Setesdal- und Syrdalsheiane 2021 (Norwegen)


Und wenn man nicht mehr dran glaubt, passiert es plötzlich doch! Der Tourbericht 2021 ist da und gibt dieses Mal tiefere Einblicke ins Wettergeschehen des südnorwegischen Fjells.

Reisen wo es möglich ist…

Es war schon Mitte September, als ich meine Hoffnung, Norwegen 2021 besuchen zu dürfen, endgültig begrub. Die Schweiz war mittlerweile zum traurigen Rekordhalter des Corona-Inzidenzwerts in Europa geworden. Da Norwegen seit Anbeginn der Pandemie, einen sehr restriktiven Weg verfolgt hat und auch den Schweizern fast ein Jahr lang die Einreise praktisch verunmöglichte, war klar, dass jetzt wieder reagiert werden würde. Der von Anfang August, auf mittlerweile Ende September verschobene Wanderurlaub, würde wohl wie 2020, in der Schweiz stattfinden müssen. Da ich schon fast ein wenig damit gerechnet hatte, habe ich auch kaum etwas geplant für den Norden, umso mehr staunte ich, als mir die norwegische Botschaft überraschenderweise Reisefreiheit vermeldete. Noch ehe ich die Meldung fertiggelesen hatte, war der Flug nach Oslo gebucht!

Da hatte ich nun den Hinflug am 20.9. und den Rückflug am 2.10. in der Tasche und sonst….nichts! Also hiess es jetzt innerhalb ein paar weniger Tage planen, organisieren und sich irgendwie im Corona-Massnahmen-Dschungel eines anderen Landes zu Recht finden. Doch zuerst stand die Frage im Raum:

Wohin des Weges…

Da der Kalender mittlerweile schon Mitte September zeigt, ist das Wetter und die Verhältnisse prioritär bei der Entscheidung. Sehr gerne wäre ich natürlich Richtung Narvikfjell, oberhalb des Polarkreises gegangen, doch da muss alles stimmen, den bei Schnee und Eis kann das dort ganz schön ungemütlich werden.


Seit Jahren bediene ich mich in Wetterfragen bei drei Webseiten, die ich freundlicherweise von einem erfahrenen Meteorologen empfohlen bekommen habe. Eine davon ist eine sogenannte Isobarenkarte, bei welcher, einfach ausgedrückt, die Strömung von Tief- und Hochdruckgebieten prognostiziert werden kann. (Eine genauere Erklärung zu dieser und ähnlichen Prognosemöglichkeiten im Norden, stelle ich demnächst in „Martins A-Z„-Rubrik vor.) Wetter Apps benutze ich nur als Ergänzung, da sie oft eher vage und ungenau sind, vor allem auf langfristige Prognosen hinausgesehen.

Anfang bis Mitte September beginnt die Zeit, in welcher die ersten Herbststürme über den Atlantik Richtung norwegische Küste brausen. Wettermässig liegt jetzt alles drin, von mildem und schönem Herbstwetter, bis zu heftigsten Stürmen und dies innerhalb kürzester Zeit. Und so legt sich mein Hauptaugenmerk auf dieses kleine, fiese Sturmtief über Grönland, dass sich gerade auf den Weg nach Nordnorwegen macht.

Quelle: www1.wetter3.de

So schön sich die blaue und vor allem violette Farbe auf der Karte ansehen lässt, so ungemütlich können diese Farben im nördlichen Fjell werden. Hinzu kommt, die eng aneinanderliegenden Isobarenlinien, deuten auf heftige Winde und Stürme. Die Mehrtagesprognose zeigt ziemlich eindeutig, dass sich dieses Sturmtief in den nächsten Tagen leicht vergrössert und weiter gegen Osten zieht.

Somit wäre nun mal klar dass es nicht in den hohen Norden gehen wird, sondern dass ich von Oslo aus, mehr in den Südwesten fahren werde. Und auch wenn es nicht vorgesehen war 2021, so kann ich mich ja nun einer Etappe für mein Projekt widmen.
Ein weisser Fleck auf meiner Wanderkarte sind die Gebiete um die Setesdal- und Syrdalsheiane, hoch bis ins Haukelifjell, angrenzend an die Hardangervidda.

Das Ziel ist definiert…

Es gibt mittlerweile zwei Punkte, die ich bei jeder Planung als erstes definiere. Zum einen plane ich die Tagesetappen, wenn immer möglich, von Hütte zu Hütte, egal ob das Zelt dabei ist oder nicht. Dies aus Sicherheits- und auch Komfortgründen. Falls das Wetter mal mieser ist als angenommen, weiss ich mich jeden Abend in einer Hütte am trockenen und in der Wärme. Ich habe in meinem Leben mehr als genug bei misslichsten Verhältnissen im Zelt ausgeharrt, um den Komfort einer gemütlichen Wanderhütte zu schätzen. (Dies wird wohl meinem fortgeschrittenen Alter zuzuschreiben zu sein 😉 ). Wenn ich die Hütte dann doch nicht brauche, weil ich einen schönen Zeltplatz gefunden habe… umso besser!
Zum anderen plane ich immer mindestens einen oder besser zwei Reservetage ein. Den zeitlichen Druck, an einem bestimmten Tag, an einem bestimmten Ort sein zu müssen, soll so klein wie möglich sein!

Und plötzlich geht alles ganz schnell mit der Planung:

Von Valle aus rauf auf die Setesdalheiane und längs der Syrdalsheiane nordwärts, über acht DNT-Hütten bis nach Haukeliseter. Dies bedeutete aber neun Tage unterwegs zu sein, kein Reservetag und auch nur sehr beschränkte „Notausstiege“ um die Tour abzukürzen. Aber gut, ein bisschen Risiko kann man akzeptieren und im äussersten Notfall, könnte ich eine Hütte übergehen und dann halt zwei sehr lange Etappen einschieben.

Wie so oft braucht in Norwegen, die Anreise an einen bestimmten Punkt sehr viel Zeit und auch der Rückweg zur Abreise wird oft nicht besser. Aber die Zeitplanung steht nun fest:

  • Abflug am Abend nach Oslo und Übernachtung am Flughafen.
  • Busfahrt mit dem Haukeliexpressen nach Haukeli und anschliessend Weiterfahrt nach Valle mit Adger Bus.
  • Übernachtung im Bergtun Hotell in Valle.
  • Tag 1 bis Tag 9 via DNT-Hütten : Bossbu, Kringlevatn, Storsteinen, Hovatn, Krossvatn, Jonstølen, Bleskestadmoen, Holmavatn und Haukeliseter.
  • Übernachtung in Haukeliseter.
  • Bus mit Haukeliexpressen nach Oslo und Übernachtung am Flughafen.
  • Rückflug frühmorgens in die Schweiz.

Ein dicht gedrängtes Programm, aber „humane“ Tagesetappen von 15 – 26 Kilometer und den grossen Vorteil, täglich eine Hütte am Weg zu haben. (Zusätzlich muss ich dieses Jahr für jede Hütte aus Coronagründen eine Vorreservierung machen, die ich im Vorfeld tätigen muss. Die Heiane hat nur sehr geringe Mobildeckung für Handys und Internet ist sowieso kaum vorhanden.)

Sämtliche Sachen sind gebucht und reserviert, das Gepäck ist mittlerweile flugs gepackt und innerhalb zweier Tage steht die Reise!

Und da war ja noch das Wetter…

Täglich habe ich nun auf die Wetterkarte geschaut und nun muss ich feststellen, dass mir der Jetstream, also die Höhenwinde, gerade ziemlich übel mitspielen. Das Sturmtief hat sich wie vorausgesagt etwas vergrössert, scheint aber nun definitiv mehr Lust auf den Süden zu haben und schrammt ziemlich zügig die Westküste Norwegens runter, während es ein erhofftes grosses Hoch über Grossbritannien zurückdrängt!
Die Wetterprognosen siedeln sich nun am untersten Rand des möglichen an:

Von Tag zu Tag werden die Prognosen schlechter. Aber was soll`s, wird ja wohl nicht so schlimm werden und so mache ich mich auf die Reise……

Der Transfer nach Valle läuft wie geschmiert und mittlerweile hat sich die Wetterprognose auch wieder etwas auf die positive Seite geschlagen, nicht gut, aber immerhin etwas weniger Regen.
Unterwegs im Bus, bekomme ich einen Anruf der Besitzerin des Hotel Bergtun in Valle. Ich sei der einzige Gast und sie habe mir das Hotel inkl. vorbereitetes Frühstück bereit gestellt, ich solle mich wie zuhause fühlen! Aha….. Martin alleine im Hotel Bergtun, wird schon funktionieren.

Das altehrwürdige Hotel Bergtun in Valle

Nach einer „Hamburger-Henkersmahlzeit“ in der benachbarten Tankstelle, einem Einkauf im Supermarkt und dem Besuch im Valle Sportshop wo ich noch eine Karte und Gas besorge, geht es ans umpacken des Rucksacks.

Immer wieder schiele ich auf die Wetterprognose und kann zumindest jetzt die positive Entwicklung sehen, dass ich morgen den ersten Tag, bei gutem Wetter in Angriff nehmen kann. Dann folgen zwei Tage mit relativ viel Regen und starkem Wind und danach wird es wohl ein ewiges auf und ab geben.

Valle im Setesdal

Vesthei / Ryfylkeheiane

Wer sich aufmacht um das Gebiet der Vesthei, oder auch Ryfylkeheiane genannt, zu erkunden und erwandern, dem blüht als erstes, ein Anstieg mehrerer hundert Höhenmeter auf das Hochfjell. Egal ob West, Süd oder Ost, überall stehen zuerst rund 700-900 Meter Aufstieg an, um das Fjell, dass zwischen 900 und 1200 Höhenmeter liegt, zu erreichen. Einzig im Norden fährt man auf der Hauptstrasse 134, welche nach Bergen führt, direkt an den Haukeliseterpass auf 1000 Meter über Meer heran.
Doch führen an praktisch allen Zustiegsorten der DNT-Wanderwege, kleine Strassen hoch und es gibt Parkplätze, von wo aus die „Einstiegshütten“ des DNTs, wie Gaukhei, Kvinnen, Tjønndalen oder Bossbu in Halb- oder Tagesmarschweite erreichbar sind. In Haukeliseter oder Hovden fährt man sogar mit dem öffentlichen Bus vor.
Die Vesthei ist mit vielen DNT-Hütten erschlossen, welche alle offen stehen (ohne DNT Schlüssel) und besitzen als Selbsversorgerhütten auch praktisch alle einen Proviantraum, in dem man haltbare Lebensmittel käuflich erwerben kann (siehe auch DNT-Hütten). Die Ryfylkeheiane ist eines der grössten Rentierschutzgebiete Norwegens und besitzt auch noch eine grosse Anzahl wilder Rentiere. Diese sind mittlerweile aber sehr oft mit den domestizierten Rentieren vermischt und kaum voneinander zu unterscheiden. Eine gewisse Anzahl darf im Herbst gejagt werden. Das ganze Gebiet ist aber Hochschutzgebiet und Rücksicht auf Fauna und Flora soll selbstverständlich sein.

Als Besonderheit gilt sicher der Winter. Die Vesthei ist flächenmässig der Ort in Norwegen, mit den meisten Schneefällen. Es kann also gut sein, dass auch noch Ende Juli oder Anfang August Schneefelder zu queren sind und Schmelzwasser in den Bächen, Hindernisse bieten kann.
Mit der kleinen, asphaltierten Strasse 450, führt sogar eine Abkürzung zwischen dem Setesdal und Stavanger quer über das Fjell. Diese Strasse ist aber vom Herbst bis zum Sommeranfang aufgrund der riesigen Schneemengen geschlossen,

Am Hoteleingang hängt ein Plakat eines Taxiunternehmers im benachbarten Ort Rysstad. Er führt fast täglich Wanderer die Serpentinenstrasse hoch nach Berg, wo der Wanderweg Richtung Bossbu beginnt. Von Valle aus sind das schon mal acht Kilometer und gute 400 Höhenmeter und danach erwarten mich bis Bossbu ja noch 800 Höhenmeter und c.a. siebzehn Kilometer. Den Start kann ich mir sparen, in Anbetracht dessen, dass ich wieder mal Lebensmittel „an Bord“ habe, mit denen ich locker drei Wochen überleben könnte.
Aber der Taxifahrer muss leider um 7.00 nach Stavanger und so bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Lebensmittelladen selber hochzuschleppen! Naja, ist egal, heute ist der erste Tag, das Wetter soll nach dem Mittag richtig schön werden und ich habe ja genug Zeit.

Berg

Auf geht`s…

Nach zwei Stunden stehe ich am Ende der kleinen Strasse und begebe mich auf den Pfad, der mich zuerst zu der kleinen DNT-Hütte Stavskar führt, an der ich die Mittagspause eingeplant habe.
Der Weg führt mich durch Birkenhaine und Buschland, dass sich schon gelb und rot in Herbstfarben präsentiert. Der kalte Wind lässt die Jahreszeit erahnen, doch die kleinen Sonnenmomente, zeigen noch immer Kraft und Wärme.

Vorbei am Rennevatnet, erblicke ich schon bald, etwas hinter einem Hügel versteckt, die kleine Hütte Stavskar. Doch da stimmt was nicht…?

Die DNT-Hütten bestehen aus immer mindestens zwei Hütten: der Haupthütte und der sogenannten Sicherungshütte. Dies, wie der Name sagt, aus Sicherheitsgründen, wenn eine der Hütten z.B. abbrennt oder zerstört wird, so ist mindestens noch eine Schutzhütte vor Ort.
Doch die Sicherungshütte von Stavskar liegt rund zwanzig Meter von ihrem Standort entfernt und ist komplett zerstört!
Später erfahre ich, dass diese durch einen Wintersturm vom Wind weggeweht wurde. Trotz ihrer eher leichten Bauweise, braucht es doch ganz schön viel Wind um das Haus gleich fortzutragen. Dass dieses Bild der Hütte schon 24 Std. später ziemlich sinnbildlich werden könnte, ahne ich hier noch nicht!

Die Hütte ist klein und sehr gemütlich und ich trage mich im Hüttenbuch als Tagesgast ein (dass ich neuerdings in einer App des DNTs anklicken und bei nächster Empfangsmöglichkeit, sogleich bezahlen kann. Tusen takk DNT für diese Möglichkeit!). Da ich etwas Gas in der Küche der Hütte brauche und mich einen Moment hinlege, zähle ich als Tagesgast und bezahle einen kleinen Obolus für meinen Aufenthalt. Ein wichtiger Beitrag um dieses wunderbare System am Leben zu erhalten.

Die Stärkung und die kleine Pause kann ich sehr gut brauchen, denn hinter der Hütte geht es steil zum knapp 1200 Meter hohen Krokvatnetpass hoch, der unmittelbar neben dem höchsten Punkt der Valleheja liegt, dem 1400 Meter hohen Skarvarnuten, ein beliebter Ausflugs“berg“.

Das Wetter wird immer besser und die Sonne lässt mich den Pass hochschwitzen (was freue ich mich schon hier, auf mein kühles Bier im Rucksack, dass ich immer auf die erste Tagesetappe, zur ersten Hütte mitschleppe!).

Rennevatnet und im Talboden, die Stavskarhütte

Auf dem Krokvatnetpass, Blick Richtung Norden

Auf dem Pass mache ich kurz eine Pause. Gestern habe ich beim norwegischen Telekomunternehmen Telenor die Mobildekkingskart runtergeladen, eine Karte auf welcher Gebiete mit Mobilnetz ersichtlich sind. Diese unterscheidet Gebiete, welche nur über Telefonempfang verfügen und jenen, welche auch Internet gewährleisten.
Der angekündigte Sturm beunruhigt mich doch etwas, auch wenn ich in ein paar Stunden in einer Hütte bin. Hier auf dem Pass ist für längere Zeit, die letzte Möglichkeit, an Wetterinformationen zu kommen. Der norwegische Wetterdienst: yr.no lässt mich aber sogleich ziemlich leer schlucken. Aus zwei Tagen Regenwetter mit starkem Wind, ist für den nächsten Tag ein veritabler Orkan vorausgesagt, mit mittlerem Wind von rund 30-35 Meter/Sekunden und Spitzen mit 40-45 Meter/Sekunden. Dass heisst Faktor, mal 3.6, und das würde Windböen von über 150 Stundenkilometern bedeuten!! Von der Küste bis weit über die Vesthei und Austhei ist eine Orkanwindwarnung aktiv, inkl. rund 70-80 mm Regen und Schneefall und für den übernächsten Tag etwas weniger Wind, dafür noch etwas mehr Regen.

Da sitze ich nun an der wärmenden Sonne, blinzle in den blauen Himmel und muss schon fast ein wenig lachen. „Und genau wegen Dir, habe ich Nordnorwegen vor ein paar Tagen fallen gelassen“, rufe ich etwas sarkastisch gegen Nordwesten zum herannahenden Sturmtief.
Nur die Laune nicht verderben lassen, ich bin ja hier im wunderschönen Herbstfjell, geniesse die wunderschönen Farben, der kühle Wind um die Nase und die unglaubliche Stille und da am Horizont, sehe ich schon den See Botnsvatnet, an dessen Ostende die DNT Hütte Bossbu steht.

Ganz im Hintergrund der See Botnsvatnet

Ich mache mich auf den Weg und freue mich über das leichte Terrain und den guten Weg. Die sieben Kilometer werde ich wohl noch mit Genusswandern hinter mich bringen und somit war dann dieser Tag halb so anstrengend wie vermutet. Doch die Gefühlswelt könnte im Moment gerade nicht unterschiedlicher sein. Zum einen bin ich richtig glücklich endlich wieder im Fjell zu sein, den Rucksack am Rücken zu spüren und die ganze Szenerie in mich einzusaugen, zum anderen wird mir gerade klar, dass mein schöner Plan mit ziemlicher Sicherheit gerade den Bach runter geht. Auch mit dem grössten Optimismus, glaube ich in diesem Moment nicht mehr daran, in acht Tagen Haukeliseter zu erreichen.

Aber es geht mir auch gerade etwas grundsätzliches durch den Kopf. Warum fällt es mir oft noch so schwer, mich von den Fernwanderern Grundsätzen zu lösen? Eigentlich brauche ich doch gar keinen Plan von A nach B zu wandern? Ich könnte doch nun einfach ein paar Tage in der Bossbu Hütte bleiben, Tagesausflüge zu anderen Hütten oder in die Umgebung machen und dann wieder zurückkehren? Einfach sehen was der Tag bringt?
Doch vielleicht ist es eben gerade der Reiz, vorwärts zu kommen, nicht am selben Ort stehenzubleiben, neues zu entdecken und schlussendlich auch die Herausforderung, in acht Tagen rund 200 Kilometer weit zu kommen. Vielleicht zwingt mich gerade dieses Sturmtief, einen Mittelweg zu finden. Ein Gedanke der mich angesichts der vielen Fernwanderer-Touren in den letzten Jahren amüsiert und ich doch irgendwie spannend finde, quasi Entwicklungsarbeit!

Låghellervatnet

Die Farben und das Licht sind einfach gewaltig und lassen mich immer wieder anhalten, um zu staunen. Warum sind die Farben im Norden so intensiv, dass man oft das Gefühl hat, bei den Bildern wurde nachgeholfen? Natürlich sind es die Herbstfarben im allgemeinen, doch es sind weitere Faktoren die das Bild beeinflussen. Mittlerweile steht die Sonne zu dieser Jahreszeit relativ tief am Horizont und die Zugbahn am Himmel verläuft sehr flach. Daher hat man oft schon am Mittag das Gefühl, es sei schon 15.00 oder 16.00 am Nachmittag und die Sonne werde demnächst untergehen. Die Schatten werden länger und zeichnen die Konturen viel filigraner auf den Boden. Hinzukommt bei schönem Wetter, dass die Luft zum Teil kristallklar ist und keinerlei Dunst oder Staub das Licht brechen kann. Die Farben werden dadurch um einiges intensiver wahrgenommen und die Kontraste erhöhen sich dementsprechend.

Tag 1 das Ziel ist erreicht und nun?…

Eine letzte Kuppe und schon blicke ich auf die zwei riesigen Hütten von Bossbu. Ich staune, den so etwas habe ich gar nicht erwartet, den ich habe mich beim planen mehr den Wegen und Hüttenstandorten gewidmet, als der Art der Hütten.

Die zwei Hütten sind identisch gross und bei der Sicherungshütte hängen auch schon einige Plastiksäcke vor der Türe. Nicht schwer zu erraten dass Jäger anwesend sein müssen, denn zu dieser Zeit ist noch Jagd und die Grundeigentümer haben während der Jagd Anrecht, diese Hütten zu benutzen. In der Regel belegen sie die Sicherungshütte als „Basislager“, während die Wanderer die Haupthütte für sich in Beschlag nehmen können. Über diese Teilung sind die meisten Wanderer nicht ganz unglücklich, denn in den Plastiksäcken vor der Türe, sind sicher einige geschossene Rypen (Schneehühner), Fische und wahrscheinlich auch Bestandteile von erlegten Rentieren.

Ich trete in die Haupthütte ein und staune nur noch Bauklötze. Auch wenn ich die alten, heimeligen Hütten lieber habe und gemütlicher finde, sind solche „Wanderpaläste“ auch nicht ganz übel. Mehrere Zimmer, ein voll aufgefüllter Proviantraum mit allerlei Leckereien, eine riesige Wohnküche mit Panoramafenstern auf den See und sogar ein Indoorklo, was für den nächsten Tag noch gewaltige Vorteile haben wird!

Ich beziehe mein Zimmer und Bett, breite mich aus und setze mich auf die Terrasse an die Sonne. Ich bin noch alleine in der Hütte und bei diesen Wetterprognosen werde ich das wohl auch bleiben. Ich geniesse mein Feierabendbierchen, knabbere an ein paar Salznüssen, als ich am Horizont zwei Menschen auftauchen sehe, die etwas schweres ziehen. Schon bald erkenne ich die Jäger mit einem Rentier im Schlepptau, dass sie am Seeufer hinterlegen und wieder in die selbe Richtung gehen, woher sie kamen. Kurz darauf erscheinen sie nochmals mit einem Rentier, dass sie nun in ein Motorboot verladen und unweit der Bossbuhütte, zu ein paar anderen Hütten am Seeufer schippern. Als sie später zur DNT Hütte rüberkommen, gehe ich ans Ufer und begrüsse die zwei älteren Jäger. Beide jagen schon seit fast 50 Jahren in dieser Gegend und erzählen mir, dass sie heute Morgen c.a. 200 Rentiere sahen und sogleich ihr Maximum von drei Tieren jagen konnten. Nun wollen sie vor dem Sturm noch das dritte Tier in Sicherheit bringen. Die erlegten Tiere lagern sie ausserhalb der Wanderhütten in privaten Unterkünften, aus Pietätsgründen wie sie sagen. Das „Wohnen“ während der Jagd sei aber in den DNT Hütten viel angenehmer, vor allem weil sie diese während der Jagd als Grundbesitzer auch benutzen dürfen.

Nun ja, die Jagd gehört nun mal dazu und ist zum Glück auch streng reglementiert. Ich habe diese Tiere allerdings definitiv lieber lebendig!

Farbenspiel in Bossbu
Ein exzellenter Platz für Wanderhütten!
Die neue Hängebrücke nach Svartenut

Die Jäger schaffen es gerade noch zurück in die Unterkunft, als von Westen eine weisse Wand über den See heranrollt. Mit einem richtigen Donnerknall peitscht die Sturmfront an die Panoramafenster und die ganze Hütte wackelt!

Der Sturm kommt….

Heftiger Eisregen setzt ein und der Wind wird im Nu stärker und böiger. Da geht plötzlich die Haustüre auf und ein bärtiger Mann mit grossem Rucksack steht klitschnass im Korridor.
Schnell sehe ich dem Mann an, dass das nicht ein „normaler“ Wanderer ist, der muss länger unterwegs sein. Der 62 jährige Tom aus Porsgrunn an der Südküste Norwegens, ist tatsächlich seit Anfangs Juni, vom Nordkap kommend, auf Norge på langs unterwegs. Er ist also im Endspurt zum Kap in Lindesnes, wo er in rund 9, 10 Tagen ankommen möchte. Soeben ist er von Bykle im Setesdal hochgestiegen und ziemlich froh, auf die Hütte zu kommen.

Innert weniger Minuten hat sich der Sturm voll entwickelt und mittlerweile tobt es draussen ziemlich ungemütlich….

Die Hütte zittert….

Tom und ich sitzen bei einer guten Tasse Kaffee auf dem Sofa vor den grossen Fenstern, im Hintergrund knistert der Jøtul Ofen und wir haben uns sehr viel zu erzählen! Ich freue mich sehr, dass ich ihn hier treffe und wir uns unsere Anekdoten der „Tour“ um die Ohren hauen können.


Auch Tom hat die Wetterprognosen mitbekommen und rechnet für den nächsten Tag damit, hier zu bleiben. Die beiden Jäger von nebenan, haben mir auch dringend davon abgeraten, morgen weiterzugehen, Die Etappe morgen zur DNT-Hütte Kringlevatn, ist mit zwanzig Kilometer zwar nicht die längste, aber die angegebene Marschzeit von mindestens acht Stunden zeigt, dass sie nicht ganz ohne ist. Ein ewiges auf und ab und viele Steine, sind bei schlechtem Wetter kein Motivator und bei dem zu erwartenden Wind auch nicht ungefährlich.

Das war es dann mit dem Plan…

Mein Trip nach Haukeliseter wird also schon am ersten Wandertag vom Winde verweht, nun heisst es wohl improvisieren. Aber gut, ich werde ja jetzt wohl einen ganzen Tag Zeit haben, mir einen neuen Plan zurecht zu legen!

Die ganze Nacht tobt der Sturm mit aller Wucht, der mittlerweile Orkanstärke erreicht. Die Hütte wackelt und der Eisregen peitscht an die Fenster und zwischendurch schneit es wie an Weihnachten. Tom und ich verbringen den Vormittag bei viel Essen und Kaffee auf dem Sofa und nun ist es definitiv ein grosser Vorteil, nicht raus auf`s Klo zu müssen. Die Böen sind oft so stark, dass man sich mit Sicherheit nicht mehr auf den Beinen halten könnte. Die Jäger in der anderen Hütte winken uns ab und an durch das Fenster zu, auch sie bleiben im Schutz der Hütte.

Es ist wirklich wild, doch ab und zu scheint sogar kurz die Sonne und eine Minute später hagelt es wieder blankes Eis an die Fenster. Doch die Zeit vergeht wie im Flug und plötzlich wird es still ums Haus und die Sonne zeigt sich. Wir scheinen direkt im Zentrum des Tiefs zu sein, dass sich ähnlich anfühlt, wie das Auge eines Hurrikans. Für kurze Zeit scheint alles vorbei zu sein und ich nutze die paar Minuten, um 300 Meter von der Hütte weg, auf einen kleinen Hügel zu steigen, wo es laut Deckungskarte von Telenor, etwas Mobilempfang gibt. Schnell gebe ich Zuhause Bescheid, dass es seine Richtigkeit hat, wenn der SPOT Notempfänger, mit dem ich meine Touren für die Daheimgebliebenen aufzeichne, sich plötzlich südwärts und nicht mehr nordwärts bewegen wird. Den so wie es aussieht, werde ich meinen Weg nun südwärts umlegen, da ich einfach zuwenig Zeit habe und ich nordwärts nirgendwo früher aus dem Fjell raus kann.

In der Ferne schiesst schon die weisse Wand des wieder aufkommenden Sturms heran und ich mache mich schleunigst zur Hütte auf. Gerade rechtzeitig bin ich zurück und hinter mir kommen gleich noch drei Männer mehr herein. Es sind drei Jäger, die die kurze Sturmpause genutzt haben, um von ihrer eigenen, rund eine Stunde entfernten Jagdhütte, hierherzukommen. Die Männer atmen tief durch als sie in die Hütte eintreten… “ das war sehr viel Glück“ meint einer der drei, während draussen der Wind wieder Orkanstärke erreicht hat.

Nach vielen Stunden mit interessanten Gesprächen, steht einer der Jäger auf und holt eine grosse Tasche von draussen rein. „Eigentlich waren die Braunforellen für Zuhause gedacht, aber zur Feier des Tages, brate ich heute für uns alle ein leckeres Fischgericht, was haltet ihr davon?“

Wir strahlen alle wie die Sonne und freuen uns riesig auf dieses Angebot!

Bis spät in den Abend sitzen wir gemütlich auf den Sofas, während draussen die Hölle los ist.

Am Nachmittag haben Tom und ich mal die Optionen für den Weiterweg angeschaut. Nordwärts ist bei mir gestrichen, auf der Hütte bleiben und von hier aus Touren zu machen, ist mir wegen dem Wetter zu unsicher, also bleibt eigentlich nur der gleiche Weg wie bei Tom….Südwärts!
Morgen soll es laut Prognose „nur“ noch regnen und so wären die zehn Kilometer, durch einfaches Gelände, bis zur DNT-Hütte Svartenut, problemlos zu machen. Tom behält sich die Option offen, noch am selben Tag die weiteren fünfzehn Kilometer zur DNT-Hütte Øyufsbu anzuhängen…..falls das Wetter mitspielt.
Ich werde aber definitiv in Svartenut bleiben und dann, die voraussichtlich folgenden zwei wettermässig guten Tage nutzen, und meinen Weg aus der Vestheia ins Setesdal fortsetzen.

Ein neuer Tag…

Die Nacht wird noch mal extrem heftig und laut und erst als es langsam hell wird, hört das dröhnen draussen auf. Nach dem Frühstück läuft Tom etwas vor mir los, um früh genug dran zu sein, falls sein Weg heute noch weiter geht. Nach der vierten Tasse Kaffee und der Verabschiedung von den drei Jägern, ziehe auch ich los und sehe gerade noch, wie Tom am Horizont verschwindet. Wir werden uns in Svartenut wiedersehen, da er so oder so, dort eine längere Pause einlegen will.

Mystisch, wie das Fjell sein trübes Gesicht zeigt.

Es regnet, aber es ist kaum Wind spürbar und so wird es ein leichtes sein durch das Fjell zu kommen. Kurz nach der Bossbuhütte laufe ich über die neue Hängebrücke und dann etwas matschig, am Kolsvatnet entlang. Perfekt wasserdicht in Regenkleidung verpackt, laufe ich durch die wunderschöne Landschaft, die selbst jetzt, bei Nebel und Regen immer noch mit leuchtenden Farben brilliert.
Nach knapp einer Stunde stehe ich auf dem Auguntjørnristi, einem kleinen Pass, und erblicke auf der anderen Seite die drei Hütten, von wo gestern die drei Jäger zur Bossbu aufgebrochen sind. Ich erschrecke, als plötzlich in meiner Beintasche mein Smartphone in allen Klängen zu pfeifen beginnt und mir signalisiert, dass ich nicht nur Mobilempfang zum anrufen habe, sondern auch eine Internetverbindung. Dies muss ein ziemlicher Zufall sein, den die drei Jäger haben mir noch gesagt, dass hier nirgendwo Empfang sei. Also schnell aus der Tasche raus und rein in die Wettervorhersage. Dieses Mal gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Die schlechte ist, dass hier in c.a. 1-2 Stunden der Wind wieder Orkanstärke erreichen kann und es heftige Niederschläge gibt. Die gute ist, die nächsten zwei Tage soll es perfektes Herbstwetter mit milden Temperaturen geben! Drei Tage später soll es dann allerdings wieder ziemlich übel, mit sehr viel Regen werden.

Am Horizont sehe ich in der Luft schon die Gischtwolken, die davon zeugen, dass sich heftiger Wind mit Regen vermischt. Also nichts wie los und weiter zur Svartenuthütte. Es wäre unglaublich schönes Terrain hier und absolute Traumplätze zum campieren, doch das Wetter jagt mich über das Fjell. Schon bald erreiche ich die Hütte, in der Tom gerade ein Feuer im Ofen macht. Er sieht auch schon so aus, dass er hier kapituliert und in der Hütte bleibt. Spätestens nach meinen neuen Wetterinfos wird es auch definitiv. Zwei Jäger finden sich noch ein und kaum ist die Türe hinter ihnen ins Schloss gefallen, fängt das ganze Spiel draussen wieder von vorne an. Die Svartenuthütte ist eine etwas ältere Hütte und so knackst und pfeift es deutlich lauter um`s Haus als in Bossbu.
Den ganzen Nachmittag sitzen wir mit den beiden Jägern in der „Stube“, reden und trinken Tasse um Tasse Kaffee, essen was die Mägen aufnehmen mögen. Rausgehen ist mittlerweile kaum mehr möglich, da die Haupttüre direkt im Sturm steht und so der Wind volle Angriffsfläche auf die Türe und den Eingang hat. Und hier gibt es kein Indoorklo, sondern nur eines, 30 Meter weg, in der sehr kleinen Sicherungshütte.
Die beiden Jäger hatten definitiv sehr viel Glück, denn sie kamen mit einem kleinen Motorboot von der Setesdalstrasse und dem dort liegenden Damm, über den Stausee Rosskreppfjorden in die Nähe von Svartenut. Das wäre auf dem Wasser mit diesem Sturm noch ziemlich ungemütlich geworden!

In weiser Voraussicht, habe ich mein Zimmer auf der windabgewandten Seite der Hütte gewählt und das zahlt sich nun aus. Aber trotz allem wird die Nacht alles andere als ruhig. Die Hütte bewegt sich auf alle Seiten und weil sie auf Stelzen steht, fühlt man das grollen sogar unter den Füssen. Ein Toilettengang wird unmöglich und wäre sogar gefährlich. Diesen Böen würde man nicht standhalten und schon das öffnen der Türe, wäre wegen dem Überdruck von aussen, kaum machbar.

Doch ich stecke mir Ohrstöppsel in die Ohren, ziehe die Decke über den Kopf und sage mir, dass diese Hütte mit Sicherheit schon heftigeren Stürmen standgehalten hat! Und tatsächlich, als ich erwache, ist nur noch ein gleichmässiges rauschen hörbar. Die Hütte steht noch, es hat keine Böen mehr und…….. die Blase drückt unheimlich.
Es ist ruhig geworden und am Horizont geht zögerlich die Sonne auf. Innert weniger Sekunden erfüllt die Landschaft ein Farbenspiel, wie ich es noch selten gesehen habe. Mittlerweile stehen alle vier draussen und staunen nur noch, über diese gewaltige Schönheit.

DNT-Hütte Svartenut

Ich kann kaum frühstücken. Immer wieder geht der Blick raus und ich geniesse diese unglaubliche Schönheit, diese vollkommene Ruhe.


Tom und ich haben beschlossen, heute zusammen zur DNT-Hütte Øyuvsbu zu laufen und den Tag zu geniessen. Die fünfzehn Kilometer sind ein leichtes, denn die Topographie ist sehr abwechslungsreich in der Vesthej. Ein ewiges Auf und Ab, aber keine grossen Steigungen und die Hügellandschaft macht einfach richtig Spass.

Als wir losmarschieren, sind die Jäger ebenfalls los, werden aber für die nächsten Tage hier in Svartenut bleiben. Es ist kaum vorstellbar wie lieblich sich die Landschaft plötzlich ohne Wind präsentiert. Von Hügel zu Hügel, durch kleine Täler, entlang von kleinen Bächen und Mooren, zieht der Weg Südostwärts.

Ein Paradies zum wandern.

Tom und ich sind bester Laune, geniessen den Tag in vollen Zügen und die Kilometer ziehen schon fast im Eiltempo an uns vorbei. Das morgen nochmals ein gleicher Tag folgen soll, ist wahrlich ein Geschenk. Auch Tom schätzt dies über alles, hatte er doch für seine Tour, einen der schlimmsten Sommer im hohen Norden seit Jahren erwischt. Wind, Regen, Schnee und Kälte, waren über mehr als die Hälfte seines Weges, seine Begleiter. Wer könnte das alles besser verstehen als ich und mein Part bei der Tour 2013. Da kann man sich über solche Tage wie heute, noch um einiges mehr freuen! Er wird morgen zur Gaukheihütte laufen und hat dann noch einen Tag im Fjell, bevor ein strapaziöser, langweiliger 4-tägiger Abschnitt auf der Strasse nach Lindesnes folgt. Ich beneide ihn darum um keinen Millimeter, gerade in Anbetracht, dass er keine zwei Autostunden von Lindesnes wohnt! Aber die Tour soll wie geplant auch zu Ende gebracht werden, das ist auch sein Ziel.

Eine Traumlandschaft in kristallklarer Luft

Als wir so vor uns herlaufen und den Tag geniessen, passiert etwas, was mich erstaunlicherweise bis heute sehr bewegt. Man mag mich Warmduscher, Gefühlsdusel oder Softie nennen, doch diese Episode ist bis heute in meinem Kopf hängengeblieben:

Dieses Jahr ist schnell ersichtlich, dass es ein Lemmingjahr ist. Lemminge sind kleine, oft nur faustgrosse, vierfarbige Nager, die man auch die nordischen Meerschweinchen nennt.
Überall wuseln die kleinen Kerlchen rum und man muss richtiggehend aufpassen, nicht auf eines der Tiere zu stehen.
Als ich so vor mich hinlaufe, bemerke ich gerade noch, wie ein Lemming sich im letzten Moment vor meinem rechten Schuh retten kann. Doch die nächste Gefahr kommt schon in der Person von Tom und auch dort schafft er (ja, ich weiss, es ist nicht ganz korrekt formuliert, es könnte auch eine „Sie“ sein, aber ich tippe jetzt mal drauf dass es ein Männchen war 😉 ), es gerade noch so knapp, um nicht plattgedrückt zu werden. Seine Fluchtmöglichkeit ist jetzt aber definitiv an zwei grossen, aneinander liegenden Steinen zu Ende. Er wirft sich auf den Rücken, streckt alle viere von sich, presst sich ganz fest an den Stein, zeigt seine Krallen und scharfen Zähne und schreit jämmerlich um sein Leben! (So interpretiere ich es zumindest). Tom und ich schauen uns etwas ratlos an, aber irgendwie sind wir gerade beide etwas konsterniert und laufen sogleich weiter, um dem kleinen Tierchen eine Flucht zu ermöglichen.
Zuerst muss ich etwas über diese Begegnung schmunzeln, doch je länger ich darüber nachdenke…..bringt es mich zum nachdenken. Da ist so ein kleines unschuldiges Tier, dass in dieser Welt kaum eine andere Aufgabe hat als auf dem Speiseplan anderer Tiere zu stehen und deren überleben zu sichern und muss nun auch noch vor mir, um sein Leben fürchten. Dieser Gedanke weilt noch lange in meinem Kopf und hat mich bis heute nicht losgelassen. Vielleicht war es einfach dieses erbärmliche schreien und pfeifen, diese absolute Machtlosigkeit, in die nie ein Lebewesen kommen möchte…..auch ich nicht!

Lemming, das nordische Meerschweinchen.

Dieser traumhafte Weg bringt uns sehr schnell durch diese fünfzehn Kilometer, obwohl wir immer wieder pausieren und uns Zeit lassen um den wunderschönen Tag, die wunderschöne Gegend zu geniessen.

Die Setesdalstrasse vor uns.

Schon erscheint am Horizont die filigrane Linie des schmalen Asphaltsstreifen der Setesdalstrasse. Ein kurzes, matschiges Sumpfgebiet später, stehen wir an der Strasse und dem grossen Parkplatz, welcher an diesem Tag knallvoll Autos. Ist ja auch kein Wunder, schliesslich ist heute Samstag und das ganze Wochenende Traumwetter angesagt. Der Parkplatz wurde vor allem für die Besucher der DNT Hütten in der Umgebung angelegt und die Øyuvsbuhütte liegt ja gerade mal eine viertel Stunde von der Strasse entfernt. Tom und ich schauen uns an und beiden geht wohl gerade der gleiche Gedanke durch den Kopf: die Hütte könnte heute ziemlich voll sein!

Wir laufen weiter und es hat tatsächlich sehr viele Leute in der Umgebung, es scheint ein beliebter Ort für Ausflügler von beiden Seiten der Vesthei zu sein.

Die Hütte liegt sehr schön in einem kleinen Tal am See Øyuvsvatnet. Es ist eine sehr grosse Hütte mit 34 Schlafplätzen und schon etwas in die Jahre gekommen. Zweifelsohne wird die Hütte sehr oft besucht, doch wir sind vorerst die einzigen, die ein Zimmer in Beschlag nehmen. So sind das definitiv wohl eher Tagesausflügler rund um das Haus bis….. die Türe aufgeht und vier junge Frauen mit ihren sechs Kleinkindern und sehr viel Gepäck reinkommen. Wieder schauen Tom und ich uns an und beide müssen wir schmunzeln: diese Nacht könnte ähnlich laut, wie die im Sturm in Svartenut werden!

Doch alles halb so schlimm und wir sind ja beide ziemlich müde, weil wir letzte Nacht nicht soviel geschlafen haben und wir ja auch etwas gelaufen sind.

Immer der Sonne nach…

Wir sitzen beide beim Frühstück, der See draussen ist spiegelglatt, keine Wolke am Himmel, es könnte nicht schöner sein. Tom wird heute über schönes Fjell zur Gaukheihütte und morgen nach Ljosland weiterlaufen, bevor noch vier anstrengende Tage auf der Strasse nach Lindesnes folgen werden.
Ich kann heute meinen Tag ebenfalls geniessen. Mein Weg führt mich über einen eher wenig begangenen Wanderweg Richtung Osten, an den Rand der Vesthei, wo ich in der kleinen DNT Hütte Tjønndalen unterkommen werde. Etwas seltsam finde ich aber die Zeitangabe von acht Stunden für die rund achtzehn Kilometer, ohne nennenswerte Steigungen oder Hindernisse. Naja, ich lasse mich mal überraschen, heute kann ich den Tag ja voll ausschöpfen.

Ich verabschiede mich von Tom und wünsche ihm alles gute für die letzten Tage auf seiner Tour. Es ist eine wunderschöne Bereicherung gewesen, ihn kennenzulernen, viele Stunden über das Fernwandern, Norge på langs und „das Leben danach“, für das er sich sehr interessiert hat, zu plaudern und fachsimpeln.

Die Sonne geht auf am Øyuvsvatnet

Der Tag ist eine wahre Pracht und es ist zu diesem Zeitpunkt kaum mehr vorstellbar, was vor 48 Stunden hier noch los war. Der Weg ist oft nur spärlich markiert, aber trotzdem gut zu finden. Ich muss heute zugeben, dass ich die Setesdalheja definitiv unterschätzt habe. Es ist schlicht ein Traum hier zu wandern und selten habe ich soviel Abwechslung gehabt. Durch das hügelige Terrain wird es nie langweilig und um jede Ecke rum, verändert sich das Bild komplett. Da es auch kaum grössere Steigungen, oder Schwierigkeiten auf dem Weg hat, fliege ich richtiggehend durch das Fjell. Ich nehme mir trotz der Zeitprognose von acht Stunden, viel Zeit, bleibe oft stehen und lasse diese unendliche Stille und Schönheit auf mich wirken.

Bilder sagen mehr als jedes Wort…..

Nach rund zweieinhalb Stunden, entschliesse ich mich eine grössere Pause zu machen. Ich sitze auf einer Anhöhe, schaue in ein kleines Tal, in welchem ein kleiner Bach durchplätschert und schaue mal ganz nebenbei auf die Onlinekarte von ut.no. „Ich hab`s doch gewusst“ entfährt es mir, ich sitze hier schon über der Hälfte der Distanz des Wegs. Diese Zeitangabe konnte definitiv nicht stimmen und so lege ich mich noch ein wenig ins hohe Gras und lasse die Sonne etwas an der Nase kitzeln.

Nach der Pause geht es hoch auf die Sigurdsheii, wo ich einen exzellenten Blick über weite Teile der Vesthei habe. Diese Weite ist unglaublich und ich glaube, ich habe mich gerade etwas in dieses Fjell verliebt!

Sigurdsheii

Vier Kilometer vor der Tjønndalenhütte, sehe ich auf der Karte eine Abkürzung. Doch ich werde auf dem offiziellen DNT Wanderweg bleiben, der zwei Kilometer vor der Hütte, den Weg von der Gaukheihütte kreuzen wird. Dachte ich zumindest und bin nicht minder erstaunt, plötzlich auf dem Abkürzungsweg zu stehen, der sehr spärlich markiert ist. Ich habe keine Abzweigung gesehen, aber was solls, hier führen alle Wege nach Tjønndalen!

Nach einem kurzen, steilen Abstieg ins Tal und einem wunderschön, gelb leuchtenden Birkenhain, sehe ich am Horizont schon ein paar Hütten. Das muss Tjønndalen sein!

Ich habe in Norwegen doch schon etwas über hundert DNT Hütten gesehen, aber was sich mir hier offenbart, ist wohl das süsseste was ich jemals gesehen habe. Die DNT Hütte Tjønndalen ist eine winzig kleine Hütte mit sechs Schlafplätzen. Sie ist sehr alt und in ihrem Innern kann man sogar noch eingeritzte Schriften von 1800 sehen und lesen. Die Hütte ist überaus akkurat und mit äusserster Sorgfalt gepflegt. Man hat schon fast Skrupel in dieses kleine Haus einzutreten.

DNT Hütte Tjønndalen

Die Freiwilligen der DNT Sektion DNT Sør, die diese Hütte pflegen und für ihren Unterhalt zuständig sind, haben hier ein phantastisches Juwel geschaffen! Und ich denke mir noch, was für ein Tourabschluss, da möchte man direkt jemandem dafür Dankeschön sagen! Was ich zwei Stunden dann definitiv machen kann, als die Dugnads (Freiwilligen) der Hütten in diesem Gebiet, gerade von Gaukhei herkommend, wo sie die Hütte für den Winter bereitgemacht haben, hier eintreffen. Es freut sie sehr, dass ein Gast ihre Arbeit so zu schätzen weiss, denn es ist absolut nicht selbstverständlich. Die Freiwilligen leisten viele hundert Stunden Fronarbeit im Jahr, um dieses wunderbare System des DNTs, am Leben zu erhalten! FEMTI TUSEN TAKK !!

Der älteste aus der Gruppe, der 72 jährige Knut, gebürtiger Farörer (oder auch Färinger genannt), wird heute Nacht auch hier in der Hütte bleiben, während der Rest ins Tal hinunter geht. Während dem er sich für ein Nickerchen hinlegt, versuche ich mit dem bisschen Internetempfang hier in Hüttennähe, mein weiters Vorgehen zu planen.

Als ich hier hin wanderte, schneiderte ich mir die nächsten Tage zurecht: Morgen soll es ins Tal auf den Bus nach Hovden gehen, dort würde ich übernachten, um am nächsten Tag die DNT Hütte Sloaros zu erreichen. Von dort sollte es weglos zur DNT Hütte Holmavatn gehen, die an meiner zuerst geplanten Route liegt und die ich auch zum richtig gebuchten Zeitpunkt anlaufen würde. Von dort nach Haukeliseter und Tags darauf, wie geplant, mit dem gebuchten Bus nach Oslo. Das würde perfekt aufgehen und ich könnte trotzdem noch drei Tage ins Fjell raus.

Etwas Regen könnte ich ohne weiteres akzeptieren und mich auch darauf vorbereiten, doch die Prognose war schlicht und einfach grottenschlecht! Über die nächsten sieben Tage einfach nur Dauerregen mit 70-90 mm Regen und gebietsweise sogar bis 100 mm. Das ist einfach zuviel und macht absolut keinen Sinn, auch, weil nicht ein einziger Silberstreifen am Horizont zu sehen ist. Das war`s dann wohl für 2021.

In jedem anderen Jahr wäre ich wohl enttäuscht gewesen, doch dieses Jahr waren die Tage zuvor und heute einfach ein grosses Geschenk, in Anbetracht dessen, dass ich vor zwei Wochen das Thema Norwegen für 2021 geschlossen hatte! Es ist nun mal so wie es ist und so werde ich morgen runter gehen, nach Oslo reisen und einen früheren Flug zurück in die Schweiz nehmen.
Doch wir leben immer noch in Coronazeiten und so ist ein umbuchen des Fluges nicht so einfach, bis unmöglich. Es gibt immer noch sehr wenige Flüge und die sind für diese Woche alle ausgebucht, vor Samstag komme ich also gar nicht heim. Tja, und nun? Egal, morgen mal Richtung Kristiansand und dann weitersehen.

Der Bus fährt um 7.50, also muss ich relativ früh von der Hütte weg. Etwas beiläufig frage ich Knut, wie lange man den zur Strasse runter läuft (nichtsahnend dass diese Fragestellung mich morgen noch ordentlich ins schwitzen bringen wird!). „Ach, das sind etwa 3 Kilometer und wenn ich Dich so anschaue, schaffst Du das locker in einer Stunde. Es ist eine kleine Strasse für Quads und sehr gut zu laufen“.

Wir reden noch lange in die Nacht hinein und ich erfahre dabei noch viele interessante Dinge und das Leben auf den Faröer Inseln.
Als ich gefrühstückt und gepackt habe, stehe ich um 6.15 vor der Türe und es giesst wie aus Kübeln und ist stockdunkel. „Hei, das ist meine erste offizielle Nachtwanderung in Norwegen“ sage ich laut zu mir und tatsächlich, bis jetzt war die Stirnlampe noch nie in meinem Gepäck.
Der Weg ist tatsächlich sehr gut zu laufen und es geht flach über das Fjell, vorbei an einigen Ferienhäusern, weiter und weiter und weiter…..und irgendwie einfach nicht runter?? Ich schaue auf die Online Karte und sehe, das ich absolut richtig bin, aber es fällt mir gerade wie Tomaten von den Augen, dass die von Knut angegebenen drei Kilometer unmöglich stimmen können! Es ist schon 7.05 als die kleine Strasse endlich etwas abfällt und ich auf einen kleinen Parkplatz mit Autos und einer grösseren Forststrasse komme. Mann oh Mann….. Knut hat diese Strasse gemeint und nicht die Hauptstrasse im Tal! Das war definitiv mein Fehler und ich sehe auf der Karte, dass das noch locker sechs Kilometer bis ins Tal sind.

Den Bus verpassen geht gar nicht, den der nächste kommt erst in acht Stunden und da unten ist……nichts, ausser einem Wartehäuschen. Ich schnüre mir den Rucksack mit aller Kraft an den Körper und beginne die Strasse hinunterzurennen. Achtzehn Kilogramm auf dem Rücken wirken sich dabei doch ordentlich aus im Dauerlauf und das noch in heftigem Regen. 7.35 stehe ich Klitschnass und völlig ausser Atem an dem Wartehäuschen und habe sogar noch Zeit, mich trocken anzuziehen und einen gehörigen Schluck Tee zu nehmen. Zum Glück war es eine super Strasse und dann doch nicht ganz so weit wie geschätzt, ich habe es geschafft!

Der Bus benötigt zweieinhalb Stunden bis nach Kristiansand, also genug Zeit um mich dem weiteren Verlauf zu widmen. Doch was gibt es für Alternativen? Die Wetterprognosen sind haarsträubend geblieben und es macht absolut keinen Sinn, durch strömenden Regen und Nebel durch das Fjell zu stapfen. Heimflug ist auch nicht, vier Tage in Oslo rumzuhängen, mag ich nicht……Ganz beiläufig klicke ich im Wetter App von yr.no auf Tromsø und mir bleibt die Spucke weg! Was für ein Glanzwetter herrscht dort oben, wo ich vor Reisebeginn noch mit Sturm gerechnet habe. Purer Sonnenschein über Tage und mit 16-18°C so mild wie selten Ende September. Die Grosswetterlage verspricht bis sicher Ende der Woche noch bestes Spätsommerwetter. Ich schaue nach draussen, wo der Bus durch strömenden Regen fährt, es kaum richtig hell wird und die Nebel tief im Tal hängen wie Leintücher an der Wäscheleine. Und ich denke gerade an Tom, der bei diesem „Scheis…..wetter“ auf der Strasse läuft. Ich möchte definitiv nicht tauschen!

Ich bin wahrlich kein Freund der Digitalisierung und mache oft einen grossen Bogen um all das ganze Zeug. Doch ab und zu, kann auch ich dem Ganzen einen Nutzen abgewinnen:
Bus und Zugsticket nach Oslo auf dem Smartphone gespeichert.
Das App der Fluggesellschaft SAS geöffnet, Flug für morgen nach Tromsø und Freitag retour nach Oslo angewählt, bestätigt und bezahlt.
Hotels in Gardermoen und Tromsø via booking.com ebenfalls reserviert.
In nicht einmal fünf Minuten hat mein Trip gerade eine 180° Wendung gemacht und auf meinem Gesicht muss wohl gerade die Sonne aufgehen.

Tromsø, meine Stadt…

Tromsø

Wie hatte ich c.a. einen Monat vor dieser Reise noch in meinem Blogbeitrag zu 2021 geschrieben…..

…..und so hätte ich im Moment einfach „nur“ gerade mal grosse Lust, in meiner norwegischen Lieblingsstadt Tromsø, auf dem Fjellheisen zu sitzen und die Aussicht zu geniessen, danach im Hotel Thon einzuchecken wo mich mittlerweile bald alle kennen, Einkäufe zu machen und den Rucksack „wandertauglich“ zu packen

Blogbeitrag: Endlich etwas neues

….. und jetzt stehe ich neben dem Hotel Thon in Tromsø und werde morgen auf der Fjellstua, neben dem Fjellheisen Lift stehen und auf die Stadt runterschauen. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben und habe ein riesiges Grinsen auf dem Gesicht!

Tromsø hat in der näheren Umgebung auch DNT Hütten die leicht erreichbar wären, doch Föderalismus sei Dank, hat praktisch jede DNT Sektion eigene Corona Regeln in Kraft. Während im Süden bei DNT Sør einfach die Anzahl Leute auf den Hütten beschränkt wird und ein Reservationssystem gilt, was auch Sinn macht und machbar ist, so schliesst die Sektion Troms Turlag die Hütten mit einem Schlüssel, der abgeholt und wieder zurückgebracht werden muss. Hinzu kommt, dass man in Teilen der Hüttenstandorte gerade die ganze Hütte für sich selber buchen muss, was bedeutet, dass ich alleine vielleicht ein Hütte mit 30 Plätzen blockiere und dort niemand sonst rein darf. Daher sehe ich von Hüttenübernachtungen ab und bleibe im Hotel und „beschränke“ mich auf Tagestouren.

Jetzt habe ich nun auch endlich mal Gelegenheit, die Stadt bei Nacht zu entdecken und nicht mit der Sonnenbrille in den Ausgang zu müssen!

Zur Belohnung gibt es dann allabendlich auch schon die ersten Nordlichter am Himmel zu sehen!

Ein Tag in Tromsø ist immer für die Tromsdalstinden-Runde reserviert. Eines der Markenzeichen der Stadt, liegt fünfzehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und ist sicher der meistbesuchte Berg der Tromser.
Ich wähle immer die Königsvariante und starte beim Hotel im Zentrum, laufe rüber zur Seilbahn (die zu dieser Zeit am Morgen noch nicht fährt), über die Sherpatreppe hoch zur Fjellheisen Bergstation und dann via die Fløya (den höchsten Punkt beim Fjellheisen) weglos zum Südgrat. Dann folgt die Überschreitung zum höchsten Punkt auf 1238 MüM und der sehr steile Abstieg runter ins Tromsdalen und zurück in die Stadt. 30 Kilometer, c.a. 8 Std. und zusammengezählt, 2500 Meter Auf- und Abstieg, genau das Richtige nach der ganzen „Sitzerei“ gestern!

Für den nächsten Tag, bekomme ich von Zuhause einen guten Tipp (Danke Xöidi!), in der Umgebung von Tromsø: Die Vengsøytraversen!

Die kleine Insel Vengsøya ist mit der Fähre erreichbar. Am Morgen geht ein Schiff hin und am späten Nachmittag zurück. Die Gratüberschreitung beinhaltet ein paar sehr luftige Kraxeleien und ist sicher etwas geübteren Berggängern vorbehalten. Es gibt keine Sicherungen und trocken sollte das Terrain definitiv sein. Mich erinnert das Ganze sehr an eine Gratüberschreitung vor meiner Haustüre.

Das Wetter ist wieder perfekt und so tuckere ich mit der Fähre nach Vengsøya.

Es sind nur wenige junge Leute an Bord, die anhand der Ausrüstung, wohl das gleiche Ziel haben wie ich, die Traverse. Nach dem anlegen des Schiffs, geht es zuerst knapp vier Kilometer entlang der Strasse, an die Ostseite der Insel. Via der Grattraverse erreicht man dann nach 4-6 Stunden wieder die Anlegestelle Sandnes.
Alle geben ordentlich Tempo vor, um nicht zuviel Zeit zu verlieren und dann vielleicht die Fähre am Nachmittag nicht mehr zu erreichen.
Ich bleibe einen Moment stehen und geniesse gerade diese wunderschöne Stimmung am „Hafen“, wo die Fischer ihren frühmorgendlichen Fang in die kleine Fischfabrik bringen. Möwen kreissen um die Boote und es ist eine überaus friedliche Stimmung. Dabei merke ich, dass ich eigentlich gar keinen Bock drauf habe, um die halbe Insel zu wetzen um diese Traverse zu machen. „Die läuft mir ja nicht weg“ denke ich und ich werde da sicher wieder zurückkommen.

Heute will ich einfach diese wunderschöne Insel geniessen und entschliesse mich, via den Abstieg der Traverse, hochzusteigen und zwar soweit wie ich Lust habe. Natürlich wird es dann wieder etwas weiter als vorgenommen, doch in der Mitte, auf dem Kvantotinden ist Schluss. Es ist praktisch windstill und sehr mild, was für ein Tag!

Keine Ahnung wie lange ich dort oben schon sitze und die phantastische Aussicht geniesse, aber es lohnt sich jede Minute. Auch noch einen Weissschwanz Seeadler so nahe zu Gesicht zu bekommen, krönt den ganzen Tag. Mit dem Fernglas sehe ich, dass die ersten der „Traversianer“ schon auf dem benachbarten Horntinden stehen, es wird also auch für mich langsam Zeit zurückzugehen. Doch ich gehe nicht den gleichen Weg zurück, sondern steige über den jetzt etwas schattigen Nordgrat ins Puskevikdalen runter. Eine etwas knifflige Angelegenheit, da die Steine alle mit Moos und Flechten überwachsen sind und daher mehr als rutschig. Doch alles klappt bestens und so nähere ich mich langsam wieder Sandnes, wo ich um 16.30 die Fähre zurück erreiche.

Im schattigen und sehr sumpfigen Puskevikdalen.
Sandnes

Der Abflug heute Freitag ist erst um 17.00 und daher habe ich noch Zeit, etwas um die Stadt herum zu „schnüffeln“.

Tromsø ist eine Insel, welche im Osten wie im Westen durch eine grosse Brücke mit dem Festland und der Insel Kvaløy verbunden ist. Zusätzlich hat es im Westen auch noch einen Unterwassertunnel. Über die Längsausdehnung der linsenförmigen Insel, erhebt sich ein rund 130 Meter hoher Hügel, der den Ostteil mit dem Flughafen und der Industrie, von der Westseite dem Stadtzentrum und den Wohngegenden auf natürliche Weise abtrennt.
Die absolute Einzigartigkeit ist aber ein Tunnelsystem unter dem Hügel, dass sämtliche Himmelsrichtungen der Stadt miteinander verbindet. Mitten unter dem höchsten Punkt des Hügels, befinden sich zwei Verkehrskreisel, die den Verkehr auf alle Seiten lenken.
Auf dem Hügel befindet sich ein einzigartiges Naherholungsgebiet mit dem grossen Prestvannet (der auch der Trinkwasserversorgung der Stadt dient), an welchem grosse Fisch- und Graureiherpopulationen heimisch sind, sowie alle möglichen Entenarten. Das ganze Gebiet wird durch viele Kilometer, zum Teil beleuchtete, Wege durchzogen, auf welchem reichlich „gejoggt“ und im Winter dem Langlauf gefrönt wird. Die Universität und das grosse Uniklinikum reiht sich an den Hügelflanken mit Wohnungsüberbauungen im traditionellen, wie im modernen Stil. Der sehr alte Friedhof mit seinem Gräbern, die bis ins frühe 18 Jahrhundert zurückreichen, ist auf jedenfall ein stiller Besuch wert.

Wer durch die Stadt schlendert, der wird kompromisslos mit moderner, wie auch sehr alter Architektur konfrontiert. War die alte Fischerstadt klein und sehr idyllisch auf der Insel angelegt, haben sich in den frühen 70ern und 80ern Jahren einige Hotelarchitekten das Recht herausgenommen, die Stadt bis fast zur Unkenntlichkeit zu verschandeln. Solche Leute hätten definitiv hinter Schloss und Riegel gehört, damit sie nicht noch mehr ruinieren können!
Doch Tromsø hat gerade in den letzten Jahren, in welchen ich auch fast jährlich zu Besuch war, gewaltig an der Korrektur des Stadtbildes gearbeitet. Auch wenn die alten Missetaten nicht mehr wegzubringen sind, hat man gezielt jene in den Hintergrund gebracht, in dem man neue Siedlungen, neue Quartiere hervorgehoben hat. Die alten Gebäude wurden dezent renoviert, aber haben im Gesamtkonzept viel mehr Platz bekommen. Die Stadt ist sehr beliebt geworden und der Zuwachs in der Bevölkerung ist richtiggehend explodiert. So entstehen vor allem am Süd- wie Nordende der Insel grössere Wohnsiedlungen und auch die umliegenden Küsten in Stadtnähe erhalten ein neues Gesicht.

Tromsø ist und bleibt definitiv meine Lieblingsstadt und ich bin gespannt, wie sich die Insel weiterentwickeln wird. Als eine der ganz wenigen Städte in Skandinavien hat dieser Ort eine Seele und dies ist auch deutlich an den Bewohnern dieser Stadt anzumerken.

Gegensätze auf Schritt und Tritt. Das erste und das aktuelle Rathaus.
Stadtentwicklung wohin man schaut.

Gesichter Tromsøs.

Nachdem ich Stunden durch und um die Stadt gelaufen bin, kann ich es nicht lassen, mit der Fjellheisen Bahn hoch zu fahren, um nochmals einen Blick auf die Stadt zu werfen.

Während ich genüsslich bei eisigem Wind an einem Sandwich kaue, zieht mein Blick über die Stadt und die umliegenden Küsten und Inseln des Archipels. Ich bin gerade sehr dankbar, dass es dieses Jahr so kurzfristig geklappt hat. Auch wenn des Fjell-Feeling heuer etwas kurz ausfiel, so war jede Minute wertvoll und ich freue mich schon auf 2022, wenn es wieder heisst: God tur!