Teil 3/13 : Der Umweg
Inmitten der Schweizer Alpen aufgewachsen und jede freie Minute in den Bergen unterwegs, bin ich mir gewohnt das Wetter im Auge zu behalten, damit zu leben und zu erleben. Die Nase in den Wind und die Wolken beobachtend kann mir das Wetter mehr Unterhaltung bieten als jeder hochdotierte Hollywood Film. Doch das Wetter in Skandinavien ist ein eigenes Thema und Gesetzmässigkeiten welche in der Schweiz gelten, sind hier nichts wert. Deshalb „tapse“ ich diesen Morgen auch auf das Norge Meteo App in meinem Smartphone, um etwas mehr Informationen aus dem Reich des norwegischen Wetterdienstes zu erhaschen. Die vor einen Tag noch angekündigte Schönwetterphase ist aber plötzlich wie ausradiert, statt dessen sind da Symbole für Regen und Schnee zu sehen. Meine Abkürzung über die Svartdalsheiane via Åmotsdal kann ich vergessen, denn dieser Weg würde mich auf fast 1300 Meter über Meer führen, und dies bei immer noch schneebedeckten Seen und Bächen. Bei einigermassen gutem Wetter wäre dies auch kaum ein Problem gewesen, aber wenn man plötzlich nur noch wenig Sicht hat, kann das ganz schön an die Nerven gehen. Nun denn, ich muss mich wohl wieder für die Strasse entscheiden und den grossen Umweg über Rauland nach Rjukan wählen, dies ist auf der sicheren Seite und wohl auch vernünftiger.

Gjevarvatn
Der Tag fängt mit ruhigem und relativ warmen Wetter an und, mit einer grandios schönen Landschaft. Hier ist auch ersichtlich wie sehr die Natur dem Kalender hinterher hinkt. Die Birken haben noch kaum Knospen und das Grün der Wiesen ist noch kaum sichtbar. Die Einheimischen sprechen von 3-4 Wochen Verspätung der Vegetation und sind auch über den eher feuchten Frühling erstaunt. Ältere Norweger können sich kaum je erinnern so einen späten Frühling erlebt zu haben und was mich fast am meisten „tröstet“ , sie unterstützen meinen frühen Start ausnahmslos, den der Frühling sei eigentlich die beste Zeit unterwegs zu sein. Dieses Jahr allerdings……….. naja, ich geniesse die Landschaft und jede Stunde welche mir solche Bilder beschert.

Gjevarvatn

Vikvatn

Morgendliche Stille am Vikvatn
Nach über 35 Kilometer komme ich an den Totak See und somit in die Nähe von Rauland. Mittlerweile hat sich mein Bein aber wieder entzündet und, Asphalt sei Dank, muss wohl eine längere Pause anstehen. Die Schmerzen sind höllisch aber ich weigere mich standhaft irgendwelche Schmerzpillen zu schlucken, denn ich würde wohl sonst über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus weiterlaufen, und das will ich verhindern. In Rauland quartiere ich mich in der Jugendherberge ein, die sich in einer Hochschule befindet, aber zurzeit niemand anwesend ist, ausser mir und den Bediensteten. Ich geniesse zwei Tage in welchen ich hervorragend bewirtet werde und erhole mich glänzend, die Schmerzen sind praktisch verschwunden, aber ich weiss, ich muss nun etwas vorsichtiger ans Werk gehen und längere Etappen verhindern. Step by Step muss es nun Richtung Rjukan gehen, danach wird mich der Weg in die östliche Hardangervidda führen, und da will ich Fit sein.

Energie tanken in Rauland

Rauland
Blick zur Svartdalsheiane, deutlich ist der doch noch reichlich vorhandene Schnee zu sehen.

Blick aus dem Hostel Akademiet in Rauland
In den zwei Tagen ist dann aber auch die Genauigkeit der Wetterprognose ersichtlich……….es herrscht schönstes Wetter statt Regen und Schnee und die Sonne brennt mit fast 25° vom Himmel. „Nicht unterkriegen lassen“ ist das Motto und ich mache mich auf den Weg nach Rjukan.

Lognivvatn

Hardangervidda in der Ferne

Hüttenfeld in Vierli

Vierli
Vobei am Rauland- und Vierli- Skisenter gehe ich der Strasse entlang zum Møsvatn See, wo ich an dessen Ostende, am ersten Saisontag der Skinnarbu Lodge ein Zimmer bekomme. (Ich ahne zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass auf dieser Strecke vier Wochen später, auch ungeplant, zwei Norge på langs Läufer entlang kommen werden, weil die Verhältnisse in der westlichen Hardangervidda immer noch unbegehbar sind ! )

Møsvatn im Eis
Nahe Skinnarbu bedeckt sich der Himmel mit der etwas verspäteten Kaltfront und ich lasse am nächsten Tag auch nichts mehr anbrennen, und mache mich schon früh morgens auf den Abstieg nach Rjukan.

Rjukan

Rjukan
In Rjukan ereilt mich die Kaltfront dann mit all ihren feuchten Auswirkungen. Ich schnappe mir ein Zimmer im Gjestegård und informiere mich über die nächsten Wetterprognosen, denn jetzt sollte das Wetter wirklich einigermassen mitspielen, wenn ich rüber nach Geilo kommen will. Ich entschliesse mich zwei Tage in Rjukan zu bleiben und die Vorräte aufzutanken und den angekündigten Schnee abzuwarten. Ich besuche einen Sportshop und kann mir leihweise ein paar Schneeschuhe ergattern, mit welchen ich einen Lauftest auf dem Plateau zur Hardangervidda machen will. Mittlerweile traue ich der Schneebeschaffenheit nämlich nicht mehr viel, denn die Wärme und der viele Regen muss der Tragfähigkeit wohl schon ziemlich zugesetzt haben. Ich steige in die Krossobanen und lasse mich hochfahren, um dann in Richtung Helberghytta zu laufen um die Schneesituation zu beurteilen. Das Wetter ist miserabel, Schneegraupel pfeift mir um die Ohren und das Thermometer sinkt bedenklich zur 0° Grad Marke ab.
Nach etwa 40 Minuten kommt mir ein Schneemobil auf Raupen entgegen, darin drei Männer von der örtlichen DNT-Werkgruppe, welche zur Zeit daran sind, die Sommerwegweiser und Brücken zu montieren. Doch ihre Informationen sind niederschmetternd, das Terrain ist kaum begehbar und sie können die Brücken auch noch nicht montieren, da zuviel Wasser fliesst. Der Schnee sei total durchweicht und ihr Fahrzeug sei immer wieder stecken geblieben! Die beiden wichtigsten Übergänge nach der Mårbu Hütte seien ohne Brücke kaum zu traversieren und seien auch getrennt durch reissende Bäche. Was für ein Stück Glück treffe ich diese Jungs, denke ich mir, obwohl die Nachrichten nicht schlechter sein können und mir der Umweg um die Hardangervidda wohl nicht erspart bleiben wird. Ein kurzer Test mit den Schneeschuhen auf einem Schneefeld bestätigen nur die Worte der Männer. Solche Schneekonditionen habe ich noch nie gesehen, auch ohne schweren Rucksack und trotz grossen Schneeschuhen, sinke ich bis zu den Knien ein und kann mich danach kaum mehr befreien. Absolut indiskutabel daran zu denken, den Weg über die Vidda zu machen. Punkt um Schluss, Rückkehr nach Rjukan, Schuhe und Unterkunft abgeben und Abmarsch der Strasse nach Richtung Geilo.

Rjukan mit schneebedecktem Gaustatoppen
Doch warum nach Geilo? Ich will mir die Option Reineskarvet oder Hemsedal offenlassen (Hoffnung stirbt ja bekanntlich zu letzt) , kann aber, wenn beides nicht passierbar ist, über Gol in Richtung Osten gelangen. Grundsätzlich ist aber nun völlig klar, auch der National Park Jotunheimen ist gestrichen, somit wahrscheinlich auch der Galdhøppigen. Ich kann nun also viel früher meinen Weg ostwärts planen, die Schneesituation lässt mir keine andere Wahl.
„Warum gehst Du auch so früh im Jahr los?“ „Kein Wunder wenn es noch Schnee hat“ Dies waren doch Argumente welche ich ab und zu gehört habe und auch im Blog oder Foren lesen konnte. Selbstverständlich habe ich immer mit Schnee gerechnet, bei diesem frühen Starttermin ja auch logisch. Doch Schnee muss überhaupt kein Nachteil sein, im Gegenteil, es kann sich sehr wohl zum Vorteil auf das Laufen und vorwärtskommen auswirken. Willem vanDoorne hat 2012 mit seiner Norge på langs Tour bewiesen, das Schnee sehr grosse Vorteile haben kann. Seine Tour hat mich schlussendlich auch dazu bewogen den Termin vorzuverlegen um die grossen Schneefelder in den höheren Lagen ausnützen zu können, sowie auch die vielen Schneebrücken über Bäche bei welchen die Brücken noch nicht montiert sind. Einzige Voraussetzung für optimale Verhältnisse sind aber wenig Niederschlag und, vor allem in der Nacht, kühle Temperaturen. Dass es dieses Jahr ausgerechnet an beidem fehlt, ist ganz einfach Pech und mit dieser Tatsache muss ich die weitere Tour planen.
Der Übergang nach Geilo ist dann über drei Tage mit enorm viel Regen, Nebel und zum Teil Schneegraupel gesegnet. Es gilt für mich möglichst schnell vorwärtszukommen und gleichzeitig aber ein wachsames Auge auf mein entzündetes Bein zu halten. Doch irgendwie schaffe ich es trotz Kaltfront nach Geilo zu kommen, ohne auf grössere Probleme zu treffen.

Tosende Wasserfälle im Rjukantal

Unterwegs nach Geilo

Unterwegs nach Geilo im Gavlen Fjell

Geilo
Es ist wirklich ein Husarenritt bis nach Geilo. Ich bin auch ziemlich fertig, muss ich doch die letzten Kilometer noch durch einen wahren Sumpf waten, der mich zum Teil knietief einsinken lässt. Doch das Wetter hat sich sehr gebessert und ich bin froh endlich mal wieder auf einer Matratze liegen zu können und auch zu waschen und gemütlich ein Bier zu kippen! Mittlerweile hat sich die Hochwasserlage in Südnorwegen deutlich verschärft und die Nachrichten gefallen mir gar nicht. Ist es zuerst lokal die Hochwasserwarnung im Telemark vor einer Woche, berichten die Medien nun über unpassierbare Strassen südlich von Rauland, Hochwasseralarm im Gudbrandsdalen und verschiedene kleiner Überschwemmungen nach Starkregen. Ich muss wohl in naher Zukunft auch auf diese Tatsachen ein Augenmerk legen, wenn es um die weitere Routenplanung geht. Die Böden sind voll Wasser und jeder Niederschlag kann nicht mehr versickern und läuft sofort ab. Die Fauna und Flora wehrt sich mit aller Kraft gegen den Frühling und behält ihr braunes Winterkleid an, grün ist kaum auszumachen.
Die Norweger sind völlig konsterniert und mittlerweile auch ziemlich angefressen über das Wetter und die Verhältnisse, die Meteorologen im Fernsehen knobeln wohl schon aus, wer die schlechten Nachrichten am TV bringen soll. Begeisterung sieht anders aus und die Prognose ist eh meist total daneben. Total nett und köstlich finde ich die vielen Menschen welche sich für all die Umstände bei mir entschuldigen……….. „da kommt ein Schweizer will unser Land der Länge nach durchqueren und wir bieten ihm solch ein Mistwetter“…………. Doch ich empfinde es nicht mal als so schlimm, es hat ja auch immer wieder tolle Abschnitte wie die Bilder zeigen, und schlussendlich ist es ja auch ein langersehnter Wunsch dies zu tun. Also Augen auf und durch 😉
Dann doch die Planänderung………. Teil 4/13 : Der Weg nach Gol