Teil 7/15 : Schweden ich komme (2.Teil)
Wenn es etwas gibt, an dem man erkennt in Schweden zu laufen, dann sind das kilometerlange Holzplankenwege. Praktisch jede Pfütze wird mit Brettern überbrückt und so läuft man manchmal mehr auf Holz als auf Erde.

Blick zurück ins Stáddájåkkå Tal

Kilometerlange Bretterstiegen
Unglaubliche Bretterkonstruktionen begleiten mich die nächsten Stunden um den Stuor Dijder Berg herum. Der Blick hinunter auf den riesigen Virihaure verschlägt mir fast den Atem, einfach gewaltig!

Virihaure
Mittlerweile hat es toll Gegenverkehr gegeben und immer wieder kommen mir Tageswanderer aus Arasluokta entgegen. Doch ich habe nur Augen für diese wunderschöne Landschaft hier. Als ich auf dem höchsten Punkt des Stuor Dijder stehe, drehe ich mich um und erblicke eine rabenschwarze Wolkenwand. Noch bevor ich reagieren kann, werde ich aus vollen Kannen geduscht, wie alle die hier gerade unterwegs sind. In der Ferne kann ich schon Arasluokta erkennen, doch trocken werde ich da sicher nicht mehr ankommen.

Arasluokta am Seeende des Virihaure
Triefend nass komme ich in Arasluokta an. In der Touristen Siedlung schaue ich nach einer leeren Hütte welche man sich einfach auswählen und beziehen kann. Ich finde eine vierer Hütte für mich alleine und staune dass es da sogar eine kleine Trockenkammer gibt. Noch während ich mich gemütlich einniste, sehe ich auch, dass ich doch nicht ganz alleine bin hier. Mücken !!! In der Hütte nur ein paar, doch draussen ist es rabenschwarz von diesen Stechbiestern. Das müssen nun die typischen Padjelanta Viecher sein, vor denen immer und überall gewarnt wird.
Um 17.00 kommt einen kleine Sami Frau ans Servicehaus und öffnet dort einen kleinen Kiosk. Ich bin doch etwas positiv überrascht was da alles im Angebot ist.

Frisches Sami Brot mit Øl ( Bier )
Ein bischen frisches Samibrot, getrocknetes Rentierfleisch und zwei Dosen Bier und das Abendessen ist gecheckt! ( Okay, die 2 Tafeln Schokolade danach nicht mitgezählt ). Die Hütten sind alle besetzt und gefüllt, doch ich habe Glück und bleibe vor Schnarchüberraschungen verschont. Die Nacht wird trotz ein paar schwarzen Fliegern relativ ruhig und am Morgen ist auch alles wieder trocken. Doch die Sicht aus dem Fenster ist immer noch mehr als trüb……..

Norgi in Arasluokta
Norgis trüber Blick nach draussen, lässt mich noch etwas länger in der Penntüte verbleiben. Ich habe es ja eh nicht eilig, denn meine Tagesetappe wird relativ kurz bis hinüber nach Låddejåkkå, einer weiteren kleinen Samisiedlung. C.a. zwölf Kilometer trennen mich von der nächsten Station. Doch allzu lange bleibe ich nicht mehr und mache mich schon bald auf den Weg.
Nahe an der Siedlung von Arasluokta ist die Hubschrauber Basis von Fiskflyg. Ein Long Ranger Hubschrauber steht dort und davor läuft ein junger Pilot seine Runden um das Helipad. Ich gehe zu ihm und frage ihn, ob er schon Touristen eingeflogen hat heute. Er lächelt und schüttelt den Kopf über die Leute. Sie kamen hier an und wollten ein Sightseeing in der Siedlung und dann gleich wieder zurück. Naja, für die jungen Piloten zählen vorallem die Stunden die sie fliegen können. Die meisten haben gerade ihre Ausbildung gemacht und bauen nun ihre Stundenerfahrung auf, um danach vielleicht Off Shore auf einer Ölplattform fliegen gehen zu können. Wir fachsimpeln noch etwas über die Fliegerei hier im Norden und schlussendlich gehe ich meinen Weg weiter.

Brücke über den Mielädno Fluss
Über die grosse Rengärde Brücke geht es hinauf in den Nebel des nächsten Buckels. Die Stimmung ist sehr mystisch und im Nieselregen des Nebels kommt eine ungeheure Stille auf. Leute sind noch keine unterwegs und so stapfe ich alleine, vorbei an urtümlichen Gesteinsformationen auf dem Pårka Boarka Plateau….

Pårka Boarka
….hinunter zu den Låddejåkkå Hütten.

Låddejåkkå
Bevor ich zu den Hütten komme, treffe ich ein Päärchen aus dem Schwarzwald, welche hier in der Nähe campiert haben und den frisch geräucherten Fisch aus der Siedlung wärmstens empfehlen. Passt…… Die Mittagszeit ist Nahe !
Über die Hängebrücke, welche über den Låddejåkkå Bach geht, führt der Weg zu den Hütten. Entlang dieses Baches ostwärts, erreicht man das Guohpervågge Tal. Dieses ist ein beliebtes Einfallstor zum Sarek National Park.
Die Hüttenwartin ist gerade daran frische Braunforellen zu räuchern und freut sich sehr, schon mal den ersten abgeben zu können.

Virihaure Braunforelle…….extrem lecker!
Nachdem ich den köstlichen Fisch verzehrt habe, scheint auch die Sonne langsam Lust zu kriegen ihre Arbeit aufzunehmen. Die Wolken verziehen sich langsam und meine Motivation, noch ein paar Kilometerchen abzureissen erwacht nach diesem Mahl ebenfalls. Ein kurzer Blick auf die Karte zeigt, dass es noch c.a. neunzehn Kilometer bis zur Kutjaure Hütte des STF sind. Der Weg führt hier hinter der Hütte steil den Berg hinauf und um den Loadásj herum, fällt dann wieder ab und ist dann ziemlich eben bis nach Kutjaure.
Da es erst Mittagszeit ist, packe ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg. Der Blick unterhalb des Loadásj auf den Vastejaure See ist absolut phänomenal !

Vastenjaure

Vastenjaure
Begleitet von hunderten Rentieren führt der Weg gemächlich unter der Bergkuppe entlang. An einem Bachlauf welcher viel Wasser führt, sehe ich eine verzweifelte, junge Frau, welche sich mit ihren leichten Trekkern, den Hotpants und dem knappen T-Shirt sichtlich unwohl fühlt. Oje, denk ich, das kann ja heiter werden, da nützt es jetzt auch nichts hübsch zu sein. Ich rufe ihr zu, hier nicht über den Bach zu gehen, sie solle mir dem Bach entlang folgen, denn weiter oben sieht es nach einer Schneebrücke aus. Und prompt führt zweihundert Meter oberhalb des Bachs eine stabile Schneebrücke über das Fliessgewässer. Sie tänzelt rüber, fällt mir um den Hals und drückt mir einen dicken Kuss auf mein Gestrüpp ums Kinn, lächelt und weg ist sie……. Ziemlich konsterniert bleibe ich noch zwei, drei Minuten stehen und muss dann auch herzhaft lachen. Ist schon unglaublich was man hier so erleben kann auf Norge på langs.

Gievgessuoloj Sami Camp
Die Sami Camps entlang des Padjelantaleden befinden sich alle am Wasser, oder sogar im Wasser so wie Gievgessuoloj. Vom Weg aus sieht man im gleichmässigen Abstand deren drei Camps.
Die Sami
Die Sami sind für die Touristen oft ein Buch mit sieben Siegeln. Zum einen sind es sehr schalkhafte und fröhliche Menschen, zum anderen erlebt man eine grosse Distanz zwischen den Kulturen. Skepsis oder sogar eine gewisse Gleichgültigkeit der Sami Bevölkerung wird oft als Arroganz ausgelegt. Mein Kontakt zu der einheimischen Sami Bevölkerung reduziert sich auf wenige aber sehr herzliche Begegnungen. Doch gab es auch die enttäuschenden Kontakte, gerade mit den jungen Männern, welche oft auch aus einer gewissen Frustration oder Perspektivlosigkeit ihren Unmut, an den zum Teil wirklich respektslosen Touristen auslassen. Sami Camps sollten von Touristen umgangen werden und nur da betreten werden, wo dies auch, z.B. durch Lebenesmittelverkauf, erwünscht wird. Es sollte also auch eine Selbstverständlickeit für die Gäste sein, eine gewisse Distanz zu wahren. Auch wir würden es nicht schätzen, wenn plötzlich Touristen mit Kameras im Wohnzimmer und Garten rumlaufen würden! Die Kultur und das Leben der Sami und ihren Rentierherden ist überaus spannend und interessant. Und genau hier bietet das UNESCO Welterbe Laponia einen hervorragenden Einblick in diese Welt.
Der Weg führt nun langsam wieder hinunter. Es ist das Tal des Vuojatädno Fluss welcher hier die ganze Landschaft prägt. Schon von weitem sieht man eine der grossen Attraktionen dieser Gegend, es sind die drei grossen Hängebrücken über den Fluss.

Vuojatädno Tal
Schon die Konstellation der drei naheliegenden Hängebrücken erlaubt ein Staunen. Die grösste der drei Brücken, die Sáluhávrre Brücke ( 100 Meter ), ist wirklich ein erstaunliches Konstrukt. Gefolgt durch die zweite Sáluhávrre Brücke ( 21 Meter ) , welche zu diesem Zeitpunkt gerade erneuert wird, und der letzten Brücke, die Várggá ( 63 Meter ). Die beiden grössten Brücken sind auch für Schneemobile konzipiert worden.
Mein Weg führt nun über die Brücken nach Kutjaure, während der andere Weg zur Gisuris und der STF Hütte Akka weiterführt.

Weggabelung Sáluhávrre
Ich staune nicht schlecht, als sich nach der Brückenüberquerung ein endloses Band an Holzplanken zeigt. Da ist doch tatsächlich ein sechs Kilometer langer Holzbohlenweg, welcher mich in „Null Komma Plötzlich“ nach Kutjaure bringt!

Plankenweg nach Kutjaure
Je näher ich Kutjaure komme, umso schöner wird das Wetter…..
Und da steht sie plötzlich vor mir……… die Muttergöttin der Sami, der Berg Áhkká

Áhkká, Muttergöttin der Sami
Ich bin schlicht überwältigt von dem Berg und er lässt mich eine gewisse Zeit vor Ehrfurcht stehen bleiben. Auch wenn ein kleines Häubchen über den Gipfeln liegt, freue ich mich riesig das 2015 hohe Massiv zu erblicken. Immer wieder rechts zum Berg hinschauend, stiebe ich über den super Weg und komme schon nach knapp über einer Stunde in Kutjaure an. Doch vor der Hütte liegt noch der Guvtjávrre Bach und seine kleine Hängbrücke….

Kutjaure STF
Schon von weitem sehe ich den Hüttenwart der schwedischen STF Hütte Kutjaure auf der Treppe sitzen. Überaus freundlich werde ich von dem älteren Herr empfangen und es scheint ihn sichtlich zu freuen, dass wieder mal jemand den Weg zu ihm gefunden hat und nicht über den meist gegangenen Weg nach Gisuris. Er zeigt mir die Hütte und mein Bett, brüht mir einen frischen Kaffee auf und stellt mich auch gerade noch den paar anwesenden Touristen vor. Auf die Frage von ihm, wo ich den herkomme und wohin ich gehe, antworte ich mit meiner Standartantwort betreffs Norge på langs. Der gute Mann scheint fast in Ohnmacht zu kippen und die anderen bringen ihre Münder kaum mehr zu. Es scheint eine Weile zu dauern, bis alle gerafft haben um was es bei der Wanderung geht. Ich kann mir ein Lächeln über die Situation nun auch nicht mehr verkneiffen, denn für mich ist ja das Ganze schon zum Alltag geworden.
Wenn es Zufälle wirklich geben soll, dann muss das wohl einer sein. Als ich am Abend mit dem Hüttenwart im Gespräch bin, stellt sich bald heraus, dass er seit dreissig Jahren in die Schweiz zum wandern geht. Dies immer in die gleiche Ferienwohnung und die steht gerade mal gute fünfzehn Kilometer von meinem Zuhause weg! Es ist ein absolut unterhaltsamer Abend in Kutjaure, …..trotz den Unmengen an Mücken! Nicht zu vergessen, Kutjaure hat eine grosse, natürlich Dusche ( Sehrkaltwasser ) hinter dem Haus, die ein wahrer Genuss ist und jeglichen Abstecher dorthin empfiehlt.

Kutjaures Privatdusche
Ich habe mit Absicht den Weg über Kutjaure genommen, um dem Trubel auf der Alternativstrecke etwas zu entkommen. Die meisten Touristen welche von Ritsem die Fähre über den Akkajaure nehmen, werden an der STF in Akka aussteigen und den Weg über Gisuris nach Staloluokta gehen.
Nach einem guten Frühstück will ich früh genug von Kutjaure abgehen, damit ich in Vaisaluokta die Fähre nach Ritsem erwische. Die vierzehn Kilometer nach Vaisaluokta führen zuerst über eine Hochebene und danach einige Kilometer an der grossen Sami Siedlung Vaisaluokta vorbei. Ich danke Kurt dem Stugvärd ganz herzlich für seine sehr freundliche Aufnahme und ziehe dann im Angesicht des Áhkká los. ( Nichtsahnend dass diese Hütte wohl 2017 noch eine gewichtige Rolle spielen wird. Mehr dazu demnächst auf diesem Blog 😉 )

Áhkká, im Vordergrund der Kutjaure See

Eine Sommerbrücke, welche am Vortag erst montiert wurde.
Als ich auf der Hochebene ankomme, vernehme ich von hinten plötzlich ein Rotorknattern. Im Tiefflug schiesst ein Long Ranger über mich, dreht eine Runde und wackelt mit der Nase, bevor er weiter Richtung Arasluokta fliegt. Ich kann mir gut denken wer da am Steuerknüppel sitzt ( das morgendliche Gespräch in Arasluokta ).

Morgengruss vom Himmel
Als ich an die Kante der Hochebene komme, meldet sich nach einer Woche auch mein Handy wieder. Viele Nachrichten via SMS und Messenger erreichen mich hier in der Abgeschiedenheit. Und trotzdem scheint die Zivilisation doch wieder näher zu kommen. Nur weiss ich im Moment nicht genau ob ich mich freuen soll oder nicht ? Es ist aber auch ein schönes Gefühl, mal wieder Kontakt mit Zuhause zu haben, eine Stimme zu hören die vertraut ist. In der Schweiz herrscht seit Wochen eine absolute Hitzwelle mit Temperaturen weit über dreissig Grad. Hier pendeln sich die Temperaturen so zwischen zwölf und fünfzehn Grad ein. Für mich absolut kein Zweifel wo ich lieber sein möchte im Moment. Ich kann Temperaturen über fünfundzwanzig Grad nicht gut ertragen und leide oft auch darunter, daher fühle ich mich hier absolut pudelwohl. Øyvind ist mittlerweile nur noch vier Tage vor mir und befindet sich auf dem Kungsleden Richtung Abisko. Dort wird er wieder einzig unterwegs sein und dann wieder sein hohes Tempo angehen. Der Kontakt zu ihm ist mittlerweile zum Ritual geworden und ich schätze dies sehr.

Akkajaure
Der Blick auf den Akkajaure See ist überwältigend. Am Horizont ist auch Ritsem erkennbar. Einmal mehr geht für mich ein weiteres, wichtiges Etappenziel zu Ende. Die Tour läuft optimal ab und selbst der „winterliche“ Anfang liegt in guter Erinnerung zurück. Nun bin ich genau einen Monat unterwegs, bin gesund, top motiviert und mit dem Wetter habe ich mehr als Glück. Auch und gerade wegen dem guten Wetter, habe ich einen ordentlichen Vorsprung auf meine Zeittabelle erreicht. Sechs Tage bin ich voraus und dies trotz den eingelegten Ruhetagen welche eigentlich so gar nicht geplant waren. Ritsem wird allerdings kein Ruhetag beinhalten, da dort wohl die Hölle los sein wird. Ritsem beherbergt eine grosse STF Herberge mit Laden und Restaurant. Duschen, waschen, Proviantnachschub, Blog nachführen, Nachrichten beantworten und viel essen ist angesagt.

Akkajaure
Vorbei an den vielen Häusern von Vaisaluokta und einer Sami Kirche, geht es zur Fähranlegestelle an der STF Hütte von Vaisaluokta.
Viel zu früh erreiche ich die STF Hütte, das Boot geht erst in vier Stunden. Doch ich mache es mir gemütlich an der Hütte, bekomme frischen Kaffee vom Hüttenwartspaar und erfahre dort wohl die erstaunlichste Geschichte, die ich auf meiner Norge på langs Tour je hören werde. Der Hüttenwart ist selber ein Sami und in Vaisaluokta aufgewachsen, er beginnt zu erzählen……….
„Es ist eine Geschichte, die die wenigsten kennen und viele Behörden und selbst die Regierung nicht gerne darüber sprechen. Der Akkajaure ist ein Stausee welcher in den 20er Jahren trotz heftigem Widerstand der Samis gebaut wurde. Das Tal, das nun vom Wasser geflutet ist, war eines der ertragsreichsten Täler überhaupt. Nirgends fand man mehr Humus um Gemüse und sogar Früchte anzubauen. Die Rentiere konnten sorglos gehalten und sogar überwintert werden. Doch die Elektrizität machte auch in Schweden keinen Halt und es brauchte Ressourcen um diese herzustellen. Man entschädigte die Sami damit, ihre Dörfer weiter oben am Hang wieder aufzubauen und lockte mit wertvollem Fischfang im Stausee. Die Dörfer wurden gezügelt, der See entstand. Nach dem zweiten Weltkrieg war Elektrizität gefragter wie nie zuvor. Man entschloss sich, den See zu vergrössern und die Dammkrone aufzustocken. Dies bedeutete abermals einen Umzug der Dörfer auf ein höheres Niveau. Die ganze Arbeit zweier Jahrzehnte, den Boden wieder fruchtbar zu machen, wurde innerhalb zweier Jahren zerstört. Der Protest wurde immer grösser, doch selbst die Regierung gab den Segen dazu. Die sechziger Jahre kamen und ein neues Konsortium übernahm den Stausee mit dem Ziel, noch einmal aufzustocken. Ohne grosse Diskussion mit den Samis, wurde der Damm in einer Nacht und Nebel Aktion aufgestockt und die Siedlungen geflutet. Wieder mussten die Einheimischen eine Etage höher ziehen und der Kontakt zur Aussenwelt brach mittlerweile praktisch ab. Es gab Anschläge auf Jäger und Fischer und selbst Kraftwerksmitarbeiter wurden bedroht. Eine deutliche Zweiteilung der Landschaft entstand. Auf der Südseite des Sees waren die Siedlungen der Samis und auf der Nordseite waren jene der Kraftwerksmitarbeiter. Nordseitig wurden Strassen gebaut, Elektrizität nahm überhand und Infrastruktur entstand am laufenden Meter. Südseitig war die Welt in der Jahrhundertwende stehengeblieben. Der von den Kraftwerken versprochene Stromanschluss und die Strassen wurden nicht erstellt. ( Bis heute besitzt Vaisaluokta keine Steckdose !! ) Doch die Kraftwerksbesitzer hatten beim letzten aufstocken einen peinlichen und dummen Fehler begangen. Sie hatten den Damm zwar erhöht, jedoch nicht verstärkt! Der Damm war also nicht sicher und musste nachträglich verstärkt werden. In den achtziger Jahren wurde der See nun bis auf den Grund abgelassen um den Damm neu aufzubauen. Da im See kaum Sedimente oder Schlick vorhanden war, kamen die alten Siedlungen wieder zum Vorschein und machten den Eindruck, erst vor kurzem verlassen worden zu sein. Da schon wieder Gerüchte um einen Mauererhöhung die Runde machten, liessen sich die Samis nun auf Taten statt auf Worte ein. Kurzerhand packten sie enorme Mengen an Holz auf Karren und fuhren an den Seegrund hinunter und begannen, ihre gefluteten Häuser notdürftig aufzubauen. Dies nicht etwa aus dem Plan, wieder dort anzusiedeln, für das war der Grund und Boden zu zerstört, sondern um die schwedische Bevölkerung auf das Drama aufmerksam zu machen. Und, die Aktion tat seine Wirkung. Selbst das Königshaus, setzte nun ein deutliches Zeichen an die Kraftwerksverantwortlichen, dieses Projekt zu renovieren aber nicht auszubauen. Viele Köpfe rollten, auch in der Lokalpolitik, und es wurde schlussendlich ein Mantel des Schweigens über die ganze Affäre gelegt. Die Samis leben heute in Vaisaluokta ein gesichertes Leben, jedoch bis auf weiteres ohne jegliche Anbindung an die sonstige Welt, ausser einer kleinen Fähre, die in den Sommermonaten vor allem für die Touristen, zwischen Vaisaluokta-Akka- und Ritsem verkehrt.
Per, der Hüttenwart, hatte einen Teil dieser ganzen Geschichte selbst miterlebt. Eine gewisse Resignation, sicher auch Ärger spricht in seinen Worten mit, doch er macht die heutigen Betreiber des Damms nicht mehr verantwortlich. Er lebt mit dieser Geschichte und weiss auch selbst, dass er mittlerweile vom See lebt und die Zukunft wohl auch am See hängt.“
Ich bin schlicht gesagt baff und bringe kaum ein Wort über meine Lippen. Eine wirklich unglaubliche Geschichte!
Noch während wir reden, ertönt plötzlich das Schiffshorn der „Storlule“, dem alten Alukahn, welcher im Sommer über den See fährt.

MS Storlule
Auch bei dieser Fährfahrt kommt natürlich wieder die „Norge på langsche“ Frage auf, ginge es nicht auch ohne Bootsfahrt? Natürlich ginge es, und erst noch ganz gut. Auf dem Nordkalottleden ist der See südseitig und nordseitig auf dem Gränseleden begehbar. Dieser Umweg wird aber von den wenigsten begangen, ist halt doch praktisch so ein Boot. Während der Überfahrt schaue ich doch des öfteren auf`s Wasser und denke an Pers Geschichte……. Wahnsinn!!
In Ritsem angekommen, verlasse ich das gut gefüllte Boot ziemlich schnell und haste den Hügel rauf zur STF Herberge. Es ist Hochsaison und die Wahrscheinlichkeit hier noch ein Bett zu kriegen ist eigentlich gleich null, doch zumindest meine Mitanwärter aus dem Boot möchte ich schon mal ausbooten! Vor der Herberge hat sich schon eine lange Schlange vor der Reception gebildet, naja, war wohl nix, aber schauen kann man ja trotzdem. Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich an die Theke und werde auch schon ganz nett von einem Fräulein angelächelt. ??? Hier ist ein Zimmer für einen Schweizer Norge på langs Läufer reserviert! Da hat doch tatsächlich Kurt von der Kutjaure Hütte per Nottelefon in die Herberge angerufen und ein Zimmer für mich reserviert. Wir sprachen am Vorabend noch darüber, ob ich wohl ein Zimmer kriegen werde und er sagte mir, ich solle mir da keine Sorgen machen. Nun weiss ich auch warum! Tusen Takk 🙂
Alles ist bestens, ich kann waschen, duschen, einkaufen und ernte einige skeptische Blicke, als ich mir in der Küche die dritte Fertigpizza in den Ofen schmeisse. Nach einer Überprüfung meines Proviants, stelle ich fest, dass ich weit weniger gebraucht habe als berechnet. Nicht weil ich weniger Hunger hatte, sondern weil ich die Möglichkeit der Zwischenverpflegung an den Sami Hütten nicht einberechnet hatte. So muss ich hier nicht soviel einkaufen und kann dafür mehr Pizzas in mich reinstopfen.
Am nächsten Morgen bin ich aber trotzdem froh, so schnell wie möglich von hier fort zu kommen. Ritsem ist kein Ort wo man Ferien macht. Es ist aber der einzige Ort weit und breit, wo eine Strasse und in der Saison ein Bus in einen anderen Ort fährt, nach Gällivare. Wenn die Fähre Mitte September den Betrieb einstellt, schliesst die Herberge und der Bus fährt auch nicht mehr…… tote Hose !

Áhkká
Der Áhkká liegt am morgen in dichten Wolken und ein eisiger Wind bläst mich den Hügel hoch Richtung der STF Hütte Sitasjaure. Ritsem und Sitas sind mit einer Kraftwerksstrasse verbunden. So kann ich die zweiundzwanzig Kilometer relativ schnell und locker bewältigen. Gerade mal vier Stunden später, sehe ich die STF Hütte Sitasjaure vor mir auf einem Hügel stehen.

Autajaure See

Sitasjaure STF
Auf der Hütte ist niemand ausser dem Hüttenwart. So habe ich die ganze Hütte für mich alleine. Gemütlich sitze ich am Abend mit dem Hüttenwart in der grossen Küche, während draussen der Wind immer mehr am Haus rüttelt. Es soll in der Nacht ein ausgewachsener Sturm kommen. Da werden sich die beiden Camper in ihrem Zelt unweit der Hütte wohl auch darüber freuen, denke ich, und schiebe nochmal ein grosses Stück Holz in den Bollerofen. Der Hüttenwart erzählt mir, dass über hundert Samis oben im Fjell seien um am nächsten Tag die Rentierkälber zu markieren. Ein Grossaufgebot an Menschen, welche mit Quads, Motorrädern und sogar unterstützt von einem Hubschrauber, den Herden nachgehen. Da könnte ja ein grosses Schauspiel auf mich zukommen am nächsten Tag….
Die Nacht war überaus stürmisch und auch am Morgen bläst der Wind noch sehr stark. Doch ich will frühzeitig los und mir das Spektakel im Sitasfjell anschauen. Das Wetter hat heute aber eine grosse Vorstellung bereit für mich und die Sami. Der Wind bläst mich oftmals fast um, dann peitscht wieder eine Gischt Regen ins Gesicht, dann scheint wieder die Sonne. Es ist wilder als wild und das laufen wird schon fast zum Kampf. Aber ich liebe solche Bedingungen, hier wird klar wo der Mensch Grenzen gesetzt bekommt. Die Urgewalt rüttelt immerzu an der Menschenskraft und lässt die ganzen Reserven mobilisieren.
Die Bilder an diesem Morgen sind von einer ungeheuren Schönheit und lassen mich oft nach Luft schnappen. Die Sami haben den Kampf gegen die Unbill des Wetters schon aufgegeben und blasen den Markierungstag ab. Die Rentiere haben sich in höher gelegene Zonen zurückgezogen und dort herrscht dicker Nebel. Selbst der Hubschrauber kämpft mit dem starken Wind und kommt kaum mehr vom Fleck.
Ich kämpfe mich sprichwörtlich gegen den Orkanwind und den waagerechten Regen gegen den Tiuolak Pass hoch. Erst als ich oben ankomme, beruhigt sich das Wetter etwas, den ich bin nun im Windschatten des grossen Sälka Gebirge. Mit dem Fernglas sichte ich schon die STF Hütte Hukejaure. Sie ist so nah und doch noch weit. Ich benötige tatsächlich noch über eine Stunde bis zur Hütte, über aalglatte Rundsteine welche mit Moos und Flechten überzogen sind.

Hukejaure 872 MüM
Und dann stehe ich vor dem Merkmal der Hukejaure Hütte. Die alte Kote ( in welcher man auch übernachten kann ) welche praktisch auf jedem Bild von Hukejaure zu sehen ist.

STF Hütte Hukejaure

Was für ein Empfang !
Als ich zur Hütte komme, steht schon das Hüttenwartspaar vor der Türe und hält eine heisse Tasse Blaubeertee mit ?? in den Händen. Was für ein netter Empfang hier oben, ich kann`s gut gebrauchen! Hukekaure ist ein Knotenpunkt verschiedener Wege. Zum einen der Weg von Sitasjaure, der Weg von der Gautelishütte in Norwegen und auch jener Weg, welcher vom Kungsleden und der Sälkahütte kommt. All jene welche den Kungsleden abkürzen, werden von Sälka hier hoch kommen und dann nach Ritsem weitergehen. So ist es nicht erstaunlich hier einige „Kungsledenkämpfer“ anzutreffen. Jene Wanderer erzählen wahrlich schreckliche Geschichten über die Verhältnisse am Königsweg. 2015 ist der Kungsleden schon anfangs Saison komplett überlaufen und die Hütten bis unter`s Dach gefüllt. Der Grund liegt am vielen Schnee welcher noch in den mittleren und hohen Lagen liegt. Die Wanderer beschränken sich auf die paar wenigen grossen und bekannten Wege mit Infrastruktur. Nun, mir soll es recht sein. Ich habe schon während der Planung meinen Weg über die norwegischen Alpen eingeplant, dies in weiser Voraussicht, mitten in die Hochsaison am Kungsleden zu treffen. Meine Entscheidung wird, wie sich die nächsten Tage herausstellt, wiederum die einzig richtige sein. Und überdies werde ich ja trotzdem noch einen Tag Kungsledenfeeling erleben, wenn ich in Abiskojaure auf den Königsweg treffe um nach Abisko zu kommen.

Auf geht`s nach Norge

Hüttenwarte Hukejaure
Doch zuerst hänge ich erst mal gemütlich in Hukejaure ab, geniesse das Hüttenwartspaar mit all ihren tollen Geschichten und amüsiere mich ein ganz wenig an den heruntergekämpften „Kungsledianern“. Heja Norge………ich komme !
Demnächst………… Teil 8 : Von Land zu Land