Teil 8/13 : Røros und das zweite Depot


In der Nachbearbeitung der Tour, fielen mir immer wieder die zum Teil grotesken Umwege auf, welche ich gemacht habe. Während der Tour war ich viel zu fest damit beschäftigt den nächsten Tag zu planen und so verlor ich die Übersicht über das Gesamtheitliche.
Anbei ein Kartenauschnitt, in welchem SCHWARZ die zuhause geplante Route und ROT die tatsächliche Route eingezeichnet ist:

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Die Umwege wären mit dem Fahrrad oder mit dem Auto schnell bewältigt, aber zu Fuss? Hier sind 7-8 Kilometer am Tag zusätzlich, eine gewaltige Mehrleistung die zuerst gelaufen sein will.
Ich bin schon etwas enttäuscht dass ich auf Forollhogna verzichten muss, aber wieder irgendwo im Schlamm steckenbleiben, das muss nicht sein. Die Alternative über den südlichen Kungsleden in Femunden, ist mir zu weit weg, daher bleibt mir einzig die Variante über Folldal und den Savalen See Richtung Tynset und Røros. Wer die vielen Bildberichte über Norge på langs liest und sieht, wird oft daran erinnert was für tolle Wanderungen man da jeden Tag macht. Doch Norge på langs hat auch ab und zu eine etwas langweilige und mühselige Seite (die niemand gerne zugibt, schon gar nicht nach der Tour 😉 ). Aber es kommt oft vor, dass man einfach Wegstrecke bewältigen muss um vorwärts zu kommen. Wegstrecke die vielleicht nicht viel interessantes zu bieten hat, Zeit die man vielleicht lieber abseits der Route investieren möchte. So ergeht es mir auch auf meinem Weg nach Røros, zwar landschaftlich reizvoll, jedoch durch das graue, trübe Wetter nicht „ganz so vom Hocker reissend“.

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Nähe Folldal

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Zähne zusammenbeissen……solange man noch kann!

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Die ersten….und letzten Elche der Tour!

Das Wetter ist zwar immer noch mehrheitlich das gleiche, aber der Boden ist deutlich weniger mit Wasser gefüllt. Es ist immer noch mehr als feucht neben den befestigten Wegen, aber es ist doch besser zum laufen als alles andere vorher. Ich kann in den folgenden drei Tagen ein sehr flüssiges Tempo anschlagen, da ich abseits der Strassen immer wieder auf Forstwege oder Fahrradwege treffe. Von Tynset geht es über Tolga nach Os und dann……..Røros!

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Viel landwirtschaftliche genutztes Land auf dem Weg nordwärts

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….und Asphalt!

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Nicht den Mut verlieren

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Røros

Ich quartiere mich in der Jugendherberge ein, bekomme ein tolles Zimmer und bin natürlich auf die Stadt gespannt. Morten hat mich unterwegs darauf aufmerksam gemacht, unbedingt einen Abstecher in seine Lieblingsstadt zu machen. Und wirklich, hier kann ich mich kaum sattsehen an diesem tollen Ort. Nicht umsonst gehört die Stadt zum UNESCO Welterbe, ein wirklicher Diamant an Geschichte und Tradition.

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Es ist zwar ein kurzer, aber ein sehr angenehmer Aufenthalt in Røros. Tolle Stadt, tolle Leute, gutes Essen, Herz was willst Du mehr. Es ist mir auch klar, dass das nun wohl der letzte Aufenthalt in einem grösseren Ort für Wochen sein wird. Nun geht es darum im Eilzugstempo nach Haltdalen zu kommen, dort wartet mein zweites Depot Paket auf mich.

Das Wetter erreicht nun wohl seinen absoluten Tiefpunkt. Es giesst zwei Tage wie aus Kübeln und das Laufen macht nun wirklich nicht mehr viel Spass, da es ausgerechnet auch noch an einer vielbefahrenen Strasse entlang geht. Doch nach Haltdalen wird es in den Skarvan og Roltdalen National Park gehen und da freue ich mich riesig drauf, denn der Park wird kaum beachtet, gilt aber als einer der schönsten überhaupt in Norwegen. Er ist auch für sehr viele Mücken bekannt, aber ich bin ja in der sehr komfortablen Lage, bis jetzt noch überhaupt keine dieser lästigen Viecher gesehen, oder besser bemerkt zu haben.

In Haltdalen habe ich das Paket auf dem Saga Camping deponiert. Ich kann bei Ankunft die Besitzer anrufen, die mich dann beim örtlichen Coop abholen werden. Der Camping ist nach einem Frostschaden im Winter und dem Hochwasser komplett im Umbau, aber die Besitzer überlassen mir ihr grosses Familienzelt und eine Dusche im benachbarten Ferienhaus.

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Meine Logis in Haltdalen

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Neu packen

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Camping im Wiederaufbau

Ich bin unendlich froh über den Platz in diesem grossen Zelt. So kann ich in Ruhe alles neu verpacken und mich auf die nächsten Etappen vorbereiten. In c.a. 3-4 Tagen sollte ich in Meråker sein, wo ich dann Proviant für c.a. 10 Tage bunkern muss um bis nach Nordli zu kommen. Das heisst ich kann nun mit relativ wenig Gewicht los und die nächsten Tage etwas „leichter“ gehen. Die Temperaturen sinken an diesem Abend bedenklich gegen 0°C und es schüttet aus vollen Wolken. Wie werden wohl die Verhältnisse im Park sein?

Ist Norwegen wirklich nur „langs“ ?

Hier muss vielleicht eine kleine Klammer aufgemacht werden. Wenn man von Norge på langs redet, spricht man eigentlich immer nur von diesen 2700 Kilometer Längsausdehnung der Tour. Wer eine Landkarte anschaut, sieht sich auch bestätigt………. dieses Land ist wirklich sehr lang! Die geographische Lage Norwegens auf der äussersten Nordhalbkugel lädt nun aber zu einer optischen Täuschung ein, welche kaum jemand beachtet. Da auf den Karten keine Erdkrümmung dargestellt werden kann (die Landkartenmacher wenden zwar öfters einen graphischen Trick an, um dieses Phänomen abzuschwächen), hat man das Gefühl ausser im Süden, nur ein sehr schmales Band vor sich zu haben. Ein Norge på tvers, also“Norwegen der Breite nach“ würde somit gar keinen Sinn machen, weil es gar keine grosse Ausdehnung hat. Doch hier täuscht man sich gewaltig! Dies wird einem Norge på langs – Läufer bewusst, wenn er sich auf dem ersten Drittel der Strecke bewegt, es geht einfach irgendwie nicht recht gegen Norden vorwärts. Oftmals hat man sogar das Gefühl, ewig auf dem gleichen Breitengrad unterwegs zu sein, obwohl man auf der Karte einen Nordkurs läuft. Wer sich aber mal die Mühe macht unterwegs einen Kompass in die Finger zu nehmen, wird sehr schnell zur Lösung kommen. Bis knapp nach Røros hält man einen grossen Nordostkurs, bevor sich die Kompassnadel nun definitiv mehr gen Norden verschiebt. Ab dem zweiten Drittel der Strecke merkt man plötzlich, dass es viel schneller gegen Norden geht als die letzten Wochen vorher. Wer Norge på langs läuft, läuft also nicht nur 2700 Kilometer gegen Norden, sondern absolviert zugleich eine Breitendistanz von rund 400 Kilometer bis zum Zielpunkt. Norwegen ist also breiter als viele meinen!

Nach einer sehr kalten Nacht, aber zum Glück am trockenen, laufe ich im strömenden Regen los. Die Wetterprognose (ich habe mittlerweile zu Meteo Schweiz gewechselt, da diese Vorhersagen einiges genauer sind als die norwegischen), prognostiziert für den heutigen Tag noch Regen, danach soll es trocken werden und sogar ein kleines Zwischenhoch ist angesagt. Mein Ziel wird die private Aunegard / Nordpå Hütte sein. Laut den Infos die ich besitze, ist sie zwar unter der Woche geschlossen, aber anrufen kann man ja immer.
Die Hüttenwartin sagt, dass niemand mehr oben in der Hütte sei, aber ich soll eine Stunde vor Ankunft nochmals anrufen, sie werde hochkommen und mir das Haus öffnen….buahh…. was für ein Service! So läuft es sich doch gleich viel leichter, die zwölf Kilometer nehme ich doch mit links!

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Gauldalen/Haltdalen
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Hier treffe ich nun auf den Karolinerleden, ein Pilgerweg mit Geschichte.

Nach der eher etwas kühlen Nacht in Haltdalen, freue ich mich nun auf ein wärmeres „Hüttchen“, vielleicht mit einem weichen Bett und vielleicht hat es ja eine Dusche? Und tatsächlich, kurz nach dem Anruf, ist die Hüttenwartin schon vor Ort, naja Hütte ist für dieses Hotel wohl doch etwas zu minimalistisch. Das Fjellhotel sei am Wochenende von einem Lehrgang voll besetzt gewesen und nun eigentlich geschlossen, aber sie könne mir die dazugehörige Annex-Hütte anbieten. Hütte??

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Linkerhand neben dem „Hotel“ meine „bescheidene“ Hütte

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Doppelbett, Sitzecke, Dusche, Bodenheizung, 25°C und jede Menge Bier und Nüsse aus der Hotelbar! Es gibt doch noch eine Gerechtigkeit auf dieser Welt! Nach einem sehr unterhaltsamen Gespräch mit der Hüttenwartin, drückt sie mir ein Buch in die Finger, ein Buch über Norge på langs. Sie kennt einen der Autoren welcher 2011 die Tour gemacht hat und dieses Buch eben erst veröffentlicht hat. Als ich es aufschlage, tja wenn sehe ich da? Håvard mit welchem ich im Vorfeld in Mail Kontakt war und der mir viele Tipps gab. Zufälle gibt es! Schön, auch heute noch befreundet zu sein!

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Perfekt erholt kann ich nun den nächsten Tag angehen. Leider ist die Wolkendecke tiefer als angenommen und so wird der Gang über das Fjell und die Terråtjønnan Seen Richtung Græslihytta eine etwas graue Sache. Doch hat die Szenerie einen sehr mystischen Touch und das laufen in dieser Umgebung bekommt schon fast einen meditativen Hintergrund. Der Wind pfeifft um die Ohren und es ist kalt, doch wenigstens hält sich der Regen zurück.

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Mystik pur!

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Blick ins Græsslital

Beim Nautjønna See kommt das Tyndalen mit seiner kleinen Siedlung Gressli in Sicht. Ich will heute noch zur Græslihytta hoch, welche sich auf der anderen Talseite etwas erhöht befindet.
Doch zuerst muss ich in das Tyndal Tal runter. Während rund drei Stunden sehe ich meine Schuhe nicht mehr! Ich sinke die ganze Zeit bis über meine Knöchel im Wasser ein und es fühlt sich an, als ob ich auf einem komplett mit Wasser gefüllten Schwamm laufe. Der Weg ist kaum gekennzeichnet und so muss ich immer wieder diesen suchen, da es links und rechts daneben noch viel schlimmer ist. Das Gressli wird grässlich! Erst als ich in Hyllingvollen auf die ersten Hütten treffe, ist wieder so etwas wie eine Spur zu erkennen, hier verläuft auch die Winterloipe welche mit blauen Stangen markiert ist. Nach einem erbarmungslosen Kampf komme ich dann endlich in Gressli an und bin völlig fertig.
Was für ein Genuss danach noch eine Stunde sehr steil hoch in die Hütte zu laufen, was für ein Tag!

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Eine der hier seltenen DNT Markierungen

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Hyllingvollen

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Über und über voll mit Wollgras

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Der letzte steile Aufstieg zur Hütte

Bei c.a. Hälfte des Weges hoch, verliere ich meine Sonnenbrille (ja es scheint tatsächlich zwischendurch mal die Sonne). Das Terrain ist ein Schlammgebiet und doch laufe ich nach Ankunft in der Hütte nochmals alles zurück, denn ich weiss ungefähr wo sie liegen könnte. Und ich finde sie tatsächlich und mühe mich danach wieder den Weg hoch. Jetzt bin ich aber definitiv bedient!

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Die Græslihütte DNT
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Blick zurück
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Trockenzeit

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Hüttenzeit

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Kochzeit

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Ich muss wohl kaum erwähnen dass ich die Hütte für mich habe, auf jedenfall bis zu dem Zeitpunkt, als ich um 21.00 im Schlafsack liege und es plötzlich laut an der Türe klopft! Ich wundere mich doch ein wenig, dass sich bei diesem Wetter sonst noch jemand in die Hütte wagt und dass um diese Uhrzeit. Ein grosser stämmiger Mann mit Vollbart und grossem Rucksack steht in der Türe, klatschnass und mit einem ebenso erstaunten Lächeln wie ich auf dem Gesicht. André aus Stavanger, ein Lehrer der sich mal kurz eine Auszeit nimmt und sich ein paar Tage die Ruhe der Hütte und des National Parks gönnen will. Nachdem ich ihm einen heissen Kaffee gemacht habe, stehen wir noch lange draussen vor der Türe und geniessen den Wahnsinnsabend mit dieser sensationellen Stimmung (welche noch etwas intensiver wird, als sich herausstellt dass André ein Sixpack Bier mit dabei hat, dass er gerne mit mir teilt). Es ist wirklich ein sehr netter Abend mit sehr philosophischen Ansätzen über Sinn und Unsinn im Leben, Tusen Takk André!

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Lichtspiele bei der Græslihütte

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Nach einer doch etwas kurzen Nacht, aber ich habe herrlich geschlafen, sitze ich noch lange mit André beim Frühstück. Wir führen unsere Diskussion noch etwas weiter und hätten wohl noch einen ganzen Tag verquatschen können, doch ich will weiter, denn das Wetter wird nun wirklich etwas besser. Ich habe für den gestrigen Tag von Nordpå bis zur Græslihytta über neun Stunden gebraucht, veranschlagt sind aber laut DNT deren sechs Stunden! Daran kann ich sehen dass die Wegverhältnisse, obwohl einiges besser als weiter unten im Süden, immer noch sehr schlecht sind und man wesentlich mehr Zeit braucht als angegeben.
Für die nächste Etappe zur Schulzhütte DNT sind 21 Kilometer beschrieben, was normalerweise etwa 7-8 Stunden bedeuten würde. Ich rechne aber mit rund 9-10 Stunden, also muss ich etwas früher starten als dass ich mir das gewohnt bin. Nach einer herzlichen Verabschiedung geht es also weiter, weiter zum Skarvan og Roltdalen National Park.

Jetzt geht es los……….Teil 9/13: Norge på langs läuft

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