Die einzige Möglichkeit hier zu laufen ist auf der Fahrbahn, was einem enormen Risiko entspricht, gerade wenn breite Lastwagen und Wohnmobile unterwegs sind. Dass man sich bei den Autofahrern nicht gerade beliebt macht, spricht wohl für sich. Immer wieder blicke ich auf gestreckte Zeigefinger welche zum Kopf hindeuten, oder noch freundlicher, gleich den Mittelfinger in seiner ganzen Pracht. Doch nicht etwa von den Norwegern, es sind vorwiegend die Touristen welche sich massiv an dem Spaziergänger auf der Fahrbahn aufregen. Die Norweger nehmen das mit einer stoischen Ruhe entgegen, bremsen ab und machen grosse Bögen um mich herum. Lastwagenfahrer tröten mit ihren Dreiklanghörner und ab und zu kommt ein aufmunternder Kommentar aus der Führerkabine runter. Hingegen bei den „Brummis“ aus den baltischen Staaten wird es lebensgefährlich ! Und ich frage mich immer wieder ob das wahre Absicht ist, möglichst nahe an mich heran zu fahren. Wild gestikulierende Fahrer halten mir Fäuste entgegen, schreien mich aus dem Fenster an und drücken mich noch so gerne, noch etwas näher an die Leitplanke heran. Ich merke wie ich immer wütender werde, ich hasse die Strasse, ich hasse meine Entscheidung mit der Strassenlauferei, was soll all das nach diesen wunderbaren Tagen im Nábár ?

Kurz vor dem Leirbotnvannet biege ich ab und pflanze mich am Lakselva Fluss hin. Ich baue mein Zelt auf, esse etwas und versuche mich wieder etwas zu finden. Was für ein Horrortag, dabei war es schönstes Wetter und sehr warm.

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Lakselva / Leirbotnvannet

Noch zwei Tage bis nach Skaidi…….mir graut ! Und es soll wohl meine Vorahnung auf das sein, was am nächsten Tag kommen wird.

Schrecksekunde

Ich stelle meinen Wecker auf 4:00 Uhr. Ich will so früh wie möglich die letzten Kilometer bis zum breiten Sennalandet zurücklegen. Wenn es kaum Verkehr hat, werde ich sicher besser vorankommen. Als ich erwache, höre ich den schweren Verkehr rollen. Was zum Teufel ??? Ich kann es nicht glauben, es ist schon 8:00 Uhr, ich habe den Wecker nicht gehört und der Verkehr rollt schon wieder aus allen Rohren. Ich raufe mir die Haare, was für ein Trottel bin ich doch, jetzt habe ich diese Chance verpasst. Ich esse Frühstück, packe zusammen und bin schon wieder auf der E6 unterwegs. Kurz nach dem Leirbotnvannet wird die Strasse wieder enorm eng, ich presse mich förmlich an die Leitplanken heran. Ich denke mir noch, wie urgemütlich das wohl im September hier sein muss, wenn der Hauptverkehr weg ist und praktisch nur noch Einheimische unterwegs sind. Auf einer „normalen“ Norge på langs Tour, wird man hier erst so um Mitte September durchkommen, wenn die Touristen weg sind und der Lastwagenverkehr nur noch wenig ist, aber jetzt………..! Ich blicke zurück und sehe da schon wieder einen riesigen Sattelschlepper auf mich zukommen, ich drehe mich wieder um und da kommt auch schon ein Wohnmobil mit ausladenden Rückspiegeln daher. “ Au backe “ das wird wohl wieder extrem eng wenn die beiden auf meiner Höhe kreuzen. Doch der WoMo – Fahrer wird mich wohl sehen…..oder doch nicht ?? Ich sehe die beiden in der Fahrerkabine, wie ihre Köpfe nach rechts schauen, der Lärm von hinten und……….Bumm !

Ein grosser Knall, es wirbelt mich 180° um meine Achse und schmeisst mich in die Leitplanke, an welcher ich mich noch gerade halten kann. Die Bremsleuchten am Wohnmobil leuchten nicht auf……..hat mich dieses Riesenross etwa abgeschossen und der hat das nicht mal gemerkt??? Der Sattelschlepper entfernt sich ebenfalls und ich merke wie alles an mir zittert und ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann. In einer Riesenpanik hangle ich mich der Leitplanke entlang zu deren Ende und stürze mich einen Meter tief in den Strassengraben, wo ich ziemlich benommen liegen bleibe. Heilige Schei…. !!! Was war das ? Ich zittere, mein Puls rast und ich schreie so laut ich kann. Man bin ich sauer, ich bin so sauer wie ich noch nie sauer war in meinem Leben. Ich haue mit meinen Fäusten auf den Boden, Tränen laufen mir die Wangen runter, ich bin sooo sauer!

Es dauert wohl an die zehn Minuten bis ich die Kontrolle über mich wieder finde. Ich stehe definitiv unter Schock und realisiere so langsam was passiert ist. Der Wohnmobilfahrer hat mich ungebremst mit seinem Aussenspiegel am Rucksack abgeschossen. Eine weissliche Schleifspur zeugt von dem Aufprall ! “ Mann, wenn der fünf Zentimeter näher gewesen wäre, meine Schulter wäre wohl nun in tausend Teile….oder zehn Zentimeter ? “ Ich kontrolliere meine Schulter, wische mir über das Gesicht. Kein Blut und ich kann alles ohne Schmerzen bewegen. Ich schlucke leer und weiss nun, was für ein enormes Glück ich hatte. Ich bin immer noch ganz weg und brauche jetzt unbedingt einen Kaffee und nehme meinen Kocher hervor. Muss wohl ein Bild für die Götter sein, ich hier im Strassengraben am Kaffee kochen……!  Nach dem der Schock endlich etwas verflogen ist, schleppe ich mich hundert Meter weiter zu einem Kiesplatz am Strassenrand. Auf dem Platz steht ein Pick Up mit norwegischen Nummern. Ich kann und will heute nicht mehr weiterlaufen, ich will jetzt endlich von dieser verdammten Strasse weg. Mit meinem etwas brüchigen norwegisch, frage ich den Mann beim Pick Up, ob er nach Norden fahre und mich vielleicht mitnehmen kann. Verdutzt schaut er mich an und antwortet mir in breitestem Schweizerdeutsch “ Klar chasch mitcho, gha nach Honningsvåg „. Beat lebt seit fünfundzwanzig Jahren in Olderfjord und arbeitet für einen Stromkonzern im Norden. Ich steige ein und erzähle ihm alles auf der Fahrt nach Norden. Skaidi in rund fünfzig Kilometern Entfernung wäre mein Ziel, sage ich ihm. Doch Beat, tief beeindruckt von meiner Geschichte und dem Vorfall, winkt ab. Er telefoniert mit einem Freund. Dieser ist Besitzer eines Gästehauses und Campings in Olderfjord. Und schon ist eine  Übernachtung und Gratisverpflegung organisiert. Ich soll mich von dem allen zuerst einmal erholen und mich ausruhen, morgen sehe die Welt dann wieder viel besser aus und Beat setzt sein breites Lächeln auf. Wow….das nenne ich nun mal eine gute Nachricht und lehne mich zurück, während dem das Sennalandet an mir vorbeizieht. Zehn Kilometer vor Skaidi wird die Strasse wieder sehr eng und es herrscht ein komplettes Verkehrschaos. Wo steckt wohl Christoph ? Ich halte Ausschau nach ihm, sehe ihn aber nirgends. Ist er wohl auch gefahren ? Mit einem SMS hat er mir tags zuvor ebenfalls von heiklen Situationen berichtet, vielleicht hat er nun auch den Daumen ausgestreckt.

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Schon bald fahren wir in Olderfjord ein. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Beat für die Mitfahrt und sein organisieren der Übernachtung. Er muss geschäftlich weiter nach Honningsvåg.

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Da stehe ich nun vor einer riesigen Halle und einem grossen Busbahnhof. Aus allen Richtungen kommen hier Verkehrsbusse, Touristenbusse und Touristen an um ans Nordkap zu fahren. In der Halle befindet sich ein riesiger Souvenirmarkt und die Rezeption des Olderfjord Hotell. Etwas bedröpelt stehe ich vor dem Desk und bin etwas überrascht, hier sowas anzutreffen. Ich werde schon erwartet und kann gleich in der Jugendherberge in ein Einzelzimmer einchecken. Das riesige Restaurant ist gleich nebenan und die Speisekarte erfüllt jegliche Wünsche. Es braucht doch etwa drei Biere bis ich den Schreck endlich etwas ablegen kann. Da malt man sich jahrelang die abenteuerlichsten Gefahrengeschichten auf dieser Wanderung aus, mit heroischen Überlebenstaten…….. und wird beinahe von einem Camper erledigt, unglaublich !!

Ich sitze mit einer uralten Samifrau, welche am anderen Ende des Restaurants sitzt, in diesem Saal. Sie trägt eine wunderschöne, traditionelle, blaue Samitracht und schickt mir ein grosses, zahnloses Lächeln herüber. Sie sitzt vor einem Teller, auf welchem ein riesiges Rentiersteak liegt. Ein Lächeln huscht nun über mein Gesicht, wie zum Teufel will die das ohne Zähne essen? Da kommt auch schon mein riesiger, zehn Zentimeter dicker Hamburger, garniert mit Unmengen Pommes Frites. Dies wird wohl zum vergessen des Tages weiterhelfen ! Die Samifrau schaut mich nun aber böse an, steht auf und kommt kleinen Schrittes zu mir herüber. “ Hamburger not good, Hamburger not good !!! “ schnauzt sie mich an und zeigt auf ihr angeknabertes Rentiersteak. Ich strecke meinen Daumen empor und sage ihr “ Ren is much better, very much better“. Sie schaut mich kritisch an, dreht sich um und geht wieder an ihren Tisch. Der Chef steht an der Theke und lächelt, “ so geht das jedem hier, der einen Hamburger bestellt wenn Arje ( die Samifrau ) hier ist “ . Mein Tag ist aber nun definitiv gerettet, ich kann wieder lachen !

Die Geschichte haut mich früh ins Bett und ich schlafe tief und fest. Am nächsten Morgen werde ich vom Chef des Hauses mit viel gebratenem Speck und haufenweise Rührei in den Tag entlassen. Bevor ich mich verabschiede, ruft er mich noch hinter die Theke, nimmt zwei kleine Gläser hervor und eine extrem durchsichtige Flasche dazu. Er füllt die Gläser und gibt mir einen Trinkspruch auf meine letzte Etappe mit auf den Weg, ich bin echt gerührt.

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Porsangerfjorden

Keine zehn Minuten später, stehe ich vor dem Porsangerfjorden und blicke auf die grosse Bucht hinunter. Vor mir liegt nun die Porsanger Halbinsel, das letzte Festland vor der Nordkapinsel Magerøya. Eigentlich könnte ich nun zwei Tage der E69 bis zum Nordkaptunnel folgen, doch schon bald biege ich auf die Strasse nach Havøysund ab, denn mein Ziel ist der legendäre E1 Fernwanderweg, der vom Nordkap nach Sizilien geht.

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Nordkap in Reichweite

Und tatsächlich steht nun das erste Mal der Name des Nordkaps auf einem Strassenschild. Mir wird ganz anders, ist es tatsächlich schon bald geschafft ? Die letzten Tage haben mich emotional an meine Grenzen gebracht, etwas was ich nie für möglich gehalten habe. Meine Gedanken schweifen über die ganze Reise hinweg, während ich auf der Strasse nach dem Wegweiser des E1 suche.

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E 1 Fernwanderweg Nordkap – Sizilien

Endlich sehe ich dieses kleine Schild am Wegrand. Unmittelbar daneben kommt auch der Wanderweg von Skaidi an. Der Fernwanderweg E1 wird jedes Jahr von ein paar wenigen Menschen begangen. Die rund 7000 Kilometer verteilen sich aber auf bestehende Wanderwege bis nach Italien runter. Obwohl 2013 mit einem riesigen Brimborium die letzte Kilometer von hier bis ans Nordkap markiert wurden, gibt es den Weg eigentlich gar nicht richtig. Viele Gegenden sind auch unerschlossen ( z.B. das Blåfjell oder Børgefjell ) und es gibt auch kaum Infrastruktur entlang der Route. Mir macht die neue Markierung hier oben nun aber alles ein wenig einfacher und ich kann mich jetzt etwas „tragen“ lassen.

Die Wetteraussichten für die nächsten Tage waren etwas besser als es nun ist. Es herrscht eine Westwindlage, welche an der Ostküste, wo die Strasse verläuft, sonniges Wetter verspricht. Je mehr ich aber gegen die Westküste komme umso diesiger und windiger wird es.

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Vilgesgeaðgejeakkit / Porsanger

Doch ich atme tief durch. Ich bin unheimlich glücklich wieder hier im Fjell zu sein, hier wo man den Wind hört, der Nebel die frische Luft generiert und es einfach Menschenleer ist. Irgendwie bin ich hier wieder wie Zuhause.

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Porsanger

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Porsangerfjord am Horizont

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E1 / Doaresruossajohka

Auf der Porsanger Halbinsel gibt es ausser der kleinen Ortschaft  Havøysund an der Westküste, keine Zivilisation. Als einziger Wetterschutz gibt es entlang dem Weg zwei Samihütten. Nach ein paar Stunden stehe ich unmittelbar vor einer jener Hütten, Stohpojohka.

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E1 / Nähe Stohpojohka Hütte

Bevor ich zur Hütte komme, laufe ich entlang einem kleinen Sandhaufen. Mit meinem Stock schreibe ich ein grosses „Grüezi“ in den Sand. Wer weiss, denke ich, wenn Christoph hinter mir liegt, was nach meiner Fahrt gut möglich ist, wird er das Wort vielleicht sehen und wissen dass ich voraus bin. Der Mobilempfang bricht immer wieder ab und auf ein SMS meinerseits hat er noch nicht reagiert.

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Stohpojohka Hütte

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Stohpojohka Hütte

In der etwas ungemütlichen Hütte mache ich ein grössere Pause. Draussen weht eine ziemlich steife und kalte Brise und hier bin ich etwas geschützt. Im Hüttenbuch entdecke ich den Namen eines australischen E1 Wanderers, den ich kurz nach Abiskojaure getroffen habe. Der Eintrag ist schon so lange her, dass ich befürchte, wenn der so weiterläuft, braucht der wohl noch c.a. drei bis vier Jahre bis nach Sizilien runter. Für mein Nachtlager suche ich mir einen Platz entlang des Gárdevárri Hügelzugs. Dieser Hügelrücken liegt wie eine Barriere gegen den Westwind und wird mir Schutz vor dem kräftigen Wind geben. Der Wanderweg führt hier auch einige Kilometer entlang der Hügel.

Kaum bin ich wieder unterwegs, rattert mein Handy. Eine SMS ist angekommen und als ich sie öffne, steht da nur ein Wort “ Servus „. Ich muss laut lachen, das ist definitiv Christoph, welcher an meinem “ Grüezi “ vorbeigekommen sein muss. Er liegt also etwa drei bis vier Stunden hinter mir. Ich sende ihm ein SMS zurück, dass ich jetzt etwas langsamer gehen und einen guten Zeltplatz suchen werde.

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Porsanger Rentiere

Das Gebiet hier, wird von vielen Rentierzäunen geprägt. Gut für die E1 Wegmarkierer, die mussten einfach nur jeden zehnten Zaunpfahl rot markieren und schon war der Wegweiser geboren.

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Gárdevárri Gebirge im Nebel

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Endlose Tundra auf Porsanger

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Andárasmáhtejavri See

Als ich am Andárasmáhtejavri See ankomme, befinde ich mich nun im Windschattten des Gárdevárri Gebirges. Die Wolken- und Nebelfetzen peitschen über den Gebirgszug hinweg und die Luft ist sogar etwas salzig, obwohl das Meer einige Kilometer hinter dem Gebirge liegt.

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Am Fuss des Gárdesvárstealli

Je weiter ich dem Gebirge entlang laufe, umso steiniger wird der Boden. Mittlerweile bin ich schon wieder über zwei Stunden unterwegs. Das wird wohl ein happiger Tag für Christoph, ist er doch heute morgen in Skaidi weggelaufen.

Endlich bei den kleinen Ruossajávrrit Seen finde ich perfekte Verhältnisse um ein Zelt aufzubauen.

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Ruossajávrrit Seen

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Ruossajávrrit Camp

Nun, hier werden mich wohl kaum Nachbarn stören. Es ist einfach herrlich hier, diese Stille und nur das Gekeife des Windes, welcher über die Hügel streift. Mein Zelt steht mitten auf dem Weg, Christoph sollte mich also gut finden können.

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Ruossajávrrit Camp

Doch der Bayer wird nicht mehr kommen heute. Ich geniesse dafür den Abend und die Ruhe. Vergessen all der Ärger im Sennalandet, hier bin ich wieder dort angekommen, wo ich hinwollte.

Der Wanderweg führt am Morgen nun geradewegs den Hügel rauf auf den Rücken des Gárdevárri. Auf knapp fünfhundert Höhenmeter führt der Track nun immer dem höchsten Punkt entlang in nordöstlicher Richtung. Das Gelände ist praktisch nur noch steinig und sehr kahl.

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Ruossajávrrit See früh am Morgen

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Einsame Sami Kote am Ruossajávrrit

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Gahcahatjávri See

Vorbei am Gahcahatjávri See geht es noch eine Etage höher bis auf den Kamm des Gebirgszugs. Ich bin sehr langsam unterwegs und es geht nicht lange, als ich von hinten Christoph kommen sehe. Auf dem Kamm angekommen, hat er mich nun also eingeholt und wir haben uns doch ein paar Dinge zu erzählen seit wir uns in Alta getrennt haben. Er ist tatsächlich die ganze Strecke durch das Sennalandet gelaufen, allerdings auch mit ein paar Negativerlebnissen. Nun werden wir also gemeinsam ans Kap hochlaufen.

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Gahcahatjávri See

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Blick nach Westen

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Bealjáidjávri Seen

Je länger der Morgen wird, umso schlechter wird das Wetter. Zumindest hat der böige Wind aufgehört, doch es nieselt immer wieder und Nebel schleicht sich durch das Gelände.

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Várdánjohka Seen

Kurz bevor wir nach Várdáncokka und somit der zweiten Sami Hütte kommen, verlieren wir kurz den Weg. Irgendwie kommt mir die Stelle gerade extrem bekannt vor und ich schaue auf der Karte nach warum.

Simonpatur

Ende 2012 bekam ich eine Mail eines gewissen Simon Michalowicz aus Deutschland. Er war gerade daran seine Norge på langs Tour für 2013 zu planen. Er stolperte per Zufall über meinen Blog und mailte mich an. Die nächsten Monate hatten wir regen Austausch von Informationen und Tips für unterwegs. Simon startete drei Wochen nach mir in Lindesnes und erwischte deutlich bessere Verhältnisse, die ihn bis Mitte Oktober ans Nordkap brachten. Nach der Tour trafen wir uns auch persönlich und haben bis heute einen herzlichen Kontakt. Als er auf einem Besuch bei mir in der Schweiz war, sprach ich ihn darauf an, er solle doch ein Buch über seine Tour schreiben. Selten haben Norge på langs Läufer eine solch, nahezu reibungslose Tour absolviert, das war doch Stoff für ein Buch ? Am Anfang skeptisch über diese Idee, machte sich Simon ans schreiben und heute ist dieses Buch “ Norwegen der Länge nach „ in der 4. Auflage sehr erfolgreich auf dem Markt. ( persönliche Rezension des Buches ).

Als ich 2015 kurz vor dem Start der Tour war, war Simon in den letzten Zügen des Buch Releases. Er überraschte mich mit einer Vorabversion des Buches für meinen E- Reader, welchen ich auf die Tour mitnahm. Ich durfte nun also das Buch vor seinem erscheinen auf der Tour lesen…. was für eine grosse Freude ! Es erstaunt wohl nicht, dass ich das Buch in einem Zug durchlas. Doch ich machte während der Tour nun ein spannendes Ritual daraus. Jeden Abend las ich nun Simons Geschichte, welche den nächsten Tag, auf der selben Strecke beschrieb ( wir hatten ab Höhe Trondheim die gleiche Route geplant ). Und so erlebte ich den nächsten Tag auf meine Art und konnte herrlich miteinander vergleichen. Oftmals waren die Parallelen frappant, oftmals hätten sie aber nicht unterschiedlicher sein können. Es machte einen riesigen Spass, die Tour so “ hoch zwei “ zu erleben.

Tusen Takk nochmals für diesen tollen Service, Simon !!

Infos zu Simon: simonpatur.de

Ich hatte doch am Abend zuvor, Simons Tagesgeschehniss hier vor Ort in seinem Buch gelesen? Er hatte den Weg verloren und musste nun querfeldein Richtung Nordkaptunnel finden. Als ich die Karte anschaue und unseren Fehler mit Simons vergleiche, muss das wohl exakt hier gewesen sein. Denn unmittelbar danach kommt die Várdáncokka Hütte, welche Simon nicht mehr gesehen hatte. Und tatsächlich, als wir zurücklaufen und den Weg wieder finden, stehen wir kurz danach an der Várdáncokka Hütte.

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Várdáncokka Hütte

In der Kleinsthütte machen wir kurz eine Pause und gehen gleich weiter. Als wir neben dem kleinen Bealccajávri See vorbeikommen, bleiben wir plötzlich beide wie angewurzelt stehen. Minutenlang starren wir in die Ferne hinunter………. die Barentssee, das Meer !!!

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Die Barentsee in Sicht und am Horizont die Insel Magerøya….. das Nordkap !

Ich kann mich kaum sattsehen an dieser Szenerie. Die Tränen laufen mir wie Bäche die Wangen runter, verdammt ist das emotional. Ich habe es tatsächlich geschafft und dies nach all den Jahren Planung, der Aufgabe 2013, dem Wiedereinstieg 2015, einfach unfassbar. Aber auch der wortgewandte Christoph scheint gerade von seinen Gefühlen überrannt zu werden, so still und nachdenklich habe ich ihn noch nie gesehen. Kein Wunder, ist der Kerl doch seit einem halben Jahr unterwegs und wusste ja nicht mal wohin er gehen wollte und jetzt steht er hier am nördlichsten Ende Europas !

Diese Szenerie sollte für heute bleiben, ich will das Ganze noch ein paar Stunden auf mich wirken lassen. Der Vorschlag hier unser Camp aufzustellen, wird sogleich unterstützt.

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Bealccájavri

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Camp am Ealánvárri

Unterhalb des Ealánvárri Hügels, stellen wir unsere Zelte im Windschatten auf. “ A room with a view “ könnte die Beschreibung dieses Platzes nicht besser beschreiben. Zur Feier des Tages schmeisst Christoph noch einmal all seine Kochkünste ins Feuer und kocht für beide Unmengen an Teigwaren.

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Am Abend, steige ich bei eisiger Kälte den Ealánvárri hoch um die Abendsonne an der Magerøya Insel zu bestaunen.

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Abendstimmung auf dem Ealánvárri

Diese unglaubliche Stimmung versetzt mich schon fast in eine andere Welt, eine unendliche Demut erfasst mich. Und, das erste Mal kribbelt da so ein bisschen Stolz mein linkes Hosenbein hoch. Ich klopfe mir auf die Schulter “ Gut gemacht Alter, wirklich gut gemacht “ !

Am Morgen erwache ich mit dem Geräusch von Regen auf meinem Zeltdach. Unglaublich, dass ist das erste Mal auf der Tour 2015 ! Immer wieder peitscht ein gehöriger Nieselregen auf uns nieder und wir wälzen uns so lange wie möglich in unseren Schlafsäcken. Wir liegen wohl gerade dort, wo es sich ausregnet. Weiter unten scheint es sogar trocken zu sein und so nutzen wir eine kleine Regenpause und packen zusammen.

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Koppefjorden

Kaum sind wir von unserem Platz weg, hört es auch schon auf mit Regen. Über weite Grashänge laufen wir zum Bach Austerbotnelva. Ich kann es echt nicht fassen !! Wir laufen hier inmitten kniehohem Gras, ein Bächlein plätschert durch Blumenwiesen, grosse Birken und Föhren stehen entlang des Baches……… Wir befinden uns hier auf über 71 ° nördlicher Breite und wir stehen inmitten grünstem Grün. Folgt man diesem Breitengrad um die Erde, gibt es wohl nur noch Schnee und Eis, doch hier ist schlicht alles grün und fruchtbar. Selten ist der Golfstrom mit seinem “ warmen “  Wasser so präsent wie hier.

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Austerbotnelva

Durch lautes Vogelgezwitscher wenden wir uns nun dem Meer zu. Der E1 Wanderweg führt nun dem Meer entlang um die ganze Bucht des Austerbotnen Fjords herum.

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Austerbotnen Fjord

Und dann stehe ich tatsächlich am salzigen Meerwasser in der Bucht……

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Lindesnes 2013

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Austerbotnen 2015

Sofort kommt mir das Selfie von 2013 in Lindesnes in den Sinn. Wenn ich damals gewusst hätte, dass es über zwei Jahre dauern wird, bis ich das zweite an der Barentssee machen werde…. !!

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“ Pancake Rocks „

Entlang der Bucht laufen wir an vielen sogenannten “ Pancake Rocks “ vorbei. Diese Schichtfelsen bieten ein fantastisches Bild hier in der Wildniss des Nordteils von Porsanger.

Doch irgendetwas ist heute anders. Ich habe keine Kraft, ich bin müde und völlig demotiviert und jeder Schritt wird zur Qual. Es ist als ob gestern, als ich das Meer sah, ein enormer Druck von mir gewichen ist. Ein, positiver, Druck, welcher mir über die letzten Wochen die Kraft und Energie gab, diese Tor zu bewältigen. Christoph bestätigt ebenfalls das gleiche Gefühl. Wir kämpfen uns Kilometer für Kilometer um diese Halbinsel herum, den wir wissen, der Weg zum Nordkapportal ist noch weit!

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Verlassene Fischerhütten am Fjord

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Lafjorden

Der E1 führt hier dem Meer entlang rings um die Halbinsel herum. Wären wir querfeldein gegangen, hätten wir uns wohl an die fünf bis sechs Kilometer sparen können. Doch wir haben einfach keine Lust auf Experimente und so erreichen wir nach vielen Stunden die Bucht des Lafjorden.

Eine Pause muss dringend her, denn jetzt geht es nochmals mächtig ans Zeug. Fast senkrecht führt hier der Weg innerhalb eines halben Kilometers  knappe vierhundert Höhenmeter bergan !

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Fischerhütten am Lafjorden

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Fast unmenschlich steil zum Skuohtagáisa hinauf

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Lafjorden und im Hintergrund die Halbinsel Stiikonjárga

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Fisketind

Als wir in das Seitental des Fisketind einbiegen, kommt mir wieder Simons Buch in den Sinn. Er hatte diesen „Fischkopfberg“ beschrieben und seine Erleichterung, dass er bald am Nordkaptunnel war.

Durch kniehohes, klatschnasses Gestrüpp führt der Weg nun nochmals bergauf, entlang dem Skuothávárri. Und dann endlich, auf dem höchsten Punkt sehen wir nun hinüber nach Honningsvåg.

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Honningsvåg

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Nordkaptunnelportal

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Geschafft !

Tief unten im Tal sehen wir auch schon das Loch des Nordkaptunnel. Der Absteig da runter wird nochmals mehr als abenteuerlich bei dieser Nässe. Hätte man einen kleinen, leichten Rucksack am Rücken würde ich wohl darüber lachen. Aber mit diesem Ungetüm am Rücken muss jeder Schritt gut überlegt sein, ein Ausrutscher und weg ist man ! Dies könnte ganz schnell das Ende bedeuten. Nicht wirklich unglücklich als wir unten ankommen, gehen wir zum Tunnelportal.

Die Eingänge der Tunnelportale werden mit einem lauten Pfeiffen beschallt. Dies aus dem Grund, dass die Rentiere welche hier rumsträunen, nicht in den Tunnel hinein gehen. Wir sehen auch schon bald eine gräulich, gelbe Dunstglocke aus dem Tunnel steigen und der Verkehr rollt. Es gehört zur Tradition eines Norge på langs Läufers, durch den sieben Kilometer langen und zweihundertzwanzig Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Tunnel zu laufen. Wer wird diese Gelegenheit wohl auch schon ein  zweites Mal erleben ? Schon Øyvind hatte vor diesem Vorhaben gepasst und wir entscheiden uns auch relativ schnell gegen diesen Plan. Die Kohlenmonoxid Belastung ist jetzt zur Hauptsaison sehr hoch, der Lärm durch die unter Volllast laufenden Gebläse mörderisch und der Verkehr nicht zu unterschätzen. Diese Argumente stehen gegenüber der Tradition und so halten wir am Portal den Daumen raus…

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Nordkaptunnel

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Hitchhikers in Norge

Keine zehn Minuten später hält ein uraltes Wohnmobil mit Linzern Autonummer. Das  ältere Österreicher Päärchen nimmt uns mit durch den Tunnel. Die Entscheidung war goldrichtig als wir den Tunnel sehen. Dichter Smog herrscht noch in der Röhre vom Tagesverkehr und der Lärm ist selbst im Auto kaum auszuhalten. Die beiden sind völlig überwältigt von uns zwei Wandervögeln und unseren Geschichten. Eigentlich möchten sie uns gleich mit nach Honningsvåg mitnehmen, doch wir winken ab und bestehen auf den Tunnelausgang. Der Mann hält am Parkplatz nach dem Tunnel an, geht zum Kühlschrank und drückt uns zwei grosse Dosen Linzer Bier in die Hand. Perfekt…. der Abend ist definitiv gerettet !

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Camp an der Veidnsbukta

Bier haben wir, aber kein Wasser !! Wir beginnen zu suchen und scheinen absolut erfolglos zu sein, bis ….. Christoph dreihundert Meter von uns weg ein Parkplatz mit Toiletten und sogar Warmwasser findet.

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Abend an der Veidnesbukta

Als ich am Abend das Wetter für die nächsten drei Tage checke, laufen mir gleich die Augen über. An einem Ort, an welchem dreihundertzwanzig Tage im Jahr Wind, Nebel und Regen herrscht, wird uns nur Sonnenschein prognostiziert. Mein Glückslos scheint sich durch die ganze Tour hindurch zu ziehen, einfach unfassbar !

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Morgengruss an der Veidnesbukta

Wir entscheiden uns einen Zwischenhalt in Skarsvåg einzulegen, der nördlichsten Ortschaft Europas. Es wäre zwar möglich hier direkt in einem Tag ans Kap zu laufen, doch das Wetter ist so perfekt und ich habe noch fünf Tage Zeit bis zu meinem Rückflug. Christoph will danach nach Hause trampen, so spielt im die Zeit auch keine Rolle.

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Veidnesbukta

Ein wunderschöner Morgen weckt uns an der Veidnesbukta. Nach einem kräftigen Frühstück, geht es vorbei am Tunnelportal, der E69 entlang über den grossen Kobbholet Viadukt.

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Kobbholet Viadukt

Im Sarnespollen Fjord, kürzen wir nun durch das Polldalen nordwärts ab. Dieser DNT Track ist zwar einigermassen markiert, doch auch wir verfransen uns unterwegs. Der Weg geht steil den Berg hinauf, über dreihundert Höhenmeter auf die Magerøya Hochebene.

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Sarnesfjorden

Der Blick zurück auf den Sarnesfjorden ist gewaltig schön.

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Sarnesfjorden

Auf der Hochebene werden wir von einem kräftigen und kalten Wind heimgesucht. Dieser Wind ist wohl der Vorbote auf den angekündigten Sturm am Kap. Das Wetter bleibt perfekt, doch sind Windgeschwindigkeiten von hundertzwanzig Stundenkilometern angesagt. Dieser Wind ist nun schliesslich auch dafür verantwortlich, dass ich mein Ziel Knivskjelodden mit dem Nordkap eintauschen werde.

Das nördlichste Ziel

Als erstes denkt man sicher an das Nordkap mit seinen hohen Felsen und der stählernen Weltkugel am Nordkapcenter. Hier ist der nördlichste Punkt Norwegens und somit Europas. Falsch, denn westlich neben dem Nordkap-Felsen, befindet sich eine kleine Landzunge mit dem Namen KnivskjelloddenBei der Erschliessung durch den Tourismus war die Landzunge weit weniger spektakulär als die hohen Felsen vom Nordkap, und so hat man den nördlichsten Punkt etwas versetzt. Nun werden uns aber gerade die Norweger nochmals eines besseren belehren. Es fällt auf, dass vorallem norwegische NPL Läufer ihre Tour am Nordkinn beginnen oder beenden. Warum das ? Kap Lindesnes ist der südlichste Festlandpunkt Norwegens und Kinnarodden am Nordkinn der nördlichste Festlandpunkt Norwegens. Denn, das Nordkap und Knivskjelodden befinden sich auf der Insel Magerøya und sind nur durch einen Strassentunnel mit dem Festland verbunden. Und wenn man die Inseln mitberücksichtigen will, dann kämen da im Polarmeer auch noch Spitzbergen oder Jan Mayen als nördlichste Punkte hinzu.

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Es war immer mein Ziel in Knivskjelodden aufzuhören. Diese Landzunge wäre zwar auf einem langen Tagesausflug erreichbar, doch es war mein Plan dort zu campieren. Das Wetter wäre perfekt gewesen, aber bei diesem Sturm würde ich da wohl eine ziemlich ungemütliche Nacht verbringen müssen. Also dann auf zum Nordkap !

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Strasse nach Gjesvaer

Auf der Hochebene treffen wir nun auf die Strasse nach Gjesvaer. Diese wird uns auf die E69 zurückbringen und von dort geht es dann nach Skarsvåg.

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Nordkapfelsen

Und plötzlich taucht er auf. Dieser unscheinbare Felsen im Meer…das Nordkap !

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E 69

Auf der E 69 kommen wir nun extrem schnell vorwärts und die Kilometer scheinen nur so an uns vorbeizufliegen.

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Zeit den Gefühlen freien Lauf zu lassen….

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Der riesige Tufjorden an der Westküste

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Nordkapfelsen

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Skarsvåg

Nach gut zwanzig Strassenkilometern, kommen wir an die Abzweigung nach Skarsvåg. Dieses kleine Fischerdorf hat drei Campingplätze, wovon zwei schon geschlossen sind. Die Saison geht an diesem Wochenende zu Ende und wir haben das grosse Glück, auf dem Kirkeporten Camping noch ein gemütliches Plätzchen zu finden.

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Kirkeporten Camping

Zu allem Glück hat das betriebseigene Restaurant auch noch offen und so lassen wir es uns am Abend enorm! gut gehen. Wir werden super bekocht und das, freilich sehr teure Bier, läuft in Strömen. Doch wer weiss, ob wir uns jemals wieder in diesem Leben über den Weg laufen werden und so dürfen die letzten gemeinsamen Tage ruhig etwas gefeiert werden !

Auf dem Zeltplatz wimmelt es von Rentieren mit gewaltigen Geweihen. Auch diese Viecher wollen uns wohl einen netten Abschied bescheren.

Mit einem doch etwas schwereren Kopf, ziehen wir nun am Morgen endlich los auf die letzten knapp drei Stunden ans Kap. Um diese Jahreszeit hat das Nordkap genau noch eine Busverbindung zurück nach Honningsvåg und die wollen wir nicht verpassen, den campieren wird wohl etwas zu zugig!

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Nordkap

Der Nordkapfelsen ist nun schon ganz nahe, doch es heisst noch einmal kräftig der Strasse entlang hochsteigen, auf das dreihundertdreissig Höhenmeter hohe Plateau.

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Skarsvåg und Kirkeporten

 

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E 69 auf das Nordkap Plateau hinauf

 

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Knivskjelodden Parkplatz

Als wir auf halber Strecke den Parkplatz für den Wanderweg nach Knivskjelodden passieren, wurmt es mich doch etwas. Doch der Wind hat auch schon hier tüchtig aufgefrischt und bläst uns immer wieder fast von der Strasse. Doch ich will es jetzt auch endlich fertigbringen….

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Endlose Strasse ans Kap

 

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E 69

 

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Wetterstation Nordkap

Und endlich kommt nach drei Stunden und einem enorm hohen Tempo, die Kugel der Wetterstation des Kaps in Sicht.

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Kinnarodden / Nordkinn gegen Osten

 

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Knivskjelodden gegen Westen

 

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Das Ziel in Sicht !

 

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Ist wohl noch zu schaffen ….

Wir passieren das Eintrittsgate des Nordkaps und ein Wärter lächelt uns zu….. wir haben natürlich freien Eintritt! Wir laufen auf den riesigen Tempel des Nordkapcenters zu, umrunden diesen und stehen unmittelbar danach……. am Ende von Europa !!

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Nordkapcenter

 

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Das Ende !

 

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28. August 2015, 12:00 / 120 Tourtage und 3040 Kilometer !

 

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Herzliche Gratulation auch an Christoph für seine gewaltige Leistung Traunstein – Nordkap

Bevor wir an unsere Erinnerungsbilder mit der Stahlkugel gehen, stehen wir an dem Drahtzaun am Rande des Plateaus. Wir schauen beide lange, sehr lange und still auf das unendliche Blau der Barentssee. Es herrscht keineswegs eine Champagnerlaune, keine Schreiattacken oder sonstige Aktionen. Einfach nur auf das Blau des Meeres schauen und den gewaltigen Moment in sich hinein ziehen. Es ist schlicht nicht fassbar, was da soeben passiert ist und so wenden wir uns dem glücklichen Moment zu, eine Menschenleere Stahlkugel zum posieren zu haben. Es ist ein völlig abstrakter Augenblick und nach ein paar Bildern, gehen wir zurück zum Center um etwas zu trinken und zu essen.

Das riesige Restaurant ist schon geschlossen, die Hauptsaison ist vorbei. Und so begnügen wir uns an der Bar mit frischen Waffeln und ein paar Bieren ( der Champagner ist nun definitiv nicht in unserem Budget ). Wir staunen etwas über das leere Center. Es hat auch kaum Autos auf dem Parkplatz und auch auf dem Weg hierhin war es sehr ruhig. Doch plötzlich ist es, wie wenn ein Staudamm brechen würde. Nahezu zwanzig Reisecars fahren vor und laden rund fünfhundert Asiaten vor dem Center ab. ( Die mittägliche Fuhre von den Hurtigruten Schiffen ). Mit Gesichtsmasken, tief eingehüllt in langen Mänteln und dem obligaten rumgerenne, überfallen uns die Koreaner, Taiwanesen, Japaner usw. und lassen uns kaum mehr Luft zum atmen. Wir verlassen fluchtartig die Halle und gehen nochmals raus an die Absperrung. Beide haben wir noch etwas zu erledigen, wollen einen letzten Blick auf das Meer ergattern und werden dann wohl bald schon auf den Bus nach Honningsvåg müssen.

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Christoph befestigt seine mitgebrachten Gebetsfahnen

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Der Stein von Lindesnes

Als ich am Zaun bin, greife ich in meine Hosentasche und nehme den kleinen Stein hervor, welchen ich 2013 am Strand von Lindesnes aufgenommen habe. Über zwei Jahre, hundertzwanzig Tourtage und dreitausendundvierzig Kilometer hat mich der kleine Stein begleitet und ist jetzt am Ziel. Für mich geht hier auch eine Tour zu Ende, welche ich meinen tödlich verunglückten Freunden gewidmet habe und dieser Stein soll nun unsere ewige Erinnerung besiegeln. Mit einem weiten Anlauf werfe ich den Stein ins Meer hinaus und atme tief durch…..mach`s gut kleiner Stein !

Wir steigen in den Bus und eine halbe Stunde später sind wir in Honningsvåg. Wir checken im Nordkap Vandrerhjem ein, einer riesigen Herberge am Stadtrand, nahe des Flugplatzes. Ich buche gleich ein Doppelzimmer für drei Nächte, da mein Flug ja erst in drei Tagen geht. Christoph bleibt auch noch zwei Nächte, bevor er sich auf den langen Weg zurück nach Deutschland macht. Es hat nur noch wenige Leute in Honningsvåg und auch hier in der Herberge. Als wir vom einkaufen zurückkommen und uns in der Gemeinschaftsküche breit machen, fragt uns ein Franzose, wieviele den noch von uns kommen ? Christoph und ich schauen uns an “ Keiner ! “ Als wir unsere gefüllten Tüten ansehen, wissen wir auch vorauf sich die Frage bezogen hat…..Irrsinn!! An diesem Abend wird es ein (Fr)essgelage geben, wie ich es noch nie gesehen habe. Die polnische Herbergsmutter hat uns sogar Alkohol in der Küche erlaubt, da keine Kinder im Haus sind. Die Handvoll Gäste in der Küche bringen kaum noch ihre Münder zu als sie das Gelage sehen, wofür wir uns aber auch herzlich entschuldigen. Sabine, eine junge Frau welche mit dem Fahrrad von Münster bis ans Nordkap fährt, kann kaum glauben was sie da sieht. Ich allerdings auch nicht, wie man mit einem Fahrrad so weit fahren kann, ich bekomme ja nach fünf Kilometer schon erhebliche Beschwerden an meinem Hin… !

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Nordkap Vandrerhjem / Honningsvåg

Sabine hat ihr Ziel mit dem Fahrrad am folgenden Tag noch vor sich, während Christoph und ich es schon hinter uns haben. Aber irgendwie geht es mir noch nicht in den Kopf, dass es nun vorbei ist.

Am nächsten Tag, nehme ich mir Zeit Honningsvåg etwas anzuschauen. Ich laufe und laufe und laufe, völlig planlos durch das Städtchen.

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Ein einsamer Wanderer auf dem Pier (Webcam )

Selbst auf den Webcams von Honningsvåg ist meine Lauferei sichtbar. Sabine ist nicht mehr zurückgekehrt und hat wohl wie geplant am Kap campiert. So sind wir nun praktisch alleine in der Herberge quasseln bis tief in die Nacht hinein.

Am nächsten Morgen essen wir nochmals Frühstück zusammen, bevor wir uns verabschieden. Christoph wir per Anhalter zurückfahren und unterwegs noch einen längeren Aufenthalt in Norwegen einlegen.

Vielen herzlichen Dank für die tolle Zeit unterwegs Christoph, hat echt Spass gemacht !

Ich werde den wunderschönen Tag noch einmal nutzen, um Richtung Ostkap der Insel zu laufen. Ich kann mich nicht stillhalten und muss mich unbedingt bewegen, der Rhythmus ist definitiv noch nicht gebrochen. Nachdem ich den Ruhetag auch damit verbracht habe, all die unglaublich vielen Glückwünsche zu beantworten, welche über SMS, Mail und den Reiseblog hereinkamen ( waren wohl um die 350 in wenigen Stunden ), ist heute wieder Sendepause. Mit dem kleinen Rucksack, etwas zu essen und trinken, scheint es wie wenn ich fliegen würde. Unglaublich wie leicht man sich nach zwei Monaten, ohne die fünfundzwanzig Kilo am Rücken, fühlt. Mein Weg führt mich bis zum Laukvikfjellet, wo ich den höchsten Punkt der Insel besteige und einfach die unglaubliche Szenerie geniesse !

Am späten Nachmittag und rund fünfunddreissig Kilometer kehre ich wieder zurück in meine Herberge. Der Tag hat wahre Wunder gewirkt und ich bin unendlich dankbar, diesen noch so fantastisch erlebt zu haben. Ein Tag der Verarbeitung, des Realisierens, des Akzeptierens und der Erinnerung an ein fantastisches Abenteuer. Ich bin bereit um nach Hause zu gehen, ja ich freue mich sehr darauf und der schnelle Weg mit dem Flugzeug, geht nun auch in Ordnung für mich.

Doch als ich die letzten Meter den Hügel runter zur Herberge laufe, bleibe ich stehen. Ich habe irgendwie Angst in dieses leere, grosse Haus zu gehen. Es ist Sonntag und die letzten Gäste sind sicher alle weg, Christoph hat sich auch schon gemeldet, er ist schon über Alta hinaus. Ein unheimliches Gefühl der Einsammkeit überrennt mich. Kaum zu glauben, nachdem ich nun viele Wochen immer wieder problemlos alleine unterwegs war. Und irgendwie hoffe ich in die Herberge zu kommen und zumindest das Fahrrad steht vielleicht wieder im Flur. Doch Sabine ist sicher schon weiter und ich werde wohl den Abend irgendwie alleine verbringen müssen. Ich gehe an der Rezeption vorbei und alles ist still, doch………tatsächlich, ich könnte schreien vor lauter Freude, das Fahrrad steht wirklich hier!

Sabine hatte eine unglaublich stürmische Nacht am Kap und ist nun in die Herberge zurückgekommen, bevor sie morgen weiterfährt. Ein gemütliches Nachtessen in Honningsvåg und viele Stunden erzählen und reden, machen diesen Abend für mich perfekt. Die gute Frau hat mich wohl gerade vor einem kompletten Fall in ein tiefes, schwarzes Loch gerettet und es wird mir wieder einmal bewusst, dass solch eine Tour nicht nur aus planen und laufen besteht.

Ein riesiges und herzliches Dankeschön an Dich, Sabine !

Sehr früh am Morgen muss ich los, um den Flugplatz zu erreichen. Die Herberge liegt gut zwanzig Minuten zu Fuss entfernt, so ist dies kaum ein Problem.

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Honningsvåg Lufthavn

Es ist noch nicht mal 6:30 als ich als Erster durch die Türe komme, eine Stunde zu früh. Zwei Flugplatzangestellte und eine Polizistin begrüssen mich freundlich und teilen mir gleich mit, dass der Flug über Hammerfest – Tromsø nach Oslo etwa fünfzehn Minuten Verspätung hat. Kein Problem für mich, den der Anschluss in Oslo ist erst vier Stunden später. Die Polizistin fragt mich nun ganz freundlich, ob ich etwas dagegen hätte, dass ich etwas genauer kontrolliert werden dürfte. Einmal pro Woche sei dies bei einem Passagier vorgeschrieben und ich sei ja schon so früh da…… “ Wie bitte ? “ Habe ich dass jetzt gerade richtig gehört ? Die fragt mich ob ich will ? Ich schüttle ungläubig den Kopf und muss ein Lachen verbergen. „Natürlich, kontrolliert so viel ihr wollt, aber ich warne euch, der Inhalt des Rucksackes ist etwas speziell ! “ Ich erzähle kurz meine Geschichte und habe sofort das Interesse aller geweckt. Sie bedanken sich für meine Koorperation und ich darf in einem Büro nebenan Platz nehmen. Während mir einer eine grosse Tasse Kaffee  und ein Gebäck dazu bringt, fragt mich die Polizistin über meine Ausrüstung aus. Sie ist selber einen begeisterte Wanderin.

Das Flugzeug ist mittlerweile gelandet und der Rucksack wieder perfekt gepackt. Ich will ihn ergreifen, doch einer nimmt ihn zu sich und bringt ihn gleich zum Flugzeug raus und verlädt ihn im Flugzeug. Ich stehe nur noch baff da und bedanke mich ganz herzlich für den Kaffee und die nette Bedienung. Und so steige ich die Gangway hinauf in den Flieger, drehe mich nochmals um und muss lachen………… typisch Norwegen !