Teil 10/13 : Das Desaster im Sulåmoen


Es waren viele Kilometer in den letzten Tagen und so ist der Entschluss eine zweitägige Pause einzulegen, sicher nicht falsch. Ist man aber auf so einer Langtour und läuft praktisch jeden Tag viele Kilometer über Wochen hinweg, ist stillhalten faktisch unmöglich. So verwundert es wohl kaum, dass ich an meinem Ruhetag wohl etwa ein Dutzend Spaziergänge rund um das Haus mache, es geht einfach nicht anders, der Bewegungsdrang ist ungewöhnlich hoch. Doch es ist nicht nur Ruhe angesagt, nein es ist auch Tourplanung auf meiner Liste. Nun wird es das erste Mal so richtig ernst was den Routenverlauf angeht und ich brauche doch noch ein paar Informationen über meinen Weiterweg. Nach der nächsten Etappe bis zum Innsvatnet hoch, wird das längste, zusammenhängende Moor- und Sumpfgebiet Norwegens folgen. Ein Gebiet das zusätzlich auch über keine Wege verfügt, also die Schwierigkeit noch einmal erhöht. Ab Sveet am Veresvatnet gelegen, läuft man östlich entlang dem Skjækerfjella Gebirge bis zum Blåfjella Nationalpark und danach nordwärts bis Nordli, wo man dann wieder auf Infrastruktur trifft.
Die Eigenheit in dieser scheinbar menschenleeren Gegend sind aber bewirtete Hütten in Gaundalen und Gjevsjøen, sowie der DNT Hütte Holden. Wer westlich des Skjækerfjella Gebirge gegen Norden zieht, wird ein paar DNT Hütten entlang des Gebirges finden und wird schlussendlich in Snåsa landen. Von dort muss man dann ziemlich östlich über Gressåmoen halten um nach Nordli zu gelangen, was eher als Umweg gilt. Hingegen wird diese Routenwahl einige Wege beinhalten, sowie weniger Moore und Sümpfe.

Nach den vergangenen Wochen, bin ich doch etwas vorsichtiger geworden was Nässe am Boden anbelangt. Klar ist, dass ich mich hier nicht mehr in solch einem niederschlagsreichen Gebiet aufhalte wie noch weiter südlich, aber es hat auch hier viel geregnet und der Schnee ist auch schon komplett verschwunden! Die Wetterprognosen aus Norwegen und derjenigen welche ich von Meteoschweiz erhalte, deuten beide darauf hin, dass ich mich in den nächsten Tagen an einer Grenzzone eines Tiefs aufhalte werde, welches bis zu 110 Millimeter Regen vorhersieht. Das ist viel, sehr viel wenn man bedenkt wieviel schon am Boden liegt! Ich entschliesse mich, weitere Informationen von Einheimischen einzuholen um den Weiterweg besser planen zu können. Mit viel Glück finde ich in der Hütte einen Ordner mit praktisch allen Adressen und Telefonnummern der Hüttenbesitzer im Skjækerfjella- und Blåfjella Nationalpark.

Eine halbe Stunde später sitze ich ziemlich frustriert da und weiss noch weniger als vorher, was ich machen soll. Alle Besitzer die ich erreicht habe, erzählen mir das Gleiche über die Verhältnisse im Gebiet: Sumpf, Sumpf und nochmals Sumpf. Die zum Teil verlegten Holzbohlenstege zu Beginn sind nicht mal sichtbar, weil das Wasser so hoch liegt und dort wo keine Wege sind, herrscht Land unter! Die einzige Chance besteht darin, westlich vom Skjækerfjella durchzugehen, doch auch da sind viele Zweifel angesagt. „Ich solle es von Ferslia zuerst mal bis zum Innsvatnet hochschaffen und dann Tag für Tag entscheiden wie es weitergehen soll“. War die Meinung einiger.
Schöne Bescherung, denke ich, doch die Leute kennen das Gebiet weit besser als ich und ich muss den Worten vertrauen, vor allem da es aus jeder Kehle gleich tönt. Wenn ich Glück habe, wird mich die Tiefdruckzone nicht erwischen, dann fällt wenigstens der Regen aus.
Die Worte klingen mir aber noch lange nach, welche am Telefon tönten: „es braucht wohl 1-2 Wochen niederschlagsfreie Zeit und Sonne, bis es eine Besserung im Moor gibt…..“ !

Für den nächsten Tag muss ich wohl noch etwas mit Feuchtigkeit vom Himmel rechnen, aber die Prognosen sind am Abend schon deutlich besser, und es scheint fast so, wie wenn das Unwetter erbarmen mit mir hat und sich etwas östlich von mir durchschlängelt. Die Etappe von Ferslia bis zum Innsvatnet hoch ist extrem lang, denn ich will es bis zur Bellingstua Hütte DNT schaffen, die letztes Jahr neu gebaut wurde. Doch das heisst rund 32 Kilometer, und davon c.a. 28 über das Sulåmoen Fjell gehen, es ist viel Arbeit angesagt……..

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Optimismus sieht anders aus…

Die Begeisterung am Morgen spricht aus dem Gesicht…… Aber gut verpackt, sehr gut erholt und wieder motiviert, macht mir der leichte Regen nicht viel aus, es wird ja besser!

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Lustwandeln im Wald und Grün

Kurz hinter der Hütte beginnt der Weg ins Sulåmoen. Inmitten von Gebüsch und Birken, folgt ein schmaler Pfad dem Gelände hoch und es trieft von oben und von links und rechts! Doch warum ist der Weg so matschig und tief? Bei jedem Schritt sinke ich weit über die Knöchel ein, wie wenn ein Heer von Tieren oder Menschen den Weg vor mir benutzt und aufgewühlt hat. Schon bald höre ich die Lösung des Rätsels…….. Schafe! C.a. 15-20 Schafe laufen unmittelbar vor mir durch den Pfad und hinterlassen einen Sumpfkanal der nicht schöner sein kann. Ich denke mir schon die schmackhaftesten Lamm-Gerichte aus, wenn  ich die Dinger in die Finger bekomme, aber es nützt nichts, ich muss versuchen die Tiere zu überholen, sonst komme ich nicht vorwärts. Nach rund einer Stunde sehe ich die Schafe auf einer kleinen Lichtung und ich kann das Getiere überholen, endlich!!! Auch wenn der Weg nicht wirklich besser wird, so sinke ich jedenfalls nicht mehr so ein. Das Wetter allerdings schlägt nun komplett um, es regnet wie aus Kübeln und auf meinem Radarbild, dass ich noch so knapp empfangen kann, sehe ich eine grosse Regenwand auf mich zukommen. Nun hat sie mich also doch erwischt, diese Tiefdruckfront.

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Der Ferensee vom Sulåmoen aus gesehen, bei immer tiefer hängenden Wolken.

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Mittlerweile ist das Terrain immer tiefer geworden, der Weg ist nicht mehr zu sehen, und ich versinke nun bis zum Schienbein im Wasser und Matsch. Ich weiss aus der Karte, dass ich bald an eine Brücke kommen muss, welche ein Abzweig von zwei Pfaden ist. Der eine führt über das Fjell c.a. 25 Km. zum Innsvatnet hoch, der andere führt quer ab über das Fjell und trifft kurz danach auf einen weiteren Weg, der von Ferslia, zur Strasse in der Nähe vom Innsvatnet führt. Dieser Weg geht nur 15 Km. über das Fjell und danach kann eine Strasse in der Nähe des Innsvatnet genommen werden um ans Ziel zu kommen. Das würde zwar heissen, ich müsste wieder mal rund 10 Kilometer einer Strasse nachlaufen, aber bei diesen Bedingungen wäre das wohl das kleinere Übel.

Als ich die Brücke finde, haben sich die Wegverhältnisse ins Groteske verwandelt. Ich sinke immer wieder bis zum Knie im Matsch ein und komme nur mühsam wieder frei, das Gewicht am Rücken ist nicht wirklich förderlich und ich sehe meine Kräfte schwinden.

Hier folgt eine ziemlich haarsträubende Geschichte, die auch böse hätte ausgehen können …. wenn es interessiert…. Ich empfehle an dieser Stelle gerne mein Buch zur Tour, das über viele weitere Anekdoten, Geschichten und Begebenheiten wie eben diese der Tour berichtet : Schritt für Schritt nordwärts 

Plötzlich stehe ich vor einer brandneuen Koje, welche wohl im Herbst hier installiert wurde, für wenn auch immer?

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Eine momentane Rettung

Die Koje ist meine Rettung, eine Pause dringend notwendig. Ich nehme die Karte hervor und bemerke mit grossem Erstaunen, dass ich für die rund fünf Kilometer rund drei Stunden geackert habe! Wenn das so weitereht werde ich niemals an meinem Ziel ankommen, und vor allem, ich bin schon jetzt erledigt und müde, wie soll das noch gehen? Ich werde die Alternativroute nehmen und somit auf die Strasse ausweichen, doch es stehen so oder so nochmals 15 Kilometer an, wahrscheinlich ohne grosse Verbesserung der Verhältnisse. Ich raffe mich auf und versuche weiterzugehen, doch der Querweg wird wohl schon lange nicht mehr benutzt, die Markierungen sind schon bald nicht mehr sichtbar und der Weg…………unter Wasser. Zum Glück habe ich einen Kompasskurs ausgerechnet, der mich an die Wegabzweigung bringen sollte. Das Laufen ist nicht mehr mühsam, es wird zur Qual, hinzu kommen noch Bäche welche soviel Wasser tragen, dass ich immer wieder Stellen zum furten suchen muss um darüber zu gelangen. Nach einer weiteren stündigen Tortur treffe ich plötzlich genau auf den Abzweig, und es steht sogar ein Wegweiser da. Schluss aus, Feierabend, hier ist das Ende, ich kann nicht mehr! An ein Weiterlaufen ist nicht mehr zu denken, meine Kräfte verlassen mich zusehends und ich sehe nur noch die Ferslia Hütte vor mir…….ich muss zurück.

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Auf diesem letzten Bild sieht man eine kleine Fläche in welcher mittendurch ein Weg führen würde. Normalerweise hat man für dieses Stück rund 10 Gehminuten, mein Umweg dauert rund 40 Minuten bis ich an den kleinen Tannenbäumen rechts im Bild ankomme! Der Rückweg auf der Alternativroute ist um keinen Deut besser, doch ist er wenigstens über weite Strecken sichtbar. Hier bin ich einmal mehr sehr froh um meine Stöcke, ohne sie hätte ich wohl mehrmals ernsthafte Probleme bekommen, die Situation in diesen moorigen Flächen ist auch nicht mehr ganz unbedenklich. Ich lasse mir viel Zeit mit Umwegen um heikle Passagen, denn ich will nicht gerne in tausend Jahren als „Moorüberbleibsel“ Schlagzeilen machen.

Nach einer Gesamtzeit von rund fünf Stunden komme ich endlich in Åbakk am Ferensee an. Eine kleine Siedlung mit zwei Gehöften, aber es ist niemand anwesend und zu sehen. Ich inke auf meine Knie und bin völlig leer, ausgepumpt, mein Bein mit der Entzündung schmerzt höllisch, aber ich bin froh diesem „Desaster“ entkommen zu sein. In meinen schlimmsten Träumen konnte ich mir so etwas nicht annähernd vorstellen, dass war wirklich hart und hat das letzte aus mir herausgeholt.
Ich bin nur rund eine halbe Stunde von der Ferslia Hütte entfernt und laufe nun, wie wenn ich auf der Flucht wäre, diesen kleinen Strassenabschnitt entlang. In der Hütte angekommen, streife ich meine schlammigen Sachen vom Körper, heize den Ofen ein und sinke auf der Couch in einen tiefen Schlaf.

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Trockenzeit

Als ich nach drei Stunden erwache, fühlt sich die Welt doch schon etwas besser an. Der bisherige Tag ist aber weiterhin völlig unwirklich und surreal, ich kann nicht glauben was da oben im Sulåmoen passiert ist. Doch ich bin wieder hier in der Ferslia Hütte und mittlerweile schaut sogar die Sonne etwas hervor. Meine Schuhe waren komplett mit Wasser gefüllt und gehören getrocknet und meine Kleider erhalten zuerst eine Generalreinigung, bevor auch ich und mein Solarpanel etwas Sonne tanken können.

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Sonne im Duett tanken

Danach geht es in die Küche, wo ich drei!! Portionen zum Vergessen des Tages zubereite….

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Der Tag ist gelaufen, aber ist es die Tour vielleicht auch? Ist das nun das Ende, wie soll es nun weitergehen? Ich bin völlig überfragt und ratlos und es braucht wohl 1-2 Tage um mit der Situation klar zu werden. Denn nun gibt es keine einfachen Umwege mehr, die Verhältnisse sind Katastrophal und werden sich die nächsten Tage kaum verbessern, meine Informationslage ist dürftig und mit dem schwachen Mobiltelefonempfang auch nicht ausreichend zu erhalten, was soll ich also tun?

Nachdem in an diesem schönen Abend dann wohl etwa 1342 Mal die Terrasse der Ferslia Hütte auf und ab gegangen bin, entscheide ich mich zurück nach Meråker zu laufen und dann mit dem Zug nach Trondheim zu fahren (1 Std.), um dort im DNT Shop und Büro die nötigen Infos für den Weiterweg erhalten zu können. Unkonventionell, aber sicher das Beste was ich machen kann, ein zweiter Versuch in den nächsten 2-3 Tagen würde wohl mit dem gleichen Ergebnis enden. Da heute Samstag ist und morgen Sonntag, macht es keinen Sinn schon am nächsten Tag nach Trondheim zu fahren, die Büros sind sicher geschlossen, also bleibe ich einen weiteren Tag in der Ferslia Hütte, die ich langsam aber sicher zu meiner Lieblingshütte erkläre. Und es ist ja auch noch der Rückweg von 22 Kilometer nach Meråker zu bewältigen, hier hoffe ich allerdings, vielleicht per Anhalter mit einem der Ferienhausbesitzer zurückfahren zu können.

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Der Trost des Abends

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Bei diesen herrlichen Bildern und Stimmungen, erhellt sich auch meine Stimmung wieder etwas. Es macht den Anschein, dass der nächste Tag wettermässig einiges besser sein wird als der heutige. Dies will ich auf jedenfall nutzen und mir einen schönen Sonntag am oder auf dem Hausberg von Ferslia zu machen. Ich muss meine Gedanken etwas sortieren und das Gehirn auslüften, es wird wirklich Zeit dafür!

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Zeit für die innere Ruhe

Frühmorgens weckt mich die Sonne, also raus aus dem Haus und rauf auf den Berg…..

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Ferensee

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Na….geht doch 🙂

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Die Bilder zeigen es, der Tag ist bombastisch! Ich geniesse jede Sekunde und kann mich entspannen von den Strapazen des letztes Tages. Manch einer hätte wohl die Chance genutzt, den Weg von gestern nochmals in Angriff zu nehmen. Vor 20 Jahren hätte ich das wohl auch gemacht, aber ich weiss ja dass es keinen Sinn macht nochmals in dieses Sumpfgebiet einzulaufen. Der Entscheid ist richtig nun nach Trondheim zu fahren und weitere Pläne zu schmieden,“irgendwie wird es wohl weitergehen“ denke ich und geniesse den Tag auf dem Kjøllhaugan.

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Der Blick nordwärts, zum nicht mehr erreichbaren Skjækerfjella Gebirge

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So friedlich kann das Fjell von oben aussehen!

Auf dem Bild oben sieht man das Sulåmoen Fjell. Etwas links von der Mitte ist der Punkt wo ich umkehren musste. Mit dem Fernglas erkenne ich die Brücke und die Koje und ich sehe das Fjell von all den Wasserpfützen glitzern wie ein Weihnachtsbaum. Es ist ein eigenartiges Gefühl diese Szenerie zu beobachten, die Stille die mich umgibt und das wärmende Sonnenlicht macht aus diesem Fjell etwas angenehmes, kaum mehr vorstellbar wie das vor 24 Stunden noch aussah.

Etwa 200 Kilometer in dieser Blickrichtung ist nun auch Sveinung Mosnes in meine Richtung gestartet (Norge på langs vom Nordkap nach Lindesnes). Ein schon erhofftes Zusammentreffen wird sich also nicht ergeben, aber ich hoffe für ihn, dass er nicht zu schnell unterwegs ist und den Sumpf etwas umgehen kann. (Tatsächlich kam er etwa sieben Tage nach mir hier durch und berichtete über immer noch katastrophale Bedingungen, überall nur Sumpf und Matsch). Wie wäre das wohl bei mir gewesen? Als ich so da sitze, ist mir auch noch nicht bewusst, dass der gestrige Regen der letzte für viele Wochen in diesem Gebiet sein sollte. Nach meiner Abreise schien für viele Tage die Sonne und trocknete so das Fjell auf ein erträgliches Niveau ab!

Und ich weiss zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass genau in diesem Moment, etwa zehn Kilometer entfernt in dieser Blickrichtung, ein junger norwegischer Vogelbeobachter sich ein Bein bricht und erst nach fünf Tagen von einer Hubschraubermannschaft gerettet wird.
Im Nachhinein ist das doch ein sehr seltsamer Tag und doch ein Tag der mir heute viel bedeutet. Wer weiss, vielleicht werde ich hier 2015 meine Tour von neuem starten…. (Vorahnung?)

Fim Teil 3:

 Dann ist es soweit…….. Teil 11/13: Das vorzeitige Ende

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