Nachwort zu Norge på Langs 13/15
Nun haben also auch mit dem letzten Teil der Reiseberichte, die Erzählungen ein Ende gefunden. Ist es notwendig nach der Tour ein Fazit zu ziehen oder eine Bewertung abzugeben meinerseits ? Mit Sicherheit braucht es dies nicht und doch bleiben enorm viele Gedanken im freien Raum stehen. Seit der Grundidee dieser Wanderung, damals 2009 am Kap Lindesnes, als ich bei diesem Wegweiser stand und mich fragte, ob dies überhaupt möglich sei, sind mittlerweile ganze vierzehn Jahre ins Land gezogen. Vierzehn Jahre in denen ich unheimlich viel Zeit hatte, mich mit der Tour Norge på langs zu befassen und auch mit Menschen, welche sich in ihrem Leben auf solch eine Tour aufmachten. Ich habe Menschen kennengelernt welche gepilgert sind, in Amerika den Appalachian Trail oder sogar den Pacific Crest Trail oder sogar das Triple mit dem CDT gegangen sind. Menschen welche durch Neuseeland gelaufen sind, oder sogar einer welcher in Anspruch nehmen kann, praktisch die ganze Welt zu Fuss umrundet zu haben. Und ich habe viele Menschen kennengelernt, welche sich Norge på langs verschrieben haben. Für mich war immer wieder sehr erstaunlich, das gerade die NPL Läufer/innen diese unbeschreibliche Faszination für ihre Tour versprüht haben. Nirgends war das in Gesprächen oder Brief/Mailverkehr so deutlich zu spüren wie beim Thema Norge på langs. Ich habe dies zu Beginn mit der Tatsache abgetan, dass ich selbst auf dieser Tour war und die Gegebenheiten bestens kenne. Doch diese Erklärung war mir in den vergangenen Monaten viel zu einfach, viel zu offensichtlich, viel zu banal. Ich intensivierte den Kontakt zu jenen Menschen und begann zwischen den Zeilen zu lesen, ich hörte tiefer in mich hinein um zu begreifen, was für einen Mystik hinter dieser Wanderung wohl stecken mag. Eine einzige Antwort darauf fand ich bis heute nicht, bloss Anhaltspunkte welche mir die Faszination besser zu verstehen gaben und die Tour noch einmal viel näher brachten.
Mit Sicherheit ist Norge på langs einsamer als viele andere Touren. Zwischen zwei bis drei Dutzend Menschen begeben sich bis Dato im Jahr auf die Tour. Die Tatsache dass sich jeder die Tour zurechtlegen kann wie er will, dass es keine feste Strukturen oder sogar vorgegebene Wege gibt, verleiht dem Ganzen eine nicht zu verachtende Ungewissheit. Die geographische Lage von Norge på langs ist mit Sicherheit ein einzigartiger Punkt, befindet sich doch der südliche Startpunkt in Lindesnes auf Höhe von Schottland und der nördlichste Punkt am Nordkap auf einer Linie mit Nord Grönland oder Nord Sibirien. Und, Norge på langs ist bis heute kaum kommerziell in Erscheinung getreten….bis jetzt ! Genau dieser Punkt hat mich die letzten Monate enorm in Anspruch genommen. In meinem ganzen Leben habe ich jegliche Formen von Kommerz bei solchen Vorhaben immer abgelehnt. Das ganze Leben ist mittlerweile ein riesiger Kommerz Komplex geworden, aus dem immer mehr Menschen auszubrechen versuchen, vielleicht gerade mit solch einer Fernwanderung und treffen hier meist wieder auf die gleichen Konstrukte und Verhaltensweisen. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr stellte ich fest, dass ich mit meinem Blog, meiner Öffentlichkeitsarbeit selbst auf einer ungeheuren Gratwanderung war. War vor 2013 in keiner Internet Suchmaschine ein deutscher Text zu Norge på langs zu finden, kaum ein deutschsprachiger Mensch auf Norge på langs unterwegs, so hat sich dies nun deutlich geändert. Die beiden Blogs, der von mir (www.norgepalangs2013.com) und jenem von Simon Michalowicz (www.simonpatur.de), gehören heute zu den grössten dieser Art in deutscher Sprache. Über 400`000 mal wurde mein Blog seit der Aufschaltung 2012 angeklickt, über 1000 Follower lassen sich über alle neuen Beiträge informieren. Zahlen welche zum einen irgendwie stolz machen und zum andern auch einen grossen Respekt auslösen. Fast täglich erhalte ich Anfragen betreffs Tourplanung und Tips um eine solche Tour zu bewältigen. Norge på langs erhält auch massiven Zuwachs an deutschsprachigen Läufern in den nächsten Jahren. Selbst Odd Vinje, der Urheber der Norge på langs Liste ( http://norgepaalangs.info/ ) ist dies aufgefallen. Könnte in den nächsten Jahren, Norge på langs vielleicht das selbe Schicksal ereilen wie ein Appalachian Trail, der jährlich mittlerweile tausende Läufer anzieht oder sogar der PCT welcher heutzutage immer öfter begangen wird ? Kann der Weg überlaufen werden wie die vielen Pilgerwege ? Und, hat den nicht jeder das recht es auch zu tun ? Ich glaube nicht das Norge på langs in die gleichen Sphären aufsteigen wird wie die populären Fernwanderwege auf dieser Welt, ganz einfach weil er zu wenig Zentral in der Welt liegt und keine Strukturen aufweist. Und natürlich hat jeder das Recht dies auszuprobieren, sich zu wagen, sich aufzumachen um eine „neue“ Welt zu entdecken, wenn er denn Respekt, Ehrfrucht und eine Demuth an den Tag legt, dies auch wertzuschätzen.
Es gab Momente, wo ich diesen Sommer kurz davor war meinen Blog abzuschalten und meine „Arbeiten“ einzustellen. Wollte ich wirklich dazu beitragen, dass dieser wunderbare Weg, diese einzigartige Idee ihre Mystik verliert ? Ich lebe mit der Schweiz in einem Land, in welchem immer mehr irgendwelche Touristiker vorgaukeln, dass der kommerzielle Erfolg nur noch mit irgendwelchen blödsinnigen Rampen an Felswänden, waghalsigen Brückenkonstruktionen über alle möglichen Schluchten oder Kunstinszenierungen in entlegensten Tälern zu retten sei. Keiner jener Profis nimmt wahr, dass es mittlerweile immer mehr Menschen gibt, die horrende Hotelpreise bezahlen um an einem Ort zu verweilen, an welchem kein Handyempfang herrscht (scheint irgendwie im Wissenstand verloren gegangen zu sein, dass die Dinger einen On/Off Schalter haben ), Menschen sich immer häufiger an Orte begeben, an welchen noch Ruhe und Stille vorherrschen. Jede Aktivität soll seinen Platz und Berechtigung haben, doch müssen all jene besonders geschützt werden, welche mit der kommerziellen Ausbeutung keine Überlebenschance haben werden. Norwegen weist heute eines der strengsten Umwelt- und Naturgesetze auf, doch auch hier trifft man immer mehr auf äusserst fragwürdige Konzepte, wie Musik Open Airs oder Filmfestivals in einsamen Fjells ( wo man sich dann Outdoor-Filme über das Fjell ansieht ) oder wo sich dann tausende Wandervögel über die Füsse stolpern, im Namen des Friluftsliv. Natürlich alles bestens finanziert und organisiert von einer Outdoor Industrie, die sich immer wieder penetrant auf die Fahne schreibt, den Menschen das natürliche und einfache näher zu bringen ( ein Schelm wer anderes denkt ).
Nein, ich bin heute mehr den je dazu bereit, all meine Worte, meinen Blog und meine Sprache dafür einzusetzen, dass auch Norge på langs den überaus nötigen Respekt bekommt. Ich sehe es heute als meine Aufgabe, Menschen Freude mit den Vorträgen über diese Reise, den Reiseberichten in meinem Blog oder ganz einfach in Gesprächen zu bereiten. Ich sehe es aber auch als Pflicht, den Menschen nahezulegen und davon zu überzeugen, dass es auch sehr viel Respekt und Ehrfurcht vor sich selbst braucht, um eine solche Tour zu machen. Die 2700 Kilometer zu laufen ist eine physische Aufgabe, die die meisten Menschen schaffen werden. Doch nur schon an der Entscheidung es wirklich zu tun, scheitern rund fünfundneunzig Prozent aller Interessierten. Auch die bewältigte Tour dann nachzuarbeiten, hinterlässt bei vielen Menschen grosse Spuren und ist manchmal weit intensiver als jede Bachüberquerung.
Auch bei mir hat Norge på langs grosse Spuren hinterlassen. Auf die meist gestellte Frage, ob ich denn ein anderer Mensch geworden sei nach der Tour, habe ich immer sehr pragmatisch geantwortet….. wer es gehofft hat, hat Pech gehabt! Ich glaube nicht, dass man ein anderer Mensch wird, doch der Blick auf das Leben kann sich enorm verändern. Kleine Sachen werden plötzlich immens wichtig, bisher grosse Sachen und Sorgen werden plötzlich nichtig und klein. Dem Umfeld wird nach einer solchen Tour einiges abverlangt und ich glaube es ist wichtig, sich auch damit zu befassen. Von Kindesbeinen an in den Bergen aufgewachsen, in einer der schönsten Ecken dieser Welt, habe ich früh gelernt, dem Menschen und vor allem der Natur den Respekt, Ehrfurcht und Demuth zu erweisen die sie verdient haben. Doch Norge på langs hat mir sehr deutlich aufgezeigt dass da noch mehr geht, dass es sich lohnt, jeden Tag daran zu arbeiten und von neuem zu lernen, was es bedeutet einen Platz auf dieser wunderbaren Welt zu haben. Das eindrücklichste Erlebniss meiner ganzen Tour, prägt sich je länger je mehr in meinen Kopf….
Es war im Narvikfjell, als ich etwas abseits des DNT Weges auf den siebzig jährigen Biologen Røar aus Trondheim traf. Er war gerade dabei verschiedene Flechten und Moose zu fotografieren, sie zu katalogisieren und Proben zu nehmen. Wir sprachen bei einer Tasse Kaffee, die er mir anbot, über meine Tour, die Natur und das Leben. Selten hat mich ein Mensch wie Røar so fasziniert, wie er erzählte, wie er banalste Sachen zu enorm wichtigen Inhalten machte. Wir standen auf und er nahm mich mit, auf ein mit Flechten bewachsenes Grundstück. Er zog mich wieder fort, zeigte auf meine Spuren und sprach mit nachdenklicher, leiser Stimme „wenn Du die Möglichkeit hättest, in hundert oder zweihundert Jahren hier wieder dazustehen, würdest Du Deine Fussabdrücke wahrscheinlich immer noch erkennen. Erst wenn die Menschen lernen und verstehen werden, dass die Erde nicht ein Gebrauchsgegenstand ist, sondern die Grundlage ihres Lebens, werden sich diese Flechten es sich leisten können so sensibel zu sein. “ Er sah mich an, lächelte über mein nachdenkliches Staunen und sagte „ich glaube Du hast es verstanden“.
Ich wünsche allen eine “ God tur „
Martin Kettler
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